Mein Konto
    Wir sind jung. Wir sind stark.
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Wir sind jung. Wir sind stark.
    Von Ulf Lepelmeier

    Mit den dramatischen Ereignissen um die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Rostock im Jahre 1992, die als erschreckendes Exempel für Ausländerfeindlichkeit in die Geschichte der Bundesrepublik eingingen, hat Burhan Qurbani („Shahada“) sich für seinen zweiten Spielfilm ein spannendes und leider immer noch hochaktuelles Thema ausgewählt. „Wir sind jung, wir sind stark“ ist ein Gesellschaftsdrama in drei sich nebeneinander entfaltenden fiktiven Episoden über den finalen Tag der dramatischen Ausschreitungen am Asylantenheim im Stadtteil Lichtenhagen. Der Regisseur zeichnet in durchdachter Schwarzweiß-Optik ein Bild von Fremdenhass, Sündenbockhatz und einer scheinbar perspektivlosen rebellierenden Jugend.

    Rostock, 24. August 1992: Seit Tagen wütet ein aufgebrachter Mob vor dem als Asylantenheim genutzten Plattenbautenkomplex in Lichtenhagen, der wegen seiner floralen Verzierungen auch Sonnenblumenhaus genannt wird. Der zurückhaltende Stefan (Jonas Nay) ist Mitglied einer rechtsgerichteten Clique, die für den Auszug der Asylanten demonstriert und sich auch schon wiederholt mit der Polizei angelegt hat. Die Jugendlichen hängen den Tag über zusammen rum, während für die kommende Nacht schon ein weiteres, möglichst finales Vorgehen gegen die Ausländer geplant ist. Stefans Vater Martin (Devid Striesow) fällt es als Lokalpolitiker unterdessen unglaublich schwer, eine Entscheidung zum Asylantenheim zu fällen und er ist schockiert, als er erfahren muss, dass auch sein Sohn zu den Demonstranten gehört. Die Vietnamesin Lien (Trang Le Hong) wohnt als Gastarbeiterin ebenfalls im belagerten Sonnenblumenhaus, nur einen Eingang weiter als die von den Demonstrierenden verteufelten Asylanten. Während ihr Bruder mit seiner schwangeren Frau nach Vietnam zurückkehren will, hält Lien an ihrem Wunsch fest, sich eine Existenz in Deutschland aufzubauen. Doch in der Nacht verändert sich alles…

    Wenige Jahre nach der Wiedervereinigung war der freudige Glaube an die in Aussicht gestellten blühenden Landschaften einer allgemeinen Resignation sowie einem Gefühl der Perspektivenlosigkeit gewichen und die Rostocker Demonstrationen gegen die als Sündenbock ausgemachten Asylanten stellten den traurigen Gipfel der sich aus der Unzufriedenheit nährenden Aggressionen dar. Die aufgeladene Stimmung in der Bevölkerung, die sich am Abend des 24. August 1992 (auf den Regisseur Burhan Qurbani seinen Film countdownartig zulaufen lässt) in einem eruptiven Gewaltausbruch entlud, wird hier besonders eindrucksvoll eingefangen. Die Stärken liegen dabei weniger bei der Figurenzeichnung als im Atmosphärischen: Nach den Schwarzweiß-Bildern, die den Tagesereignissen Tristesse verliehen, erhält der Film unversehens seine Farbe zurück, wenn die Nacht hereinbricht und die Spannungen ihren Höhepunkt erreichen, was den Ausschreitungen eine zusätzliche Dramatik verleiht.

    Wenn die Kamera von Yoshi Heimrath („Shahada“) über die Menschenmenge hinwegfliegt, wird erschreckend deutlich, dass die Demonstranten und Randalierer aus allen Gesellschafts- und Altersgruppen kommen, aber ein besonderes Augenmerk liegt hier auf den rebellierenden Jugendlichen. Sie sind Mitglieder einer politikverdrossenen Wiedervereinigungsgeneration, die sich größtenteils aus Frust und Langeweile radikalisiert haben, ohne den wirklichen Glauben an rechte Ziele oder Ideale in sich zu tragen. Dies macht Burhan Qurbani überdeutlich, wenn er die jungen Leute nach einigem rechten Liedgut plötzlich „Die Internationale“ anstimmen lässt. In der gezeigten Clique scheinen dann auch nur der brutale Anführer sowie der durchgeknallte Robbie (Joel Basman) überzeugte Neonazis zu sein, während die anderen sich oft einfach nur abreagieren wollen. Auch der ruhige Protagonist Stefan ist so ein Mitläufer, dem Jonas Nay („Homevideo“, „Hirngespinster“) überdies einen desinteressierten bis ablehnenden Gestus verleiht. Die extremen Lieder und Parolen scheinen ihm einfach nur peinlich und zuwider zu sein, wobei seine passive Haltung in starkem Kontrast zu Joel Basmans („Puppylove“) Spiel steht, der in der Rolle des ungestümen Robby gewaltig aufdreht und dabei auch mal über das Ziel hinausschießt.

    Wie schon in Qurbanis Debütfilm „Shahada“ gibt es auch in „Wir sind jung, wir sind stark“ drei Handlungsstränge, die nebeneinander erzählt werden und sich an bestimmten Punkten überschneiden. Doch während die Episode um die vietnamesische Gastarbeiterin Lien gänzlich überzeugt und auch die Innenansicht der Jugendgang trotz der übertrieben gegensätzlich angelegten Figuren letztlich gut funktioniert, ist die Episode um den überforderten Lokalpolitiker zu schematisch geraten, was durch überdeutliche Schuldmetaphern noch unterstrichen wird. Soll das Sonnenblumenhaus geräumt und somit den ausländerfeindlichen Demonstranten klein beigegeben werden oder eine weitere Nacht der Ausschreitungen und somit das Wohl vieler Menschen riskiert werden?  Das ist die zentrale Frage für den von Devid Striesow („Die Fälscher“) mit besorgt-verlorener Miene dargestellten Martin. Der entscheidungsunfähige Lokalpolitiker bekommt von einem Karrieristen die vermeintlich teuflische Lösung eingeflüstert, während ein langjähriger Parteikollege die anscheinend menschlichere Vorgehensweise empfiehlt – so sitzt der unsichere Martin letztlich überfordert zwischen zu klar abgesteckten Fronten.

    Fazit: Mit imposanten Bildern, aber erzählerisch etwas zu gewollt-schematisch lässt Regisseur Burhan Qurbani in seinem engagierten und bedauernswerterweise brandaktuellen Gesellschaftsdrama „Wir sind jung, wir sind stark“ die verdrängten Erinnerungen an die Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen 1992 wiederaufleben.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top