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    Amnesia
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Amnesia
    Von Carsten Baumgardt

    Er stand für Größen der französischen Nouvelle Vague wie Jean-Luc Godard („Die Karabinieri“), Eric Rohmer („Die Bäckerin von Monceau“) und Jacques Rivette („Theater der Liebe“) vor der Kamera und inszenierte neben Kultfilmen wie „More“ oder „Barfly“ auch Hollywood-Hits wie „Weiblich, ledig, jung, sucht...“ oder „Mord nach Plan“. Jetzt meldet sich der schweizerisch-französische Autorenfilmer und Produzent Barbet Schroeder sieben Jahre nach dem eleganten Sado-Maso-Arthouse-Thriller „Das Geheimnis der Geisha“ als Regisseur zurück. Sein 2015 bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführtes Comeback „Amnesia“ ist ein Drama mit einer reizvollen Idee, das sich dann allerdings als überaus spröde und weitgehend leblose Angelegenheit erweist.

    1990: Die Berliner Mauer ist gefallen, ein Volk befindet sich im Aufbruch. Der 25-jährige DJ Jo (Max Riemelt) will die boomende Partyszene auf Ibiza mit seiner Musik erobern. Er mietet sich eine schicke Finca und trifft schon bald auf seine einzige Nachbarin Martha (Marthe Keller). Der junge Mann und die 70-jährige Frau freunden sich an, aber auf alles Deutsche reagiert sie allergisch: Sie weigert sich, in einen VW zu steigen, trinkt keinen Riesling und mag auch die deutsche Sprache nicht hören…

    „Amnesia“ heißt einer der angesagtesten Clubs auf Ibiza, wo Barbet Schroeder 1969 mit „More“ (ein filmischer LSD-Trip mit einem Soundtrack von Pink Floyd) seine Regiekarriere begann. Zugleich ist Amnesie aber auch das, was Martha den Deutschen kollektiv unterstellt (obwohl sie seit dem Krieg keinen Fuß mehr in das Land gesetzt hat): Die Deutschen verdrängen in ihren Augen die Erinnerung an den Holocaust und vergessen das millionenfache Leid, das damals angerichtet wurde. Dieses Thema etabliert Barbet Schroeder derart durchsichtig, schematisch und unelegant, dass es schon ärgerlich ist, selbst wenn er mit dem Jahr 1990 eigentlich den perfekten Zeitpunkt für seine Geschichte gewählt hat: Nach der Wiedervereinigung war ganz Europa verunsichert, ob das wiedererstarkte Deutschland nun womöglich in alte Muster zurückfällt oder sich tatsächlich zu etwas Neuem weiterentwickelt.

    Es fällt nicht leicht, den von Max Riemelt („Die Welle“, „Im Angesicht des Verbrechens“) bewusst naiv gespielten DJ Leichtfuß („I record sounds and then I loop them. It’s called looping!“) als lebendige Figur ernst zu nehmen – sein Charakter wirkt vollkommen durchkonstruiert, ist mehr These als Mensch. Auch Marthe Kellers deutlicher deutscher Akzent beim Englischsprechen erweist sich als dramaturgisches Problem: Wenn Jo später – quasi als großer Twist – erfährt, dass sie selber Deutsche ist, fragt man sich schon, wie zum Teufel er das vorher nicht raushören konnte (womöglich schafft die deutsche Fassung da Abhilfe). Schroeder ordnet seiner Allegorie auf die Versöhnung der Generationen alles andere unter – so bleibt „Amnesia“ immer nur dramaturgisches Konstrukt, eine Diskussion über die Schuld der Weltkriegs-Deutschen und die Folgen für die jüngeren Generationen verpackt in einem spröden Kammerspiel.

    Während Schroeder sein historisches Anliegen durch die anachronistisch-theaterhafte Inszenierung unnötig ins Abstrakt-Theoretische entrückt, überrascht und überzeugt „Amnesia“ zumindest als ultra-schräges Beziehungsstück, denn hier ist der Regisseur radikal-konsequent und wild im Herzen: Die erotisch aufgeladene Spannung zwischen den beiden ist vom ersten Moment an unterschwellig spürbar, selbst wenn man das als Zuschauer zunächst kaum ernst nimmt, weil der Altersunterschied so groß ist (und es sich hier anders als bei „Harold und Maude“ eben nicht um eine offensichtlich grotesk-schwarze Komödie handelt). Trotzdem zieht Schroeder die Nummer konsequent durch und bringt den 25-Jährigen schließlich mit der rüstigen 70-Jährigen zusammen.

    Wer Bruno Ganz („Der Untergang“) für eine internationale Produktion engagiert, der weiß, was er bekommt: Der Schweizer gibt mal wieder schauspielerisches Vollgas und absolviert im finalen Akt als kriegserfahrener Großvater einen Hasardeur-Auftritt als unverwüstliche Rampensau - nicht gerade subtil, aber eine willkommene Belebung. Marthe Keller („Der Marathon Mann“) spielt die in der Vergangenheit verhaftete Martha zwar konsequent stur, aber dabei nicht ohne Charme. Es ist immer klar, wie sehr es in ihr arbeitet und wie sehr ihr die Ibiza-Invasion der Deutschen verhasst ist, die Hitlers VW-Käfer fahren und die Sprache der Nazis sprechen. Damit bezieht sich Schroeder übrigens direkt auf seine eigene deutsche Mutter, die ihm einst verbot, Deutsch zu sprechen, und sich weigerte, von ihren Erlebnissen im Berlin der 1930er Jahre zu berichten.

    Fazit: Barbet Schroeder stellt in seinem Drama „Amnesia“ die deutsche Gewissensfrage - allerdings in einem trocken theoretischen und deshalb oft leblosen Film.

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