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    Love & Engineering
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Love & Engineering
    Von Thomas Vorwerk

    Geeks und Nerds sind eine treibende kulturelle Kraft geworden. Die einstigen Außenseiter mit streng wissenschaftlichen Berufungen bzw. realitätsfremdem Interesse an leicht abseitigen Populärphänomenen (Comichefte, Computerspiele, Science Fiction und Fantasy) stellen heute - ähnlich wie die Kleinkinder, um die sich vor den Teletubbies auch kaum jemand kümmerte - ein ernstzunehmendes multimediales Zielpublikum mit Berührungspunkten zu traditionell bestehenden Bevölkerungsschichten. Plötzlich gibt es Erfolgsgeschichten wie die der Sitcom „The Big Bang Theory“, der Castingshow „Beauty & the Nerd“ oder der Internetplattform „Geek & Sundry“. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein Filmemacher sich dieser Erscheinung widmet: Der in Finnland lebende Bulgare Tonislav Hristov „erforscht“ nun in „Love & Engineering“ ein Problem der Nerds - mit nicht durchgängigem Erfolg.

    Der Dokumentarfilmer beobachtet die Bemühungen seines ebenfalls aus Bulgarien stammenden Freundes Atanas Boyev, vier Informatikern der technischen Universität von Helsinki streng wissenschaftliche Dating-Tipps zu geben. Die Geheimnisse der Liebe werden hier behandelt, als ginge es darum, ein Computerprogramm zu „hacken“: Die in Liebesdingen unerfahrenen oder „gebrannten“ Probanden werden mit freiwilligen weiblichen Versuchskaninchen in ernstzunehmenden Experimenten beobachtet, wie sie die Geruchsempfindungen, Humor und andere zwischenmenschliche Indikatoren einer Paarungsbereitschaft ausloten.

    Was auf den ersten Blick allzu sachlich klingen mag, hat durchaus auch komödiantische und - tatsächlich! - romantische Ansätze. Zwar wird das Mysterium Frau größtenteils dargestellt, als ginge es um eine physikalische Superformel oder den heiligen Gral (inklusive einiger Weichzeichner- und Zeitlupen-Portraits von gutaussehenden jungen Damen in lyrisch frühlingshaftem Naturumfeld oder auf erotisch aufgeladenen Disco-Tanzflächen), doch schon schnell wird den vier Informatikern klar, dass auch Frauen nur Menschen sind. Auch wenn diese sich größtenteils - aus unerfindlichen Gründen! - nicht im geringsten für den Berufsalltag eines Informatikers, LAN-Partys oder das gerade herausgekommene Computerspiel „Mass Effect 3“ interessieren, und man deshalb bei den üblichen Paarungsritualen, zu denen hier auch das Speed-Dating gehört, andere Gesprächsthemen einsetzen muss.

    Teilweise läuft das Coaching ganz ähnlich ab wie bei dem „Freundschafts-Algorithmus“ des aus „The Big Bang Theory“ bekannten Vorzeige-Nerds Sheldon Cooper: Powerpoint-Präsentationen und Flowcharts werden bemüht, Experten aus anderen Bereichen (darunter Psychologen und Insektenforscher) befragt, und oftmals geht es tatsächlich um Fragen, die auch „normale“ Menschen auf Partnersuche sich stellen: Soll ich mich „ehrlich“ geben, wie ich bin, oder lieber eine Person spielen, die den möglichen Erwartungen des Gegenüber entspricht?

    Dass Atanas, der Initiator der Studiengruppe, trotz eines unüberhörbaren Stotterproblems und eines Erscheinungsbildes, das an den Pro7-Moderator Elton erinnert, bereits zu Beginn der zweijährigen Forschungsbemühungen verheiratet ist, macht ihn zum Experten, aber auch der 26jährige Todor, Typ Jay Baruchel, mit ansteckendem Lachen, hat durchaus Chancen bei den Frauen. Todor wird schnell zur eigentlichen Hauptfigur des Films, und seine anfänglich erfolgversprechenden Dating-Erfahrungen mit der blonden Kati prägen den Film auch visuell: Die offensichtlich inszenierten Bilder der jungen Frau, wie sie verliebt in eine quasi-subjektive Kamera schaut, während sie sich mit Todor im Riesenrad oder Kettenkarussell vergnügt, sind von Anfang bis Ende sehr präsent, obwohl sich die nicht über ein paar Dates hinausgehende Romanze nur im Mittelteil des Films abspielt.

    Das Problem des Films, das sich nach den ersten, noch sehr gelungenen, zwanzig Minuten immer stärker abzeichnet, ist die fehlende Struktur, der nachlassende Fokus. Es gibt zu viel filmisches Füllmaterial (mit auf Dauer sehr auf Wiederholung aufbauendem Musikeinsatz). Zwischen Passagen, die zu offensichtlich unterhaltsam sein sollen, dabei aber nicht immer überzeugen, und den anfänglich interessanten Experimenten öffnet sich eine Kluft zu den späteren Szenen, bei denen man die Hauptfiguren inzwischen kennt, aber nur bei Todor in der Lage ist, als Zuschauer auch emotional zu investieren. Der Finne Tuomas, mit 31 Jahren noch Jungfrau, versteckt sich hinter seinen computeranimierten Träumen, DJ zu werden. Der wie Todor, Atanas und der Regisseur aus Bulgarien stammende Andon wird schließlich fast zu einer Bedrohung. Und der trotz positiver Geruchserfolge am schwersten vermittelbar wirkende Markus findet nur dann Zugang zu Frauen, wenn er sich eine Fantasiefigur mit Sonnenbrille und Kapitänsuniform verwandelt.

    An der Stelle, wo der Film persönlich und interessant werden könnte, interessiert sich dann auch Initiator Atanas nicht mehr so sehr um das - aus seiner Sicht gemeisterte - Dating, sondern orientiert sich auf (ebenfalls wissenschaftlich angegangene) Erziehungsprobleme, was innerhalb der Dramaturgie des Films etwas hilflos wie der Übergang zum nächsten „Level“ dargestellt wird, aber trotz des beibehaltenen Humorfaktors (der Vierjährige bekommt zum Geburtstag einen Experimentierkasten) enttäuschend wirkt.

    Fazit: Eine Prämisse, die nicht nur Nerds interessieren könnte, verliert sich im Bemühen des Regisseurs allseits unterhaltsam zu sein. Aus dem ernstzunehmenden dokumentarischen Ansatz wird schließlich doch nur plätscherndes Infotainment, ein zu lang geratener „Galileo“-Beitrag, bei dem der menschliche Faktor leider aus den Augen verloren wird.

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