Mein Konto
    Schändung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Schändung
    Von Lars-Christian Daniels

    Die Begeisterung der Leser von Jussi Adler-Olsen ist ungebrochen: Die Skandinavien-Krimis des Bestseller-Autors verkaufen sich wie geschnitten Brot. Mittlerweile gilt der Erfinder der erfolgreichen „Sonderdezernat Q“-Reihe sogar als erfolgreichster Autor seines Heimatlandes Dänemark überhaupt. Nachdem mit „Erbarmen“ bereits Teil Eins der beliebten Romanserie mit Vizekriminalkommissar Carl Mørck und seinem syrischen Partner Hafez el-Assad erfolgreich fürs Kino verfilmt wurde, war die Leinwandadaption des Nachfolgers „Schändung“ nur eine Frage der Zeit. Regie führt erneut Mikkel Nørgaard, der zuletzt einige Folgen der erfolgreichen dänischen TV-Serie „Borgen – Gefährliche Seilschaften“ inszenierte. „Schändung“ ist wie schon der Vorgänger schnörkellose und atmosphärisch dichte Thriller-Kost, die Fans der Buchvorlage allerdings nicht auf ganzer Linie überzeugen dürfte.

    Als zwei Geschwister brutal ermordet werden, scheint der Täter schnell gefunden: Internatsschüler Bjarne Thøgersen (als Kind: Adam Ild Rohweder, als Erwachsener: Kristian Høgh Jeppesen) gesteht die Tat und wandert für einige Jahre hinter Gitter. Doch irgendetwas scheint faul an der Sache: Bjarne zählt zur verwöhnten Clique um Anführer Ditlev Pram (Marco Ilsø, Pilou Asbæk), Ulrik Dybbøl (Phillip Stilling, David Dencik) und die hübsche Kirsten-Marie, genannt „Kimmie“ Lassen (Sarah-Sofie Boussnina, Danica Curcic). Das Quartett entflieht dem spießigen Schulalltag dadurch, indem es an den freien Sonntagen loszieht und wahllos Menschen misshandelt. Hat Bjarne den Doppelmord wirklich allein begangen? Oder ist eine Gemeinschaftstat der Clique eskaliert? Der Kopenhagener Vizekriminalkommissar Carl Mørck (Nikolaj Lie Kaas) und sein Assistent Assad (Fares Fares) rollen den Fall zwanzig Jahre später neu auf. Unterstützt wird das bis dato zweiköpfige „Sonderdezernat Q“ erstmalig von der neuen Assistentin Rose Knudsen (Johanne Louise Schmidt), die sich auf Anhieb prima mit Assad versteht…

    Bei Buchverfilmungen besteht das bekannte Dilemma, dass Kürzungen in aller Regel unumgänglich sind. Anders als in „Erbarmen“ operiert Drehbuchautor Nikolaj Arcel („Verblendung“), der bei der Arbeit am Skript von Rasmus Heisterberg („Nordvest“) unterstützt wurde, diesmal direkt am Herzen der Geschichte: Das Geheimnis um das kleine Bündel, das die verwahrlost lebende Kimmie bei ihren Streifzügen mit sich herumschleppt, wird anders als im Roman schon in der Mitte des Films gelüftet, und die spannenden Jagdszenen, in denen die einflussreichen Ex-Internatsschüler in den skandinavischen Wäldern Treibjagden auf ausgesetzte exotische Tiere veranstalten, fehlen im Film fast komplett (wohl auch aus budgetären Gründen). Torsten Florin und Kristian Wolf, die im Buch das fünfte und sechste Mitglied der Gang bilden, existieren im Film ebenfalls nicht – eindeutig die sinnvollste der Kürzungen, denn so bleibt Zeit, um die übrigen Kriminellen charakterlich auszuloten. Kleinere Nebenhandlungsstränge bleiben hingegen erhalten: Die Vater-Sohn-Szenen mit Carl und Filius Jesper skizzieren den Kommissar in angemessener Knappheit als Rabenvater, und an den Folgen der Affäre von Thelma Pram (Beate Bille) wird unmissverständlich deutlich, dass die jugendlichen Gewalttäter von einst noch immer vor nichts zurückschrecken.

    Ähnlich wie in Jussi Adler-Olsens Roman streut Regisseur Mikkel Nørgaard regelmäßig Rückblenden in das Geschehen ein, durch die das anfangs noch undurchsichtige Treiben im Lauf des Films ein immer schlüssigeres Gesamtbild ergibt. Kimmies trister Alltag in der Kopenhagener Obdachlosenszene wird gekonnt durch hübsche Wald- und Wiesenbilder mit viel Licht, Luxus und Schönheit kontrastiert. Ob Langeweile, Nervenkitzel oder Gruppenzwang: Der Auslöser für die regelmäßigen Gewalteruptionen der Jugendlichen bleibt bei diesen Rückblenden allerdings etwas unklar – eine Schwäche, die schon das Buch kennzeichnete. Dafür punktet der Thriller mit einer dichten Atmosphäre und einigen echten Gänsehautszenen – allen voran die stark inszenierten, brutalen Übergriffe der mit weißen Masken getarnten Täter. Aus der Schar der Jungschauspieler sticht unterdessen vor allem die dänische TV-Schauspielerin Sarah-Sofie Boussnina als junge Kimmie heraus, die männermordende Lolita macht keine Gefangenen und legt ohne mit der Wimper zu zucken den gemeinsamen Physiklehrer flach, wenn sie ihrem Schwarm damit eine schlechte Note ersparen kann.

    Auch auf dem Präsidium stimmt die Chemie: Leinwanddebütantin Johanne Louise Schmidt bringt als kecke Rose frischen Wind in die muffigen Kellerräume des Dezernats und ihr Einverständnis mit Assad, der wie sie nur den Kopf über Carls ewig schlechte Laune schütteln kann, sorgt für einige Lacher. Für eine weitere Auflockerung der düsteren Grundstimmung sorgen wie schon im Vorgänger die gelegentlich aufblitzenden Spezialfähigkeiten Assads, der seinen niemals lächelnden Chef zum Beispiel bei der Vernehmung einer verängstigten Haushälterin mit ausgezeichneten Französischkenntnissen überrascht. Diese amüsanten Einschübe hellen die finstere Atmosphäre allerdings nicht zu sehr auf, dafür sorgt schon der durch und durch ernste Protagonist: Nikolaj Lie Kaas („Dänische Delikatessen“) verleiht dem Ermittler Carl Mørck, der weiterhin von Schuldgefühlen für die Lähmung seines Ex-Partners Hardy Henningsen zerfressen wird und morgens nur den Schutz der Schwachen als Grund zum Aufstehen findet, überzeugend Profil und beeindruckt vor allem in den Vertrauensgesprächen mit der paranoiden Kimmie. Unter dem Strich ist „Schändung“, der seine Deutschlandpremiere auf dem Filmfest Hamburg feierte, ein ähnlich spannender Thriller wie „Erbarmen“ und wird die Fans des ersten Films sicher zufriedenstellen, die sich zusätzlich darüber freuen dürfen, dass die Verfilmung des dritten Falls des Sonderdezernats Q, „Erlösung“, bereits geplant wird.

    Fazit: Mikkel Nørgaard knüpft mit „Schändung“ nahtlos an den Vorgänger „Erbarmen“ an. In seinem handwerklich überzeugenden Skandinavien-Thriller bringt der dänische Filmemacher allerdings nicht alle Stärken der Romanvorlage auf die Leinwand.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top