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    Tatort: Adams Alptraum
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tatort: Adams Alptraum
    Von Lars-Christian Daniels

    Neue Besen kehren nicht immer gut: Die ersten beiden Einsätze von Hauptkommisar Jens Stellbrink (Devid Striesow) und seiner Kollegin Lisa Marx (Elisabeth Brück) gerieten zur mittelschweren „Tatort“-Katastrophe. Das neue Saarbrücker Team, das im Januar 2013 debütierte und in der Landeshauptstadt die Nachfolge der geschassten Maximilian Brückner und Gregor Weber antrat, fiel bereits beim ersten gemeinsamen Auftritt in „Tatort: Melinda“ bei Publikum und Kritikern durch. Das konnte den Saarländischen Rundfunk nicht mehr daran hindern, die extrem klamauklastige Linie auch im damals bereits abgedrehten zweiten „Tatort: Eine Handvoll Paradies“ fortzusetzen. Der fiel sogar noch desaströser aus und avancierte unter dem Strich zum schwächsten Teil der Krimi-Reihe des Jahres 2013. Angesichts des vernichtenden Zuschauerechos lenken die Filmemacher nun ein: In „Tatort: Adams Alptraum“, bei dem zum dritten Mal der finnische Regisseur Hannu Salonen am Ruder sitzt, nimmt der Sender eine Kurskorrektur vor. Statt witzloser Absurditäten inszeniert Salonen diesmal eine heikle, für einen humorvollen Ansatz denkbar ungeeignete Geschichte zum Thema Kindesmissbrauch. Das Ergebnis ist ein kurzweiliger, streckenweise spannender Krimi – und der „Tatort“ aus Saarbrücken darf sich ab sofort als konkurrenzfähig betrachten.

    Der ehrenamtliche Schwimmtrainer Sven Haasberger (Markus Hoffmann) kann sich glücklich schätzen: Bei seinen jungen Schülern ist er beliebt und die Hochzeit mit seiner Lebensgefährtin Maren Tilly (Julia Schneider) steht kurz bevor. Als er bei einer Veranstaltung in der Saarbrücker Innenstadt für sein Engagement geehrt wird und einen Scheck für seinen Verein entgegennimmt, überschlagen sich jedoch die Ereignisse: Kurz nach der Übergabe wird Haasberger von einem Dutzend vermummter Gestalten umzingelt, verprügelt und lebensgefährlich verletzt. Die Saarbrücker Hauptkommissare Jens Stellbrink (Devid Striesow) und Lisa Marx (Elisabeth Brück), die bei ihren Ermittlungen von Spurensicherungsleiter Horst Jordan (Hartmut Volle) und Staatsanwältin Nicole Dubois (Sandra Steinbach) unterstützt werden, stehen vor einem Rätsel: Warum hatte es die Flashmob-Meute auf den beliebten Trainer abgesehen? Auch Haasbergers Ex-Frau Claudia (Barbara Ullmann) und die gemeinsame Tochter Anna (Inga Lessmann) zeigen sich geschockt und ratlos. Während die Ärzte um Haasbergers Leben ringen, bringen üble Graffiti-Schmierereien Licht ins Dunkel: Dem Schwimmtrainer wird unterstellt, er habe sich an seinen Schülern vergangen und in Chatforen versucht, Kinder anzusprechen. War der Flashmob eine moderne Form der Lynchjustiz?

    Schon während der Dreharbeiten zu „Adams Alptraum“ ließ sich erahnen, dass sich der SR die harsche Kritik zu Herzen genommen hat und eine dritte Bruchlandung verhindern möchte: Der verantwortliche „Tatort“-Redakteur Christian Bauer räumte ein, dass man für den dritten Einsatz von Stellbrink und Marx „Justierungen“ vorgenommen habe und die Kriminalhandlung fortan mehr im Mittelpunkt stehen solle. So ist in „Adams Alptraum“ bis auf eine Handvoll kleinerer Albernheiten von Klamauk und Absurditäten – die im Vorgänger „Eine Handvoll Paradies“ in einer surrealen Traumsequenz zum Fremdschämen gipfelten – fast nichts mehr zu spüren. Die Drehbuchautoren Lars Montag und Dirk Kämper, die auch das Skript zum ersten Stellbrink-„Tatort: Melinda“ konzipierten, streuen die humorvollen Zwischentöne wohldosiert und gekonnt in die Handlung ein und bringen den Kriminalfall damit nicht vom Kurs ab. Ein zentraler Aspekt ihres Drehbuchs wirkt jedoch alles andere als glaubwürdig: In Zeiten von boomendem Internethandel und der problemlosen Online-Bestellung von Übersee-Artikeln erscheint es mehr als fragwürdig, dass Stellbrink & Co. einen Flashmob-Teilnehmer anhand verrauschter Kamerabilder eines bestimmten Turnschuhmodells aufspüren, mit dem in Saarbrücken angeblich niemand sonst unterwegs sein könne.

