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    Tatort: Eine andere Welt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Eine andere Welt
    Von Lars-Christian Daniels

    Der „Tatort“ aus Dortmund zählt derzeitig zu den umstrittensten Ausgaben der öffentlich-rechtlichen Krimireihe – und das vor allem aufgrund seines gewöhnungsbedürftigen Ermittlerquartetts. Nicht jedem schmeckt der egozentrische Stil von Hauptkommissar, Teamchef und Vorzeige-Arschloch Peter Faber (Jörg Hartmann, „Weissensee“), der in bester „Dr. House“-Manier Pillen einschmeißt, Alleingänge unternimmt und seine drei Kollegen oft wie den letzten Dreck behandelt. Zuletzt zertrümmerte das Enfant Terrible in den Schlussminuten der zweiten Dortmund-Folge „Mein Revier“ gar mit einem Baseballschläger den eigenen Schreibtisch, nachdem er an seinem Arbeitsplatz einen anonymen Brief mit Fotos seiner verstorbenen Frau gefunden hatte. Diesen Handlungsstrang führen „SOKO 5113“-Regisseur Andreas Herzog und Drehbuchautor Jürgen Werner, der bereits an „Mein Revier“ und dem Faber-Erstling „Alter Ego“ mitschrieb, nun fort: Der „Tatort: Eine andere Welt“ ist der bisher persönlichste für Faber, denn neben dem Mord an einer Dortmunder Gymnasiastin beschäftigt den Kommissar auch der noch nicht vollends aufgeklärte Tod seiner eigenen Frau und Tochter. Seine privaten Nachforschungen sind nur einer von zahlreichen Nebenkriegsschauplätzen, die den ansonsten solide aufgestellten Krimi aus dem Ruhrpott gelegentlich vom Kurs abbringen.

    Aus dem Phoenix-See in Dortmund-Hörde wird die Leiche der 16-jährigen Schülerin Nadine Petzokat (Antonia Lingemann) gezogen. Das Opfer ist ertrunken und wurde vor seinem Tod vergewaltigt und misshandelt. Den Kommissaren Peter Faber (Jörg Hartmann), der aufgrund einer Privatangelegenheit in Lübeck etwas verspätet zu den Ermittlungen hinzustößt, Martina Bönisch (Anna Schudt), Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) fällt auf, dass das teure Outfit der Toten nicht recht zu ihrem sozialen Hintergrund passt: Nadine stammte aus einer in Armut lebenden Familie, in der sich Mutter Karin (Jule Böwe) ein paar Euro mit dem Haare schneiden in der Nachbarschaft dazu verdient. Von Nadines bester Freundin Julia Nowak (Matilda Merkel) erfahren die Ermittler, dass die Mädchen in den Stunden vor Nadines Tod mit reichen Freunden in einem noblen Szeneclub die Nacht zum Tag gemacht haben, außerdem finden sie auf dem Laptop des Opfers ein Videotagebuch. Was ist passiert? Gerichtsmediziner Jonas Zander (Thomas Arnold) stellt bei der Obduktion fest, dass zwischen Vergewaltigung und Todeseintritt noch zwei Stunden Zeit vergingen...

    Ein Hauch von Found Footage weht durch den 886. „Tatort“: Ganz wie die verstorbenen Teenager im Horror-Hit „Blair Witch Project“ oder in „Cloverfield“ hat auch die junge Nadine die letzten Stunden vor ihrem Tod mit der Kamera festgehalten – mit ihrem Smartphone, das beim Feiern in der Disco auch einige ihrer Freunde in der Hand halten durften. Man sollte meinen, die vier Dortmunder Kommissare würden nun keine Zeit verlieren und die wertvollen Beweisvideos sogleich auf Herz und Nieren prüfen – doch Drehbuchautor Jürgen Werner und Regisseur Andreas Herzog bedienen sich eines simplen Kniffs: Die vier Ermittler schauen das Tagebuch nicht einleitend und am Stück, sondern immer mal wieder zwischendurch, wenn gerade mal Zeit ist – als gäbe es viel wichtigere Dinge zu erledigen. Anders würde ihr Krimi auch nicht funktionieren: Den entscheidenden Hinweis auf den/die Mörder/in lüften die Handyclips nämlich erst in den letzten Minuten. Überspitzt ausgedrückt: Hätten Faber & Co. die Videos einfach sofort komplett geschaut, wäre der Fall vielleicht schon sogleich gelöst gewesen. Die konstruierte Häppchentaktik ist einzig und allein dem Spannungsaufbau und dem Zurückhalten der Auflösung geschuldet – zweifellos die größte Schwäche des Krimis.

