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    Tolkien
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tolkien

    Der steinige Weg nach Mittelerde

    Von Antje Wessels

    Es soll ja tatsächlich Leute geben, die Peter Jacksons epochale „Der Herr der Ringe“-Trilogie bis heute nicht gesehen haben. Aber die gleichnamige Buchvorlage von J.R.R. Tolkien zählt ja auch so zu den erfolgreichsten Romanen des 20. Jahrhunderts – und so dürfte der Name des Schriftstellers selbst all jenen ein Begriff sein, die sich bisher noch nicht gemeinsam mit Frodo, Gandalf und Co. in ein Mittelerde-Abenteuer gestürzt haben. Schon als junger Vater erzählte John Ronald Reuel Tolkien seinen Kindern aufregende Fantasy-Geschichten, aus denen 1937 „Der Hobbit“ und einige Jahre später schließlich die „Herr der Ringe“-Saga hervorgingen.

    Der Rest ist (Film-)Geschichte, deren Faszination bis heute nahezu ungebrochen anhält: Zwischen 2012 und 2014 erschien eine „Der Hobbit“-Adaption ebenfalls wieder in Form von drei Peter-Jackson-Blockbustern, Ende 2020 soll zudem die erste Staffel einer „Herr der Ringe“-Prequel-Serie erscheinen. Dabei wird die Amazon-Prime-Produktion voraussichtlich die teuerste Serie aller Zeiten. Und würden die Erben von J.R.R. Tolkien nicht mit Argusaugen über die Hinterlassenschaften des Schriftstellers wachen, bekämen wir inzwischen vermutlich im Wochentakt neue Geschichten aus dem „Herr der Ringe“-Kosmos zu sehen.

    Tolkien am College - die letzten glücklichen Tage vor den Schrecken des Ersten Weltkriegs.

    Immerhin ein bisschen über die Wartezeit bis Ende 2020 hinwegtrösten soll nun das erste Biopic über J.R.R. Tolkien überhaupt: In „Tolkien“ inszeniert der bisher vor allem in seiner Wahlheimat Finnland bekannte Regisseur Dome Karukoski („Kaffee mit Milch und Stress“) den Werdegang des zukünftigen Bestseller-Autors als steinigen Weg zwischen heiteren College-Erfahrungen, erschütternden Kriegstraumata und einem gebrochenen Herzen. Die Drehbuchautoren David Gleeson („Don’t Go“) und Stephen Beresford („Pride“) lassen dabei keinen Zweifel daran, dass dieser John Ronald Reuel Tolkien eigentlich ein ganz normaler Typ war, der eher durch Zufall zu seinem späteren Triumph gelangt ist. Das ist zwar sympathisch, aber damit könnte „Tolkien“ genauso gut auch eine fiktionale Geschichte über die Erfahrungen eines jungen britischen Mannes rund um den Ersten Weltkrieg sein. Dass es hier nämlich tatsächlich um den J.R.R. Tolkien geht, scheint nur selten durch.

    John Ronald Reuel Tolkien (Nicholas Hoult) wächst Ende des 19. Jahrhunderts wohlbehütet im ländlichen Sarehole Mill, einem Vorort von Birmingham und spätere Inspiration für das Auenland, auf. Er besitzt schon in jungen Jahren eine blühende Fantasie und erzählt seinen Geschwistern regelmäßig ausgedachte Geschichten. Als er eines Tages die schöne Edith (Lily Collins) kennenlernt, lässt er dieses Talent auch in die langen Gespräche mit ihr einfließen. Die beiden verlieben sich ineinander und sind glücklich, bis Tolkien ein Stipendium für das Exeter College in Oxford erhält, weshalb er Edith 1910 allein auf dem Land zurücklässt. Während er sich an der Universität seiner zweiten großen Leidenschaft, den Sprachen, widmet und dabei auch viele neue Freundschaften knüpft, kann er seine Edith einfach nicht vergessen. Das geht so, bis er im Sommer 1916 schließlich eingezogen wird und sich neue Themen in den Vordergrund drängen: Schließlich tobt in Europa gerade der Erste Weltkrieg...

    Mittelerde nur eine Randnotiz

    Mad Max: Fury Road“-Star Nicholas Hoult weist schon rein optisch eine gewisse Ähnlichkeit zu dem jugendlichen Schriftsteller auf. Aber viel wichtiger ist, wie er die natürliche Schüchternheit von J.R.R. Tolkien mit dessen ungebremster Begeisterungsfähigkeit für (Fantasie-)Sprachen zu kombinieren versteht: Wenn Tolkien im Film vor seiner Herzdame über die Schönheit des Ausdrucks „cellar door“ („Kellertür“) philosophiert, dann blüht auch Hoult regelrecht auf, nachdem er als Tolkien zuvor lange Zeit sogar zu schüchtern schien, auch nur die Hand seiner Auserwählten flüchtig zu berühren, um bei all der wortgewandten Flirterei endlich mal den nächsten Schritt zu machen.

    Die Liebesgeschichte zwischen Tolkien und Edith Bratt, die Lily Collins („Love, Rosie“) hier als resolute Frau verkörpert, die genau weiß, was sie will, nimmt in „Tolkien“ viel Raum ein. Selbst in den Szenen, in denen John gar nicht mit Edith interagiert, etwa nach seinem Weggang nach Oxford, ist Ediths Einfluss auf ihn permanent zu spüren. Sei es nun, weil es ihm nicht guten Gewissens möglich ist, eine andere Frau näher kennenzulernen, oder weil Edith ihm gerade via Brief mitgeteilt hat, dass sie jemand anderen heiraten wird. Auch ohne zu ausführlich auf den weiteren Verlauf dieser Liebesgeschichte einzugehen, lässt sich „Tolkien“ so guten Gewissens als „im Kern eine Romanze“ beschreiben.

    Seine geliebte Edith kann Tolkien einfach nicht vergessen - weder im College noch im Krieg.

    Hinter den romantischen Verwicklungen zwischen John und Edith muss der Rest zurückstecken. Neben der technisch schick aufgemachten, aber spannungsarm inszenierten Zeit am College gilt dies vor allem für die Szenen an der Front: Dabei sind gerade das die wenigen Momente in „Tolkien“, in denen Dome Karukoski einen direkten Bezug zwischen den Erlebnissen des jungen Schriftstellers und seinem späteren Werk herstellt. Dafür lässt er aus dem Schlachtfeld riesige, feuerspeiende, zumindest solide animierte Drachen emporsteigen oder berittene Krieger durch das zerbombte Ödland galoppieren. Das sieht zwar imposant aus, zugleich wirken derartige Szenen in ihrer küchenpsychologischen Ausdeutung aber auch ziemlich plump – nicht zuletzt, weil der reale J.R.R. Tolkien in seinen Büchern ja gerade aufgrund seiner Weltkriegserfahrungen auf allzu ausgiebige und damit selbstzweckhafte Schlachtszenen verzichtete. (Was Peter Jackson später daraus gemacht hat, steht hingegen noch mal auf einem ganz anderen Blatt.)

    Fazit: Nicholas Hoult mimt glaubhaft einen jungen J.R.R. Tolkien. Doch der Film selbst ist vor allem eine durchschnittliche Liebesgeschichte mit Kriegsfilmeinschüben, in der nur wenige und dann mitunter sogar unpassende Verbindungen zwischen dem Leinwandprotagonisten und dem literarischen Werk von J.R.R. Tolkien herausgearbeitet werden.

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