    Dennoch: Die Geschichte macht Spaß und Regisseur Hannu Salonen, der 2012 mit dem verstörenden Krimidrama „Verschleppt“ die fesselndste Saarbrücker „Tatort“-Folge überhaupt inszenierte, zahlt das zuletzt verloren gegangene Vertrauen zurück und liefert mit „Adams Alptraum“ erneut den Beweis, dass er einen spannenden Sonntagabendkrimi inszenieren kann. Vor allem beim knackigen Showdown, bei dem sich Stellbrink in einem Linienbus selbst als Lockvogel für einen zweiten Gewalt-Flashmob zur Verfügung stellt, darf richtig mitgefiebert werden. Das doppelbödig angelegte Verwirrspiel um tragisch endende Vorverurteilung, vermeintlichen Kindesmissbrauch und die drohenden Gefahren in anonymen Chaträumen wirkt angesichts falscher Nicknames, irreführender Avatars und gehackter Laptops zwar stellenweise etwas unübersichtlich, wird aber stimmig aufgelöst und atmosphärisch dicht in Szene gesetzt. Und die Hauptkommissare sind sogar zum ersten Mal richtig witzig – zum Beispiel dann, wenn die aufgeweckte Frohnatur Stellbrink und der zugeknöpfte Eisblock Marx auf einer gemeinsamen Autofahrt die eigenen Spitznamen im Präsidium diskutieren („Deswegen heißt du bei den Kollegen ja auch Mrs. Spock: wegen dem Stock.“).

    Vor allem Chaos-Cop Stellbrink wirkt diesmal weniger überzeichnet und stellt bei den rührenden Gesprächen mit dem geistig behinderten Finn (stark: Daniel Neu) erstmalig seine einfühlsame Seite unter Beweis. Der fast übereifrige Spurensicherungsleiter Jordan leistet wertvolle Helferdienste im Präsidium und auch Staatsanwältin Dubois, für deren Darstellung Schauspielerin Sandra Steinbach in den sozialen Netzwerken übel abgewatscht wurde, hält sich diesmal mit nervtötenden Störfeuern zurück und sammelt mit einem menschlichen Moment Sympathiepunkte. Publikumsliebling Margot Müller (Silvia Bervingas) – der einzige Lichtblick in „Melinda“ – feiert ein sympathisches Comeback, und auch Jungschauspielerin Inga Lessmann hinterlässt bei ihrem Spielfilmdebüt in der Rolle der trauernden Tochter einen starken Eindruck. Einzig Hauptkommissarin Lisa Marx stagniert weiterhin als unterkühltes Anhängsel, das dem älteren Fernsehpublikum den Begriff „Flashmob“ erklären muss und bei den Ermittlungen kaum einmal ein Lächeln über die Lippen bringt. Am Ende ergibt das einen etwas unrunden, aber hoffnungsvollen Gesamteindruck: „Adams Alptraum“ ist ein großer Schritt in die richtige Richtung und weckt Neugier auf den nächsten Saarbrücker „Tatort: Weihnachtsgeld“, bei dem Hannu Salonen seinem Kollegen Zoltan Spirandelli („Vaya Con Dios“) die Regie überlässt und der bereits für den prestigeträchtigen Ausstrahlungstermin am  2. Weihnachtsfeiertag (26. Dezember 2014) terminiert wurde.

    Fazit: Aller guten Dinge sind drei – mit dem kurzweiligen „Tatort: Adams Alptraum“ ist das neue Team aus Saarbrücken endlich in der Krimireihe angekommen.

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