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    Das Appartement
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Das Appartement
    Von Ulrich Behrens

    „Das Apartment” gehört zu der Sorte dramatischer Komödien, oder soll man sagen komödiantischer Dramen, die auf den ersten Blick sehr leicht und fast beschwingt von den Problemen und Schwächen von Menschen in der Großstadt erzählen.

    Der schon fast grenzenlos gutmütige C.C. Baxter (Jack Lemmon) ist Sachbearbeiter in der Prämienabteilung der New Yorker Versicherungsgesellschaft „Consolidated”, Single und bewohnt ein hübsches Appartement. Sein Leben verläuft in ruhigen Bahnen; ein Tag gleicht dem anderen. Doch irgendwann hat Baxter, von dem alle Kollegen wissen, dass er allein lebt, sein Appartement einem von ihnen stundenweise für ein Schäferstündchen zur Verfügung gestellt. In Baxters Leben kommt Bewegung; denn diese Gefälligkeit hat sich im Eiltempo bei allen verheirateten Männern in der Versicherung herumgesprochen.

    Von da an wird Baxters Appartement mehr oder weniger zu einem Stundenhotel. Die Ehemänner und deren Geliebte geben sich die Klinke in die Hand – bis hinauf zu Personalchef Sheldrake (Fred MacMurray), der für seine Liaison mit der Fahrstuhlführerin Fran Kubelik (Shirley MacLaine) Baxters Wohnung in Anspruch nimmt.

    So muss sich C.C abends in Bars oder sonst wo herumtreiben, manchmal auch im Freien auf einer Parkbank nächtigen. Folgen: Chronischer Schnupfen, lobendes Schulterklopfen und eine Beförderung bei „Consolidated”. Eigentlich geht ihm das alles über die Hutschnur, doch Baxter ist unfähig, dem Treiben ein Ende zu bereiten.

    Als dann am Weihnachtsabend Fran in C.C.’s Appartement versucht, sich mit Schlaftabletten umzubringen, weil Sheldrake sich nie von seiner Frau trennen würde und Fran für ihn immer nur das fünfte Rad am Wagen, eine stundenweise Geliebte, bleiben würde, rettet ihr Baxter das Leben ...

    Es ist nicht von ungefähr, dass Wilder eine Versicherungsgesellschaft, ausgerechnet auch noch mit dem Namen „Consolidated”, zum Verbindungsglied seiner Figuren in diesem Film gemacht hat. Man versichert gegen die Risiken des Lebens, gegen alle Unbill; das Leben wird „konsolidiert”. Das Versprechen einer jeden Versicherung ist, Menschen behagliche Sicherheit zu bieten. Doch alle – die Versicherer wie die Versicherten – wissen letztlich, dass es solche Sicherheit nicht gibt.

    Die Figuren in Wilders Film machen sich vor allem selbst etwas vor: Die verheirateten Männer sind unfähig, wirklich zu lieben, betrügen ihren Frauen und ihre Geliebten, allen voran Personalchef Sheldrake. Fran bildet sich ein, J.D. würde sie wirklich lieben, und verspricht sich ein Leben mit Sheldrake, in dem Heimlichkeiten endlich aufhören. Baxter ergeht sich in Gefälligkeiten, Gutmütigkeit und falsch verstandener Kollegialität und Freundschaft, vielleicht auch in der klammheimlichen Hoffnung, für seine Nachgiebigkeit das zu bekommen, was er auch erhält: Beförderung. C.C. arbeitet in der Prämienabteilung und genauso verläuft sein Single-Dasein: Prämien bekommt er von den Kollegen, deren Lebenszweck nur noch darin zu bestehen scheint zu betrügen: ihre Frauen und ihre Versicherten, denen sie eine – nötige oder unnötige – Versicherung nach der anderen aufschwatzen. Ständig suchen sie nach der Erfüllung ihres Lebens und ergehen sich in Äußerlichkeiten und (Selbst-)Betrug.

    Das Leben in New York als Tauschgeschäft: Gibt’s Du mir, geb ich Dir, alles hinter einer brüchigen Fassade von vorgetäuschter Moral und Sicherheit. Die Geschäftsmoral ist genauso doppelbödig wie die private. Nicht Sicherheit, Verachtung prägt die Beziehungen. Wilder reizt dieses Spiel bis zur Groteske hin aus. Sheldrake verliert Fran. Das Appartement wird für die Herren geschlossen. Wilder siegt am Schluss – zumindest moralisch – über die Verlogenheit: C.C. und Fran finden zu sich selbst und zueinander, ausgerechnet am Sylvesterabend, an dem die anderen ihre guten Vorsätze bekunden, an die sie selbst nicht glauben.

    „Das Appartement” ist bösartige, scharfe Gesellschaftskritik, aber nicht bösartig zu seinen Figuren. Wilder gelingt dies, indem er zwar die Fassade wegreißt, Sheldrake und die anderen jedoch nicht als Menschen desavouiert, sondern „nur” ihr Verhalten bloßstellt.

    Das Gespann Lemmon, MacMurray und MacLaine hätte nicht besser gewählt werden können. Lemmon spielt hier, was er in fast allen seinen Filmen, besonders mit Walter Matthau, gespielt hat: den in sich und in der Welt um sich verlorenen Einzelgänger, der sich abmüht, nach seinen Vorstellungen handelt, die sich als unzureichend erweisen, und doch am Schluss irgendwie einen Sieg davonträgt: den sympathischen Looser auf Zeit, der die Realität doch irgendwie besiegt, ohne sich selbst zu vergewaltigen; den Verlorenen, der genug innere Kraft besitzt, sich zu verändern und gleichzeitig zu bleiben, wer er ist.

    „Das Appartement” ist auch heute noch eine der sehenswertesten Komödien der Filmgeschichte. Wilder treibt seine Moralkritik fast bis zum Exzess, aber eben nur fast. Der Film endet nicht mit einem vernichtenden Sieg über die in ihrem Verhalten bloßgestellten Figuren, also als Sieg eines Moralapostels, sondern in einer beinahe freundschaftlichen Geste.

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