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    Every Thing Will Be Fine
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Every Thing Will Be Fine
    Von Andreas Staben

    Mit seiner oscarnominierten Tanz-Dokumentation „Pina“ hat Wim Wenders 2011 eindrucksvoll bewiesen, dass die 3D-Technik im Kino nicht nur für Fantasy-Welten und Jahrmarkt-Spektakel taugt. Seine plastischen Aufnahmen der Pina-Bausch-Choreographien besaßen nicht nur einen ästhetischen, sondern auch einen emotionalen Mehrwert und da lag es für den Regisseur nahe, über ein Spielfilm-Drama in 3D nachzudenken. Genau dieses Werk, eine intime Charakterstudie über Schuld und Vergebung, legt Wenders nun vor und erneut gelingt sein Experiment: „Every Thing Will Be Fine“ ist einfühlsames  Erzählkino ganz ohne Action und ohne Spezialeffektgewitter, dafür mit viel Menschlichkeit und Ausdruckskraft. Und genau die wird durch die ein- aber nicht aufdringlichen 3D-Bilder noch verstärkt. Gemeinsam mit dem Kameramann Benoît Debie („Spring Breakers“, „Enter the Void”) und der Stereografin Joséphine Derobe („Pina“) verbindet Wenders neueste Technik und klassische Formen zu einem intensiven Melodram.

    Als der Schriftsteller Tomas (James Franco) an einem verschneiten Abend auf der Landstraße unterwegs ist, gleitet ihm plötzlich ein Schlitten vor das Auto. Er vollführt eine Vollbremsung, aber es ist zu spät. Ein Kind ist tot und der tragische Unfall stürzt den Unglücksfahrer in eine tiefe Krise, aus der ihm auch seine Lebensgefährtin Sara (Rachel McAdams) nicht heraushelfen kann. Die beiden trennen sich und Tomas unternimmt einen halbherzigen Selbstmordversuch, ehe er unerwartete Hilfe von Kate (Charlotte Gainsbourg) erhält, der auf ganz andere Art trauernden Mutter des getöteten Jungen. Tomas verarbeitet das Trauma schließlich in seiner Arbeit und findet mit Ann (Marie-Josée Croze) eine neue Partnerin, als Jahre später Kates älterer Sohn Christopher (Robert Naylor), der damals bei dem Unfall dabei war, Kontakt zu dem inzwischen erfolgreichen Autor sucht.

    Bei der Berlinale 2015 wurde Wim Wenders mit dem Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk ausgezeichnet, das nicht nur Klassiker wie „Alice in den Städten“, „Paris, Texas“ und „Der Himmel über Berlin“ umfasst, sondern bis ins neue Jahrtausend auch von einer ungebrochenen Entdeckerfreude zeugt. Nun kehrt der gebürtige Düsseldorfer, der zuletzt seine dritte Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“ (für „Das Salz der Erde“) erhielt,  sieben Jahre nach „Palermo Shooting“ zum Erzählen fiktiver Geschichten zurück und vereint dabei gekonnt Experimentelles und Traditionelles. Der nach einem Drehbuch des Norwegers Bjørn Olaf Johannessen („Nowhere Man“) in Québec mit internationaler Besetzung gedrehte „Every Thing Will Be Fine“ kommt wie ein herkömmliches Schuld-und-Reue-Drama daher, aber schon die ungewöhnliche Schreibweise des Titels (eigentlich müsste es heißen „Everything Will Be Fine“, was dann eindeutig mit „Alles wird gut“ zu übersetzen wäre) sorgt für eine kleine Irritation. Sie steht gewissermaßen programmatisch für einen Film, in dem sich das Entscheidende in den feinen Risse und Falten abspielt, die sich unter der Oberfläche der Bilder, in der Haut der Gesichter und zwischen den Zeilen des Gesagten abzeichnen.

    „Every Thing Will Be Fine“ beginnt mit einem grausamen Paukenschlag, wenn beim Unfall im Schneegestöber die ursprüngliche Erleichterung in die Erkenntnis der unfassbaren Katastrophe umschlägt. Die hochdramatische Wendung inszeniert Wenders allerdings nicht mit effekthascherischem Brimborium, sondern mit Ruhe und Bedacht. Er verzichtet auf die Konstruktion von beruhigenden oder anklagenden Erklärungen, was nicht heißt, dass hier keine Welt aus den Fugen gerät: In den 3D-Bildern werden Vorder- und Hintergründe fast unmerklich verrückt, gleichzeitig kommen uns die Menschen buchstäblich näher. Die Kamera scheint immer leicht in Bewegung zu sein, so schafft Wenders mit Hilfe der Technik eine besondere Intimität und eine große Lebendigkeit. Es entsteht gleichsam ein Überschuss an Präsenz: Überhöhung und Einfachheit sind hier kein Widerspruch – dem entspricht auch die durch elliptische Zeitsprünge nur scheinbar ausgedehnte, im Kern aber sehr dichte Erzählstruktur.

    Der Film ist eine fließende Folge von Momentaufnahmen, in denen alle Dinge ihren Platz haben: vom überirdisch leuchtenden Laub der Bäume bis zum Sinnentrubel eines kleinen Jahrmarkts (ein zweiter dramatischer, meisterlich verdichteter Höhepunkt). Statt eine Dramaturgie der Schuldzuweisungen entsteht ein intensiver Reigen voller Menschlichkeit und Mitgefühl. Während die bewegte symphonische Musik von Oscar-Preisträger Alexandre Desplat („Grand Budapest Hotel“) die innere Spannung in Bernard-Herrmann-Manier nach außen trägt, sorgen die feinfühligen Schauspieler für die emotionale Erdung. Im Zentrum steht Tausendsassa James Franco („The Interview“, „Planet der Affen: Prevolution“), der als Tomas so etwas wie konzentriertes Schlafwandeln vollführt: Dem auf sich selbst zurückgeworfenen Schriftsteller fällt es schwer, sich anderen zu öffnen, worunter die Frauen an seiner Seite leiden. Eine besonders beeindruckende Szene ist dabei das späte zufällige Wiedersehen von Tomas und Sara, in der Rachel McAdams („Wie ein einziger Tag“, „Passion“) ihm als immer noch frustrierte Ex-Freundin die Leviten liest: Hier finden Tragik und Bedauern, Liebe und Einsicht zusammen. Und schließlich Hoffnung.

    Fazit: Mit seinem 3D-Melodram „Every Thing Will Be Fine“ legt Meisterregisseur Wim Wenders einen ebenso ungewöhnlichen wie sehenswerten Film vor.

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