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    Tatort: Hydra
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Hydra
    Von Lars-Christian Daniels

    Als im Februar 2014 die Dreharbeiten zum fünften Dortmunder „Tatort“ begannen, waren die Anti-Islamisierungsbewegung PEGIDA oder die von vielen Rechtsextremen durchsetzten „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) noch Zukunftsmusik. Anlass für den WDR, einen „Tatort“ zum Thema Fremdenfeindlichkeit zu drehen, dürfte damals eher der NSU-Skandal gewesen sein – und so überrascht es nicht, dass im „Tatort: Hydra“ auch der Verfassungsschutz und das Einschleusen von V-Männern in die rechte Szene eine entscheidende Rolle spielen. Die TV-Premiere des Krimis erfolgt nun pikanterweise zu einem Zeitpunkt, an dem in Deutschland wieder Anschläge gegen Asylunterkünfte zu beklagen sind und das Thema Ausländerfeindlichkeit regelmäßig die Titelseiten der Gazetten füllt: Regisseurin Nicole Weegmann („Mobbing“) inszeniert einen spannenden und zeitgemäßen Neonazi-Krimi, der für reichlich Gesprächsstoff sorgen dürfte.

    Kai Fischer, der Anführer der rechtsextremen Gruppierung „Nationale Soziale“, wird erschossen in Dortmund aufgefunden. Seine hochschwangere Frau Tanja (Emily Cox) ist sich sicher, dass Jedida Steinmann (Valerie Koch) hinter der Tat steckt, die Leiterin einer Beratungsstelle gegen rechte Gewalt. Deren Mann wurde selbst das Opfer eines Mordanschlags, den man dem hauptverdächtigen Kai Fischer allerdings nicht hatte nachweisen können. Die Dortmunder Hauptkommissare Peter Faber (Jörg Hartmann), Martina Bönisch (Anna Schudt), Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske) nehmen die Ermittlungen auf, die sich besonders für Dalay und Kossik als gefährlich erweisen: Während die türkischstämmige Hauptkommissarin beim Verhör kein Blatt vor den Mund nimmt und schon bald ins Visier vermummter Schläger gerät, muss ihr Kollege und Ex-Lover gegen seinen rechtsextremen Bruder Tobias Kossik (Robert Stadlober) ermitteln...

    Wir sagen laut, was die schweigende Mehrheit denkt“, brüstet sich der Verdächtige Nils Jacob (Franz Pätzold) mit einer Parole, die auch von Thilo Sarrazin, der AfD oder von den in den Wochen vor der Erstausstrahlung dieses Krimis reihenweise vor die Mikrofone gezerrten PEGIDA-Demonstranten stammen könnte. Drehbuchautor Jürgen Werner, der auch die Skripts zu den ersten vier Dortmunder „Tatort“-Folgen konzipierte, skizziert die rechte Szene und ihre Sympathisanten in all ihrer Vielschichtigkeit und zeigt neben einigen kahlrasierten Mitläufern in Springerstiefeln vor allem Protagonisten, die nicht sofort als Neonazis zu erkennen sind: Kossik-Bruder Tobias (Robert Stadlober, „Crazy“) könnte man mit Wuschelfrisur und schwarzer Mütze optisch ebenso der linken Szene zuordnen wie seine pinkhaarige Freundin Lena Keller (Natalia Rudziewicz). Auch in Jacobs Wohnung hängen keine Hakenkreuze an den Wänden. Entsprechende Fahnen schmücken nur die Unterkunft von Stefan Tremmel (Rolf Peter Kahl), der den gemeinhin bekanntesten Neonazi-Typus verkörpert und von Faber und Dalay mit der originellen „Türkischer Bulle, deutscher Bulle“-Verhörmethode mühelos aufs Kreuz gelegt wird.

    Der „Tatort: Hydra“ (der Titel bringt gekonnt auf den Punkt, dass der Kopf der rechten Szene durch Fischers Tod nur vorübergehend abgetrennt ist) ist ein mutiger, kompromissloser Krimi, in dem die Kommissare politisch Stellung beziehen und sich nicht scheuen, unbequemen Klartext zu sprechen. Während Dalay („Wollen Sie mit der Türkin wieder vor der Nazi-Nase rumwedeln?“) lernen muss, dass ihre türkische Abstammung als Provokationsmittel genutzt werden kann, gibt sich Faber gewohnt launisch und gegenüber den Neonazis fast kumpelhaft. Weil der exzentrischste aller „Tatort“-Kommissare schon mit wenigen Worten das Vertrauen der Rechtsradikalen gewinnt, entlarven die Filmemacher deren Weltbild auch ohne große Brandreden – man stelle sich vor, wie dick der WDR wohl in einem Kölner „Tatort“ mit Moralapostel Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) aufgetragen hätte. Dass sich auch die Ermittler unfreiwillig politisch vorbelasteten Vokabulars bedienen, demonstriert der clevere Nils Jacob am Beispiel „Drittes Reich“ – und belegt damit eindrucksvoll, wie leicht man heutzutage auch nach einer vermeintlich neutralen Äußerung in die rechte Ecke gestellt werden kann.

    Der fünfte Dortmunder „Tatort“ ist der bisher beste – was auch daran liegt, dass die Vorgeschichte der vier Kommissare bei deren letztem Auftritt im „Tatort: Auf ewig Dein“ zu Ende erzählt wurde und die Fronten für die Zukunft geklärt sind. Der Umgangston ist harsch und aggressiv, die Stimmung im Polizeipräsidium auch durch die Suche nach einer „Ratte“ vergiftet, und die frisch getrennten Dalay und Kossik sind als Ermittlerduo kaum noch tragbar. Der Kommissarin, die ein Kind von Kossik abgetrieben hat, kommt diesmal eine Schlüsselrolle zu, was Aylin Tezel („Coming In“) Gelegenheit gibt, auch im „Tatort“ endlich einmal zu zeigen, was schauspielerisch in ihr steckt: Ein brutaler Anschlag trifft Dalay dort, wo es ihr besonders wehtut – es ist die heftigste Szene in einem mitreißenden Krimi, dem erst im Schlussdrittel ein wenig die Puste ausgeht. Auch über die Beziehung der Kossik-Brüder, deren Vorgeschichte nur angerissen wird, hätte man gerne etwas mehr erfahren. Und Faber? Der kippt diesmal beim Frühstück mit einem Obdachlosen Korn in seinen Kaffee und ist bei seinen (wie immer mit köstlichen One-Linern gespickten) Ego-Touren einzig von Kollegin Bönisch zu bändigen.

    Fazit: Regisseurin Nicole Weegmann legt den Finger auf den Puls der Zeit und inszeniert mit dem „Tatort: Hydra“ einen spannenden und authentischen Neonazi-Krimi, der mit vielen starken Dialogen aufwartet.

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