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    Something Necessary
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Something Necessary
    Von Michael Meyns

    In einem sehr beachtlichen Versuch filmischer Entwicklungshilfe gründeten Regisseur Tom Tykwer („Lola rennt", „Cloud Atlas") und seine Frau Marie Steinmann vor einigen Jahren das „One Fine Day"-Projekt: Regelmäßig finden nun in Nairobi, der Hauptstadt des ostafrikanischen Staates Kenia, Workshops statt, in denen junge Filmemacher aus Afrika die Möglichkeit bekommen, ihr Wissen über alle Aspekte der Filmproduktion zu erweitern. Und damit nicht alles graue Theorie bleibt, wird das interessanteste Drehbuch der jeweiligen Workshops zudem verfilmt: 2010 entstand Hawa Essumans „Soul Boy", im Jahr darauf David „Tosh" Gitongas „Nairobi Half Life", und nun liegt mit Judy Kibinges „Something Necessary" der dritte, bislang professionellste Film des Projekts vor.

    Kenia 2008: Nach den umstrittenen Ergebnissen der Präsidentschaftswahlen entzünden sich im ganzen Land blutige Proteste, die schnell in Gewalt, Plünderungen, Mord und Vergewaltigung ausarten. Ein Opfer ist die Krankenschwester Anne (Susan Wanjiru), die aus dem Koma erwacht, und erfährt, dass ihr Mann ermordet und ihr Sohn Kitur (Benjamin Nyagaka) schwer verletzt ist. Gegen den Widerstand ihrer Familie zieht sie zurück in ihr ausgebranntes Haus auf dem Land, wo sie mühsam versucht, wieder ein halbwegs normales Leben zu beginnen. Gleichzeitig versucht der junge Joseph (Walter Lagat) mit seinen Schuldgefühlen umzugehen: Er war in der Nacht der Gewalt dabei, als seine durch Alkohol enthemmte Gang Annes Haus überfallen hat. Joseph will sich von der Bande lösen, versucht mit Gelegenheitsjobs genug Geld zu verdienen, um mit seiner Freundin nach Nairobi zu ziehen. Doch die Schatten der Vergangenheit belastet ihn schwer.

    Während Hawa Essuman und David „Tosh" Gitonga, mit „Soul Boy" bzw. „Nairobi Half Life" ihre Regiedebüts vorlegten, ist Judy Kibinge eine erfahrenere Filmemacherin, die u.a. auch mit Kurzfilmen schon zahlreiche Preise gewonnen hat. So verwundert es nicht, dass dieser dritte vom „One Fine Day"-Projekt produzierte Film auch der professionellste geworden ist. Souverän werden filmische Mittel eingesetzt, um die Traumata anzudeuten, an denen Anne leidet, subtil werden die vielfältigen sozialen und gesellschaftlichen Aspekte thematisiert, die Ursache und Folge der Ausschreitungen waren. Der Versuch, sowohl die Opfer- als auch die Täterperspektive einzunehmen ist ambitioniert, aber in seiner Umsetzung etwas zu akademisch. Die Idee geht auch nicht ganz auf, weil dem Schicksal Annes wesentlich mehr Raum eingeräumt wird, als dem Erzählstrang um Joseph. Zudem ist die Figur der Anne auch deutlich interessanter ausgestaltet.

    Hier macht sich nicht nur Judy Kibinges Film-, sondern vor allem ihre Lebenserfahrung bezahlt. Während das Schicksal Josephs eher plakativ und wenig involvierend abgehakt wird, entwickelt sich Anne zur komplexen, starken Frauenfigur, die sich allein ihrem Schicksal entgegenstemmt. Resolut baut sie ihr Leben wieder auf, lässt sich keine Vorschriften machen und scheut in der verstörendsten Szene des Films auch nicht davor zurück, an sich selbst eine Abtreibung vorzunehmen, um kein Baby durch eine Vergewaltigung zu bekommen.

    Feinfühlig und filmisch überzeugend schildert Judy Kibinge das Schicksal Annes, was „Something Necessary" zu einer sehr überlegten Auseinandersetzung über den Umgang mit Leid und Schuld macht. Dieser Ansatz unterscheidet „Something Necessary" deutlich von den Vorgängern, bedeutet allerdings auch, dass die rohe, oft ungestüme Energie, die etwa „Nairobi Half Life" so mitreißend machte, hier völlig fehlt. Zumindest für diesen dritten Film ist das „One Fine Day Film"-Projekt sehr erwachsen geworden. Man darf gespannt bleiben, in welche Richtung sich die Filminitiative zukünftig entwickelt.

    Fazit: Mit „Something Necessary" gelingt der Regisseurin Judy Kibinge ein vielschichtiger Blick auf das von sozialen, gesellschaftlichen Problemen geplagte zeitgenössische Kenia. Dass ihr Film nicht mehr die jugendliche Wildheit der beiden früheren Filme des „One Fine Day Films"-Projekt hat, wird durch eine nuancierte Charakterzeichnung besonders der Frauenfigur wett gemacht.

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