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    Wochenendkrieger
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Wochenendkrieger
    Von Lars-Christian Daniels

    Viele eingefleischte Anhänger der „Herr der Ringe“-Trilogie geben sich längst nicht mehr damit zufrieden, die Bücher von J.R.R. Tolkien und die Filme von Peter Jackson zu verschlingen. Sie tragen Ringe mit elbischer Inschrift, sammeln Fantasyfiguren oder pilgern zu den Drehorten in Neuseeland. Doch damit nicht genug: Allein in Deutschland schlüpfen mittlerweile über 250.000 Menschen aller Altersstufen bei aufwändigen Live-Rollenspielen in die Rolle von Orks, Zauberern, Hobbits und Kriegern, um sich für ein paar Tage wie ein Held aus Mittelerde oder einer ähnlichen Fantasiewelt zu fühlen. In seiner 90-minütigen Dokumentation „Wochenendkrieger“ nimmt Regisseur Andreas Geiger („Punk im Dschungel“) dieses Phänomen unter die Lupe: Er begleitet fünf begeisterte Rollenspieler in ihrem Alltag, bei den Vorbereitungen auf den Kampf und im wilden Getümmel auf dem Schlachtfeld. Der Filmemacher liefert spannende Einblicke hinter die Kulissen einer groß angelegten Fantasiewelt und ergründet deren Faszination, stilisiert das Geschehen aber künstlich zum epischen Spektakel und beraubt seinen Film so immer wieder seines dokumentarischen Charakters.

    Montagearbeiter Sven, Modedesignstudentin Nicole, Maskenbildner Gregor, Biologielehrerin Chris und Sekretär Dirk teilen alle die gleiche Leidenschaft: mittelalterliche Rollenspiele. Also pilgern sie im Sommer zu einer großen Wiese am niedersächsischen Steinhuder Meer, die sich für ein Wochenende in das „Mittelland“ verwandelt, in dem Hunderte von Kriegern, Zauberern und Elfen mit Heerscharen von Orks um das Schicksal des „Auentals“ kämpfen. Andreas Geiger ist hautnah dabei, wenn sich mehr als 12.000 Teilnehmer beim „Conquest of Mythodea“ nach Herzenslust die Köpfe einschlagen – ohne sich dabei wirklich zu verletzen, versteht sich. Ist die Schlacht vorüber, kehren die Hobby-Kämpfer zurück in ihr normales Leben: Ans Fließband eines Automobilherstellers, zur eigenen Kleiderkollektion, in den Versandhandel für „Herr der Ringe“-Fanartikel, zu ihrer Schulklasse und zu Parteisitzungen von Bündnis 90/Die Grünen. Geiger erforscht die Beweggründe seiner Protagonisten, für ein paar Tage in eine andere Rolle zu schlüpfen, die sie selbst über Jahre hinweg ausgebaut und mit Leben gefüllt haben.

    Fernab der Schlachtfelder gelten Live-Rollenspieler eher als soziale Außenseiter – ein Vorurteil, das 2008 auch Filmemacher David Wain in seiner kurzweiligen Chaotenkomödie „Vorbilder?!“ humorvoll aufgriff. Dort verkörpert „McLovin“-Kultdarsteller Christopher Mintz-Plasse („Superbad“) den sympathischen Vorzeigeloser Augie Farks, der in der Schule gehänselt wird und sich am Wochenende bei mittelalterlichen Fantasieschlachten austobt. Gleich zu Beginn seiner Dokumentation konfrontiert Andreas Geiger seine Protagonisten mit diesem weit verbreiteten Vorurteil – und die Befragten räumen unumwunden ein, dass diese Einschätzung durchaus zutreffend sei! Der Großteil der Rollenspieler scheint die Pflege sozialer Kontakte tatsächlich zu vernachlässigen: Beispielhaft dafür steht der stark übergewichtige, vereinsamt lebende Träumer Sven, der in seiner bieder eingerichteten Wohnung stundenlang Kunststofffiguren bemalt und lieber akribisch am eigenen Kostüm bastelt, statt mit Freunden oder Kollegen um die Häuser zu ziehen. Auf dem Schlachtfeld nimmt er als „Gärtner der öligen Pestilenz“ jedoch eine Schlüsselrolle ein – und erntet dort die Anerkennung, die ihm im realen Leben verwehrt bleibt.

    Alle anderen porträtierten Personen liefern allerdings ein anderes Bild: Lehrerin Chris ist bei ihren Schülern beliebt und steht mit beiden Beinen im Leben, Studentin Nicole kann selbst ihre Mutter für das Rollenspiel begeistern und ist glücklich mit einem anderen Rollenspieler liiert. Sekretär Dirk begegnet regelmäßig Renate Künast, Cem Özdemir und Claudia Roth auf politischem Parkett und Maskenbildner Gregor, in dessen erfolgreichem Versandhandel spitze Elbenohren und eine Nachbildung des Hochzeitskleids von Elbenfürstin Arwen zu den Verkaufsschlagern zählen, plaudert munter über das nächtliche Ausleben seiner Homosexualität. Geiger porträtiert seine Interviewpartner ausführlich, nimmt sich viel Zeit für ihr Privatleben und arbeitet die Faszination des gemeinsamen Hobbys gekonnt heraus. Sich Nicht-Kennern aufdrängende Fragen zum Spielgeschehen bleiben aber außen vor: Wie viel Text wird auswendig gelernt, wie viel wird im Spiel improvisiert? Was passiert, wenn ein wichtiger Charakter mal krankheitsbedingt ausfällt? Und vor allem: Was kostet der Spaß? Wie viel Geld muss in Kostüm, Maske und Equipment investiert werden? Dem weniger rollenspielaffinen Zuschauer stellen sich diese Fragen fast zwangsläufig – Antworten erhält er keine.

    Geiger dokumentiert im Wechselspiel den Alltag seiner Protagonisten und die Live-Szenen auf dem Schlachtfeld, lässt dabei aber die einheitliche Linie vermissen: Während er die Szenen im Berufsalltag und den eigenen vier Wänden seiner Hauptdarsteller in schlichten Bildern und ohne nennenswerte musikalische Untermalung einfängt, wird das Geschehen auf dem Schlachtfeld extrem romantisiert: Kampfszenen stilisiert er mit stimmungsvollen Klängen und bedeutungsschwangeren Zeitlupen zum epischen Gemetzel, das charismatische Voice-Over von Schauspieler und Synchronsprecher Kaspar Eichel verleiht der Handlung erzählerische Tiefe, und einfache Landkarten, die stilistisch denen in Tolkiens Romanen nachempfunden sind, werden in bester „Game of Thrones“-Vorspann-Manier aufwändig animiert. Dadurch wird die Faszination für das Rollenspiel zwar greifbar, der dokumentarische Charakter geht jedoch verloren, so dass sich „Wochenendkrieger“ stellenweise eher wie ein mit Laiendarstellern besetzter Low-Budget-Fantasyfilm anfühlt.

    Fazit: Andreas Geigers „Wochenendkrieger“ ist dank seiner munteren Hauptdarstellertruppe trotz der „Über“-Inszenierung ein kurzweiliger Einblick in die Faszination von Rollenspielen.

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