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    The Dinner
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Dinner
    Von Christoph Petersen

    In ihrem inzwischen von Roman Polanski verfilmten Theater-Hit „Der Gott des Gemetzels“ seziert Autorin Yasmin Reza messerscharf, wie zwei Ehepaare bei einem klärenden Gespräch über eine Schulhofprügelei ihrer Kinder nach und nach jede zivilisierte Höflichkeit hinter sich lassen. In eine ganz ähnliche Kerbe schlägt auch der niederländische Autor Herman Koch in seinem 2009er-Roman „Angerichtet“, in dem ebenfalls zwei Ehepaare über ihre Kinder diskutieren – nur hat der Nachwuchs hier nicht bloß harmlos miteinander gekabbelt, sondern etwas tatsächlich Unverzeihliches getan. Mit Oren Moverman („The Messenger“, „Rampart“) hat nun einer der politisch aktivsten US-Regisseure den Stoff fürs Kino adaptiert, weshalb es gar nicht verwundert, dass in dem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „The Dinner“ gleich eine ganze Menge brandheiße Eisen (und zwar ethische, moralische und politische) angefasst werden. Das Problem ist nur: Moverman verhandelt in 120 Minuten Kino-Drama sogar dermaßen viele verschiedene Themen, dass er sich irgendwann fast zwangsläufig etwas verzettelt - und das zentrale Dilemma so einfach nicht den Raum bekommt, den es eigentlich nötig gehabt hätte.

    Der ehemalige Geschichtslehrer Paul Lohman (Steve Coogan) versucht vergeblich, seiner Frau Claire (Laura Linney) das anstehende Dinner mit seinem Bruder Stan (Richard Gere) und dessen Frau Katelyn (Rebecca Hall) auszureden – aber er hat keinen Erfolg. Der für das Gouverneursamt kandidierende Stan hat alle in ein superexklusives Restaurant eingeladen, damit an diesem Abend „endlich einmal die ganze Wahrheit auf den Tisch kommt“. Aber bevor die eigentliche Aussprache beginnt, kommen immer wieder andere Dinge dazwischen – Stan will noch in dieser Nacht die nötigen Stimmen für einen Gesetzesvorschlag zusammenbekommen; Katelyn muss verkraften, dass ihr älterer Ehemann mit ihr keine Kinder haben will; und Paul versucht hinter dem Rücken seiner Frau ein Problem mit ihrem 16-jährigen Sohn Michael (Charlie Plummer) zu lösen – dabei weiß Claire sowieso schon alles und ist ihrem Mann sogar ein paar Schritte voraus…

    In der Buchbeschreibung (und wahrscheinlich auch in vielen zukünftigen Inhaltsangaben zum Film) wird sofort aufgeklärt, was die Jugendlichen eigentlich Unvorstellbares getan haben. Aber im Film selbst bleibt das lange Zeit im Dunkeln (und deshalb verraten wir an dieser Stelle auch nichts). Dieses Hinauszögern hat zwei Vorteile: Zum einen ist „The Dinner“ unheimlich spannend und atmosphärisch, weil man nach all dem Tamtam und all den Anspielungen natürlich endlich wissen will, worum es eigentlich geht. Dabei fährt nicht nur Stan mit dem megateuren Essen alle Kaliber auf, auch Regisseur Moverman geht dramaturgisch konsequent in die Vollen, wenn er die starre Dinner-Anordnung kaum einmal für mehr als ein paar Sekunden zur Ruhe kommen lässt und sie stattdessen immer wieder konsequent aufbricht -  sei es mit einer Kapiteleinteilung gemäß den Gängen des Menüs oder mit etlichen ineinander verschachtelten Rückblenden, die sich durch jeweils spezifische Farbgebung unterscheiden. Zum anderen bleibt durch die späte Offenbarung des zentralen Konflikts mehr Raum für die Nebenschauplätze – so gibt es etwa ausführliche Abstecher zu Pauls mentalen Problemen, seiner Faszination für den Amerikanischen Bürgerkrieg oder seinem Ringen mit einer früheren Krebserkrankung seiner Frau.

    Dass man bei all den nicht immer offensichtlich motivierten Rückblenden gespannt bei der Stange bleibt, liegt vor allem an der großartigen Besetzung – und ganz speziell an Steve Coogan („Philomena“), der aus diesem exzellenten Cast noch einmal herausragt: Als intellektuell brillanter, historisch bewanderter und zugleich hochmoralischer Zyniker kommentiert Paul alles mit dem denkbar trockensten und schneidigsten Humor – wie Kelsey Grammer als „Frasier“, nur eben nicht so augenzwinkernd, sondern noch sehr viel schmerzhafter. Zugleich verwandelt er sich wegen seiner psychischen Probleme bei Überforderung sofort in einen hilflosen kleinen Jungen, der sich allem zu entziehen versucht (und trotzdem ernstgenommen werden will). Diese zwei Seiten spielen auch eine Rolle, wenn es dann endlich zur Auflösung kommt – wobei das Verbrechen (zumindest uns) eigentlich viel zu schrecklich ist, um es als bloßen Twist zu verwenden. Zudem ist die eigentliche moralische Debatte schließlich so knapp, dass auch sie dem Dilemma der Elternpaare nicht wirklich gerecht wird. So wirkt der zentrale Konflikt nach all den zuvor aufgemachten Fässern fast schon wie ein Anhängsel statt wie der eigentliche Kern des Films.

    Fazit: „The Dinner“ ist ziemlich überladen – und trotzdem gelingt Oren Moverman eine sehr spannende, grandios gespielte und vor allem schmerzhaft abgründige Satire. Ganz, ganz bitter – gut so!

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „The Dinner“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.

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