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    Kein großes Ding
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Kein großes Ding
    Von Michael Meyns

    „Ein kleinkrimineller Filmvorführer, ein missbrauchsanfälliger Exgrower und eine hochauflösende Ibizabraut“, so beschreibt der legendäre Underground-Filmemacher Klaus Lemke seinen neuen Film „Kein großes Ding“, der seine Deutschlandpremiere beim 10. Achtung Berlin-Festival feierte. Mit seinen inzwischen 73 Jahren ist Lemke zwar ein paar Jährchen zu alt, um noch als Jungfilmer, als Entdeckung durchzugehen, doch angesichts der ungebrochenen Vitalität, der anarchischen Do-it-yourself-Haltung seiner Filme, ragt Lemke fraglos aus der Masse des deutschen Filmschaffens heraus. Und diesmal ist ihm dann auch wieder ein sehr sehenswerter Film gelungen, was vor allem daran liegt, dass nicht - wie zu oft zuletzt - junge, hübsche, leicht bekleidete Dinger im Mittelpunkt stehen, sondern eine sehr ungewöhnliche Männerfreundschaft.

    Mahmoud (Thomas Mahmoud), der kleinkriminelle Filmvorführer, kommt nach drei Jahren im Knast wieder frei. Vor den Toren steht Tini (Tini Bönig, schon in diversen Lemke-Filmen zu sehen), die hochauflösende Ibizabraut, die gerade keinen anderen Lover hat und so wieder mit Mahmoud anbändelt. Doch der ist bald genervt vom Immergleichen, denn er hat große Pläne: Als Künstler will er Erfolg haben – wie so viele in Berlin – doch wirklich Talent hat er nicht. Aber immerhin einen Agenten und gleichzeitig guten Freund: Henning (Henning Gronkowski), der missbrauchsanfällige Ex-Rauschgiftanbauer, der sich geradezu rührig um Mahmoud kümmert. Ohne Talent und ohne Geld scheint die Karriere jedoch in weiter Ferne, Frauen kommen und gehen, selbst kleine Bühnen erweisen sich als zu groß und am Ende ist alles wie am Anfang.

    Mit seinem Debütfilm „48 Stunden bis Acapulco“ gelang Klaus Lemke 1967 ein Klassiker des deutschen Kinos. Anschließend drehte er noch starke und Aufsehen erregende Filme wie „Negresco – Eine tödliche Affäre“ und „Paul“ und vor allem der Hamburg-Klassiker „Rocker“, den etwa Dominik Graf („Im Angesicht des Verbrechens“) als großen Einfluss bezeichnet. Doch im bürokratischen Subventionsstrudel des deutschen Filmschaffens ist für einen Rebell wie Lemke kein Platz und so dreht Lemke seit Jahren praktisch ohne Geld seine Filme. 50 Euro bekommen Crew und Cast pro Drehtag, bar auf die Hand. Was am Ende bei einem Film rauskommt, entscheidet sich erst während der Dreharbeiten, die stets jungen, oftmals von der Straße weg verpflichteten Darsteller spielen meist nur Variationen ihrer selbst.

    Dass bei dieser Art des Arbeitens die Geschichten oft kaum verständlich sind, Zusammenhänge im Dunkeln bleiben, vieles nicht wirklich Sinn macht, liegt auf der Hand, macht andererseits auch den Charme von Lemkes Filmen aus. Weniger charmant ist dagegen der nicht zu übersehende Sexismus: Frauen sind vor allem jung und hübsch und kaum mehr als Staffage für die Männer, die ihnen hinterher jagen. Dass ist in „Kein großes Ding“ nicht anders, doch im Gegensatz zu etlichen anderen Lemke-Filme jüngerer Vergangenheit geht es diesmal weniger um Beziehungen zwischen Männern und Frauen, sondern um eine innige Männerfreundschaft.

    Warum die so unterschiedlichen Mahmoud und Henning Freunde sind bleibt zwar wie so vieles unklar, doch das macht nichts. Denn mit Henning Gronkowski und vor allem Thomas Mahmoud hat Lemke diesmal zwei Darsteller aufgetrieben, die gute Typen sind. Manchmal stolpern sie zwar über ihre Dialoge und agieren unbeholfen, doch gerade dieses auf den ersten Blick unprofessionelle macht den Charme aus. In den besten Momenten fängt „Kein großes Ding“ das ganz normale Leben ein, in übersteigerter Form zwar, aber doch mit einer Authentizität, die man gerade im deutschen Film nicht oft sieht.

    Dazu tragen die Drehorte irgendwo zwischen Kreuzberg und Neukölln bei, an denen Lemke in seiner typischen Guerilla-Manier drehte, improvisierte, das Leben einfing. Angesichts der kruden Machart, der oft wirren Erzählweise wird Lemke sicher nicht mehr aus seiner Nische herausfinden. Doch in der hat er es sich seit Jahren gut eingerichtet, dreht mit geringstem Budget und immer frischen Gesichtern regelmäßig seine Filme, in einem Maße individuell, wie es die allermeisten anderen Regisseure nie wagen würden. Allein das macht ihn zu einem bemerkenswerten Unikat, dem bisweilen immer noch absolut sehenswerte Filme gelingen.

    Fazit: Mit „Kein großes Ding“ hat Klaus Lemke einmal mehr einen typischen Lemke-Film gedreht – sogar seinen besten in der jüngeren Vergangenheit: anarchisch, improvisiert, auf narrativer Ebene kaum verständlich, aber von großer Energie und Authentizität, die ihn seit Jahren zu einem unverwechselbaren Unikat der deutschen Filmszene macht.

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