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    Ich bin das Glück dieser Erde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ich bin das Glück dieser Erde
    Von Gregor Torinus

    Der mexikanische Regisseur Julián Hernández ist bekannt für die außergewöhnlich ästhetische Bildgestaltung seiner Filme, in denen es stets um Homosexuelle und ihr Leben geht. Für „Mil Nubes - Liebessehnsucht“ und „Raging Sun, Raging Sky“ wurde Hernández auf der Berlinale jeweils mit dem Teddy Award für den Besten schwul-lesbischen Film des Festivals ausgezeichnet, nun kommt mit „Ich bin das Glück dieser Erde“ zum ersten Mal eines seiner Werke regulär in die deutschen Kinos. Darin erzählt er in gewohnt kunstvoller Bildsprache von der Beziehung zwischen einem Balletttänzer und einem Filmemacher. Deren Verhältnis allerdings ist so (ver)kompliziert, dass Hernández' Liebesdrama bei all seiner Schönheit zugleich auch sehr sperrig geraten ist.

    Emiliano (Hugo Catalán) ist ein junger, erfolgreicher Filmregisseur, der er an einer Dokumentation über die Tänzerin und Choreografin Gloria Contreras (Gloria Contreras) und ihre Ballettklasse arbeitet. Aufgrund einer Knieverletzung kann der Tänzer Octavio (Alan Ramírez) nicht beim Dreh mitwirken, doch im Privaten kommen er und Emiliano sich schnell näher. Die beiden Männer beginnen eine stürmische Affäre. Octavio verliebt sich in den Filmemacher, doch der zieht sich von einem Tag auf den anderen ohne ersichtlichen Grund zurück. Der Tänzer tröstet sich mit ausschweifendem Sex in unterschiedlichen Konstellationen. Emiliano wiederum entpuppt sich als emotionales Wrack, das trotz seiner Erfolge innerlich leer und unglücklich ist. Sich auf eine echte Beziehung einzulassen, fällt ihm schwer, stattdessen kauft er sich lieber Sex mit Strichern, trinkt und schluckt Tabletten. Im Rausch verwischen für Emiliano zunehmend die Grenzen zwischen Film, Traum und Realität.

    Immer wieder stellt Julián Hernández Octavio und dessen geschmeidige Ballettbewegungen ins Zentrum seines Films. Schier endlos verharrt die Kamera von Alejandro Cantú auf dem Körper des Tänzers und lässt Bilder voller Poesie entstehen. Gleichzeitig ist das Auge der Kamera auch das Auge des Regisseurs, dessen Alter Ego im Film alles andere als sympathisch erscheint. Dieser Regisseur ist ein gefühlskalter Kontrollfreak, der selbst beim Sex innerlich distanziert bleibt. Gleich bei seinem ersten Date mit Octavio schlägt er vor, noch einen Stricher hinzuzuholen und tut dann angesichts von Octavios Verwirrung so, als sei es nur ein Scherz. Sein „Glück auf dieser Erde“ findet Emiliano bevorzugt auf käuflicher Ebene: Alkohol, Drogen und Stricher. Letztere nimmt er heimlich auf, während er mit ihnen Sex hat und onaniert später beim Betrachten dieser Filme, in denen er selbst der Hauptdarsteller ist: Emiliano ist der ultimative Narziss.

    Diese heimlich gefilmten Privat-Pornos werden deutlich als schmierig dargestellt. Doch auch den intimen Szenen innerhalb der eigentlichen Filmhandlung haftet etwas Anrüchig-Irritierendes an: Irgendwo zwischen 70er-Jahre-Skandalfilm-Ästhetik und modernem Hochglanzporno inszeniert Hernández die zahlreichen sexuellen Handlungen und lässt dabei kaum etwas aus: Ein junger Mann stranguliert sich mit einem Ledergürtel, während er masturbiert; zwei Frauen und ein Mann haben gemeinsam Sex, später zwei Männer und eine Frau. Etwas zu bewusst auf provokant getrimmt wirken diese Szenen, als dass sie sich glaubhaft in die Erzählung einfügen könnten. Durch die betonte Ästhetisierung wird der pornografische Eindruck noch verstärkt und so wirkt Hernández in diesen Szenen nicht weniger voyeuristisch als seine Hauptfigur Emiliano und wenn die zweite Hälfte des Films aus deren Sicht erzählt wird, dann fallen die Perspektiven endgültig zusammen.

    Durch diese Selbstreflexivität entsteht eine interessante Meta-Ebene, aber das Vergnügen am Spiel mit den Bedeutungsebenen wird dadurch geschmälert, dass die Figur des Emiliano zu wenig greifbar wird und seltsam unsympathisch wirkt, außerdem ist die Erzählweise des Films einfach zu zerfahren. So schlägt die faszinierende Rätselhaftigkeit des wieder sehr elegant gefilmten Dramas zuweilen in einen Eindruck von Beliebigkeit und Prätention um. „Ich bin das Glück dieser Erde“ ist am Ende eine im besten Sinne des Wortes interessante und sinnlich reizvolle Kinoerfahrung, aber auch ein anstrengender, sperriger Film, auf den man sich als Zuschauer einlassen muss.

    Fazit: Julián Hernández' macht es dem Publikum bei seinem neuen Film nicht ganz leicht, dennoch ist „Ich bin das Glück auf dieser Erde“ ein ästhetisch und thematisch reizvolles Werk und bereichert das zeitgenössische Queer-Kino.

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