    Doch das Drehbuch von „Eine andere Welt“ hat auch Stärken: Hauptkommissar Faber, der diesmal spontan ein Waschbecken auf der Herrentoilette des Präsidiums zertrümmert und anschließend gepflegt in die Kloschüssel kotzt, erreicht mit seinen politisch wenig korrekten One-Linern („Jetzt machen Sie mal nicht den Akten-Nazi!“) mühelos „Stromberg“-Niveau und sorgt auch bei der Tathergangsrekonstruktion („Der Slip muss weg!“) mit seiner zunehmend angefressenen Kollegin Bönisch („Der Slip bleibt, wo er ist!“) für köstlich-bissige Pointen. Der Kriminalfall fällt nach dem lauen Münsteraner Verwirrspiel „Die chinesische Prinzessin“, der stark inszenierten, aber anstrengenden Münchener Dominik Graf-Folge „Aus der Tiefe der Zeit“ und dem unterirdischen Erfurter Jugendexperiment „Kalter Engel“ angenehm bodenständig aus und lädt das Publikum mit einer klassischen Whodunit-Konstruktion zum Miträtseln ein. Auch an Lokalkolorit mangelt es dem „Tatort“ aus dem Ruhrpott nicht: Neben dem vorwiegend von seiner tristen Seite eingefangenen Phoenix-See spielt auch das berühmte Dortmunder „U“ in der alkoholschwangeren Disconacht eine entscheidende Rolle.

    Zudem zahlt es sich im dritten „Tatort“ aus der Ruhrpottmetropole erstmalig aus, dass mit den privat liierten Daniel Kossik und Nora Dalay zwei engagierte Jungkommissare mit von der Partie sind: Dalay schmeißt  sich ins „kleine Schwarze“ und ermittelt Undercover in dem Nobelclub, in dem die deutlich älteren Faber oder Bönisch unter den jugendlichen Partygästen sofort als Schnüffler enttarnt worden wären. Dass die kesse Dalay von den ebenso tatverdächtigen wie verzogenen Schnöseln Konstantin Prinz (Sergej Moya, 2010 herausragend im starken Saarbrücker „Tatort: Hilflos“ ) und Lars von Hesseling (Anton Rubtsov, „Mittlere Reife“) sogleich zum Wodkatrinken eingeladen wird, wirkt nicht vollends glaubhaft, bringt die Ermittlungen aber deutlich mehr voran als ihre ermüdenden Diskussionen mit Lover Kossik, der sie gern auf eine türkische Hochzeit begleiten möchte. Hier offenbart sich einmal mehr das Dilemma im Dortmunder „Tatort“: Bei vier Kommissaren – dem größten aktuellen Ermittlerteam – sind die minutenlangen Sequenzen aus deren Privatleben trotz der lobenswerten Figurenzeichnung einfach zu viel, weil sie den Kriminalfall immer wieder ausbremsen. Auch der ungewohnt nachdenkliche Faber gibt diesmal viel aus seiner Vergangenheit preis. Ganz anders Bönisch: Die schickt ihren knackigen Callboy (Jo Weil, „Verbotene Liebe“) kurz und knapp in die Wüste („Ich brauch was Neues.“).

    Fazit: Nicht wirklich schlecht, aber auch nicht wirklich gut – „Eine andere Welt“ ist Krimi-Mittelmaß  pur und setzt den Trend der noch nicht stimmig wirkenden „Tatort“-Folgen aus Dortmund fort.

     

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