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    2 automnes 3 hivers - 2 Herbste 3 Winter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    2 automnes 3 hivers - 2 Herbste 3 Winter
    Von Sascha Westphal

    Ein Hauch von Wehmut liegt in der Luft, wenn der 33-jährige Arman die Geschichte von sich und Amélie erzählt. Selbst in Momenten der größten Hoffnung und des reinsten Glücks schwingt immer noch ein letzter Rest Melancholie mit. Hier nimmt jemand Abschied; und das ist noch nicht einmal Arman. Es ist vielmehr Sébastien Betbeders Trauer, die „2 automnes 3 hivers - 2 Herbste 3 Winter“ von der ersten Einstellung an erfüllt. Der französische Filmemacher erinnert mit dieser exzentrischen romantischen Komödie noch einmal an die ursprüngliche Macht des Kinos, die einst auch die Regisseure der Nouvelle Vague so fasziniert hat. Also huldigt er der wohl letzten Generation, die noch vornehmlich von diesem und seinen Bildern geprägt wurde. Immer wieder reden Arman und sein bester Freund Benjamin über Filme und sprechen dabei von sich selbst. Das Kino, das Betbeder beschwört, hat eine Kraft, an die andere Medien und auch andere Kunstformen nur selten heranreichen. Und so sind die Ausschnitte aus Alain Tanners „Der Salamander“, aus George A. Romeros „Die Nacht der lebenden Toten“ und aus Eugène Greens „Le monde vivant“, die er in seine Erzählung einstreut, mehr als nur kurze Zitate. Sie zeugen davon, dass Filme in den Köpfen ihrer Betrachter weiterleben und deren Wirklichkeit verändern.

    Arman (Vincent Macaigne), der einst Kunst studiert hat und nun mehr oder weniger ziellos vor sich hin lebt, will zumindest seinen Körper wieder etwas stärken. Also fängt er mit dem Joggen an. Gleich bei seinem ersten Versuch stößt er in einem kleinen Pariser Park mit der ein paar Jahre jüngeren Amélie (Maud Wyler) zusammen. Es ist einer dieser schicksalhaften Momente. Nur bringt keiner von beiden ein vernünftiges Wort heraus, und so laufen sie wenig später ihrer Wege. Armans Bemühungen, Amélie noch einmal zu treffen, scheitern, bis er eines Nachts Zeuge wird, wie zwei Männer eine Frau überfallen. Er mischt sich ein, rettet Amélie und wird dabei selbst schwerverletzt. Während er noch im Krankenhaus liegt, hat sein bester Freund, der 30-jährige Künstler Benjamin (Bastien Bouillon), einen Schlaganfall.

    Ein Film der Worte und der Gesichter. Immer wieder lässt Sébastien Betbeder seine Protagonisten direkt in die Kamera sprechen. Dann verschwimmen die Bildhintergründe, und es wirkt fast so, als stünden sich Figur und Betrachter gegenüber. Es sind ganz klassische Porträteinstellungen, mit denen Betbeder in diesen Momenten arbeitet, offensichtlich der bildenden Kunst und natürlich vor allem der Photographie entlehnt. Das mag auf den ersten Blick wenig filmisch wirken, entwickelt aber doch einen ganz eigenen Sog. So greift der französische Filmemacher noch einmal die Ideen André Bazins auf. Für den wohl berühmtesten und enorm einflussreichen französischen Filmkritiker war das Kino von Anfang an eine unreine Kunst. Es hat sich immer schon bei allen andern Kunstformen bedient und dabei etwas Neues geschaffen.

    Genau so ist es auch in „2 automnes 3 hivers“. Die anscheinend so simplen, direkt in die Kamera gesprochenen Monologe erschaffen ein enorm komplexes Geflecht aus Bekenntnissen und Erinnerungen. Sie verwandeln das, was einmal geschehen ist oder auch gerade geschieht, in Worte und reine Emotionen. Alles vordergründig Dramatische würde in diesem Fluss der Erzählungen nur stören. Selbst die heldenhafte Rettung Amélies, die Arman fast das eigene Leben kostet, ist nur eine weitere Anekdote. Der Blick verschiebt sich vom Ereignis selbst auf seine Nachwirkungen, und damit eröffnet sich auch eine etwas andere Perspektive auf das Leben an sich. Schließlich sind die großen, die alles verändernden Momente eher eine Seltenheit. Die meiste Zeit über geschieht, was immer geschieht. Insofern geht es letztlich allen Menschen wie Betbeders Figuren. Sie zehren von Erinnerungen, die sie sich immer wieder zurück ins Gedächtnis rufen und anderen erzählen.

    Betbeders Ästhetik des Undramatischen hat etwas wunderbar Beiläufiges. „2 automnes 3 hivers“ streift all die großen Fragen und Probleme, mit denen sich letztlich jeder auseinandersetzen muss: Liebe und Enttäuschung, Tod und Krankheit, Trauer und Wut. In den Gesichtern von Vincent Macaigne, Maud Wyler, Bastien Bouillon und Audrey Bastien, die Benjamins Logopädin und Freundin Katia spielt, spiegeln sich diese Emotionen auf eine ganz direkte Weise. Alle vier geben sich den Geschichten und Gefühlen auf eine Weise hin, dass sie einen zutiefst berühren. Zugleich bewahrt sich Betbeder eine spielerische Leichtigkeit, die es ihm erlaubt, von einem Moment auf den anderen vom Realistischen ins Phantastische, vom Alltäglichen ins Außergewöhnliche zu wechseln, ohne die geringste Irritation auszulösen.

    Fazit: Sébastien Betbeder und seinen vier ungeheuer sympathischen Hauptdarstellern gelingt ein kleines Kinowunder. Gemeinsam erzählen sie vom Leben und Lieben in der heutigen Zeit. Eigentlich sind es ganz alltägliche Geschichten, die sie in dieser mal koketten, mal herzzerreißenden Komödie der Irrungen vor dem Publikum ausbreiten. Doch da ist immer auch etwas Magisches, ein einzigartiger Zauber, der die schnöde Realität überwindet und die profane Welt des frühen 21. Jahrhunderts in ein schillerndes Licht taucht. Wer sich mit der Wirklichkeit zufrieden gibt, ist selbst schuld.

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