Mein Konto
    Get - Der Prozess der Viviane Amsalem
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Get - Der Prozess der Viviane Amsalem
    Von Niklas Pollmann

    Als „Get“ oder auch „Gett“ wird im Judentum und auch im israelischen Rechtssystem ein Scheidungsbrief bezeichnet. Da die junge Republik Israel sich entschieden als jüdischer Staat definiert, obliegen auch juristische Entscheidungen nach wie vor tradierten religiösen Prinzipien. Vor allem im Eherecht beeinträchtigt dies massiv die Gleichberechtigung von Mann und Frau. So hat die Frau nur bei bestimmten Problemen in der Ehe (etwa wenn der Geschlechtsakt ausbleibt) das Recht, eine Scheidung einzufordern — und selbst dann besitzt der Mann ein ständiges Vetorecht. Dieses Problem klagt Ronit Elkabetz in ihrem Drama „Get — Der Prozess der Viviane Amsalem“ mit aller Vehemenz an. Was vor allem in Israel große Wellen schlagen dürfte, denn mit Elkabetz, die hier neben der Regie auch die Hauptrolle übernimmt, fasst einer der größten Filmstars des Landes dieses heiße Eisen an und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund.

    Viviane (Ronit Elkabetz) und Elisha Amsalem (Simon Abkarian) sind israelische Staatsbürger marokkanisch-jüdischer Herkunft und schon seit 30 Jahren miteinander verheiratet. Viviane wünscht sich aber seit Anbeginn ihrer Ehe nichts sehnlicher als die Scheidung von ihrem Mann, denn Elisha wird zwar allgemein und sogar von Vivianes Familie als guter und treuer Gatte angesehen, aber er und seine Frau sind einfach zu unterschiedlich, um einander glücklich zu machen. Doch obwohl beide mit der Ehe unzufrieden sind und sie mittlerweile sogar getrennt leben, will sich Elisha nicht scheiden lassen, weil er an den religiösen Wert der Ehe glaubt. Immer wieder macht der Mann Gebrauch von seinem Vetorecht und vereitelt die formale Scheidung. So ziehen die Jahre eines nicht enden wollenden Prozesses ins Land.

    In ihrem Drehbuch äußern Ronit und ihr Bruder Shlomi Elkabetz unmissverständliche Kritik am israelischen Rechtssystem und fordern eine Säkularisierung der Justiz in ihrer Heimat. Ganz offensichtlich ist der Konflikt im Zentrum des Geschehens: Im Scheidungsstreit zwischen Viviane und Elisha Amsalem prallen nicht nur zwei Individuen mit unterschiedlichen Mentalitäten aufeinander, sondern zwei gegensätzliche Weltanschauungen. Elisha steht für die orthodoxen Juden, die den religiösen Einfluss auf die Judikative als Teil ihrer Kultur interpretieren und ihn daher beibehalten wollen. Viviane hingegen repräsentiert die weltlicher orientierten Israeli, die sich für eine Trennung von Staat und Religion einsetzen. In „Get“ wird dieser Konflikt nun nicht über lautstarke Auseinandersetzungen ausgetragen, sondern als zermürbender stiller Kampf der Prinzipien. Ronit Elkabetz spielt ihre Rolle souverän, mit seltenen Momenten großer Emotion, ebenso ruhig ist ihr Gegenüber Simon Abkarian („Casino Royale“), der Elisha als in sich gekehrten Stoiker darstellt. Dessen Verweigerungshaltung wird indes eindeutig als sinnlos dargestellt, sie steht hier nur dem Glück seiner Figuren im Wege. Die Filmemacher ergreifen eindeutig Partei, das Festhalten an den traditionellen Werten ist für sie solange in Ordnung, wie diese niemandem aufgezwungen werden.

    Als Scheidungsdrama aus einem Land mit theokratisch geprägter Rechtsprechung weist „Get“ einige Ähnlichkeiten zum iranischen Oscar-Gewinner „Nader & Simin — Eine Trennung“ auf, in dem Asghar Farhadi ähnlich schonungslos auf das Justizwesen seines Landes geblickt hat. Allerdings sind Ronit und Shlomi Elkabetz kaum darauf bedacht, alle möglichen Beziehungen zwischen den Figuren bis ins kleinste Detail auszuarbeiten, wie es Farhadi tat, sondern im Vordergrund steht einzig die schwierige Lage der Frau im israelischen Rechtssystem. Wenn etwa der Mann die Scheidungsverhandlung einfach boykottiert, dann kann er vom Gericht höchstens mit dem Entzug des Führerscheins oder dem Einfrieren seines Kontos bestraft werden. Die Scheidung aber gibt es ohne seine Einwilligung wie gesagt auf keinen Fall. Die Filmemacher halten das für einen Systemfehler und so zeigen sie uns auch fast nur den amtlichen Teil des Dramas. Von ein paar Einstellungen im Wartezimmer abgesehen ist der Gerichtssaal der einzige Schauplatz des Films. Wir sehen die Verhandlungen, aber wie es in der Ehe im Alltag tatsächlich aussieht oder welche Rolle die erwachsenen Kinder darin spielen, erfahren wir erst gar nicht. Mit dieser wenig dramatischen Erzählweise und der auf Verfahrensfragen konzentrierten Form der Kritik wird vor allem nicht-israelischen Zuschauern der emotionale Zugang zur Protagonistin und zum ganzen Film erschwert: „Get“ ist mehr innenpolitisches Pamphlet als feministisches Drama.    

    Fazit: „Get – Der Prozess der Viviane Amsalem“ überzeugt mit gutem Schauspiel und zielbewusstem Drehbuch, ist aber in seiner starken Konzentration auf sehr spezifische Fragen des israelischen und jüdischen Rechts hauptsächlich für ein Publikum von Kennern interessant.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top