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    Wiedersehen mit Brundibár
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wiedersehen mit Brundibár
    Von Katharina Granzin

    „Brundibár“ heißt eine Kinderoper des tschechisch-jüdischen Komponisten Hans Krása, die vor allem durch ihre zahlreichen Aufführungen im KZ Theresienstadt berühmt wurde. Als die Jugendtheatergruppe „Die Zwiefachen“ von der Berliner Schaubühne im Jahr 2012 beschloss, sich mit dem Stück auseinanderzusetzen, wurden die Probenmonate auch zu einer Zeit der intensiven Beschäftigung mit der Nazizeit und dem Holocaust. Filmemacher Douglas Wolfsperger („Der entsorgte Vater“) hat diesen Prozess mit der Kamera begleitet, woraus schließlich die Dokumentation „Wiedersehen mit Brundibár“ hervorging. Der berührende Höhepunkt des engagierten Films ist die Begegnung zwischen den Berliner Jugendlichen und der Auschwitz-Überlebenden Greta Klingsberg, die als 13-Jährige in Theresienstadt die Hauptrolle in „Brundibár“ gesungen hat.

    Die Nationalsozialisten stilisierten das KZ Theresienstadt in dem Propagandafilm „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ (auch unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ bekannt) zu einem Vorzeigelager. Darin ist auch Greta Klingsberg zusammen mit vielen anderen Kindern bei einer „Brundibár“-Aufführung zu sehen, diese Aufnahmen verwendet auch Wolfsperger. Dass die meisten dieser Kinder bald danach in Auschwitz ermordet wurden (wie auch Greta Klingsbergs jüngere Schwester) kommt erst gegen Ende seines Films zur Sprache, bei einer gemeinsamen Reise der Berliner Jugendlichen und der alten Dame nach Terezín im heutigen Tschechien. In der dortigen Gedenkstätte Theresienstadt besichtigen sie den Schlafsaal, in dem Greta damals mit 30 anderen Kindern wohnte, und spüren der Vergangenheit nach. Die verschiedenen Zeitebenen führt Regisseur Douglas Wolfsperger dabei auf ganz natürliche Weise zusammen, weil er der Gegenwart, in der die Jugendlichen leben, ebenso Raum gibt wie der ungleich schwereren Kindheit der damals jungen Greta.

    Drei der jugendlichen Mitglieder der „Zwiefachen“ stellt Wolfsperger exemplarisch in den Mittelpunkt: die 18-jährige Annika, die sich mit ihrer psychischen Störung von den Eltern alleingelassen fühlte und die Schule abgebrochen hat, die gleichaltrige Ikra, die häuslicher Gewalt entkommen ist, und den 23-jährigen David, der eine heftige Drogenkarriere und eine halbstarke Jugend in rechtsradikalen Zusammenhängen erfolgreich hinter sich gelassen hat. Es beeindruckt, wie ernsthaft die drei sich auch mit ihren eigenen Vorurteilen auseinandersetzen – ganz im Gegensatz zu den Vertretern der Generation, die Nazi-Zeit und Weltkrieg selbst noch erlebt hat: Zu den erschütterndsten Szenen im Film gehören die Gespräche, die Ikra als Praktikantin mit alten Menschen in einem Pflegeheim führt. Nach ihren Erinnerungen an damals gefragt, lobt eine alte Dame ihren ehemaligen jüdischen Hausarzt dafür, dass er, als er schon den Stern trug, stets auf die anderen Straßenseite wechselte, um die Familie nicht der Verlegenheit auszusetzen, ihn grüßen zu müssen. Der alte Herr, der neben ihr sitzt, enthält sich ganz einer Antwort und belehrt die neugierige Fragestellerin, sie könne in der Bibliothek Bücher entleihen, aus denen sie alles erfahren könne, was sie wissen wolle.

    Die schwierigen Begegnungen im Pflegeheim unterstreichen letztlich, wie wichtig die aktive Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich nach wie vor ist. Und wenn Greta Klingsberg ihrerseits berichtet, sie habe in Israel nie wirklich mit jemandem darüber sprechen können, was damals passiert sei, dann ist das ein weiterer Beleg dafür. Umso bemerkenswerter ist das vorbehaltlose, von Offenheit geprägte Zusammentreffen der Jugendlichen mit der Holocaust-Überlebenden, das Regisseur Wolfsperger ganz deutlich als Herzstück seines Films positioniert. Dabei steht das Allgemeinmenschliche im Mittelpunkt, der eigentliche Anlass (nämlich die Arbeit an der Oper „Brundibár“) rückt dabei in den Hintergrund. Man kann es wohl noch als nachvollziehbare inhaltliche Entscheidung verbuchen, dass der Zuschauer nur sehr wenig über das Stück und rein gar nichts über den Komponisten Hans Krása erfährt, da die Einführung einer weiteren Ebene vielleicht den Rahmen des Films gesprengt hätte. Warum aber offenbar niemand auf die Idee kam, Greta Klingsberg genauer über die konkreten Umstände der damaligen Probenarbeit oder ihr Verhältnis zu der Oper zu befragen, das ist schon schwerer zu verstehen. Was „Brundibár“ selbst betrifft, bleibt es dabei, dass Annika und Greta zweisprachig ein paar Lieder aus der Oper trällern.

    Fazit: Bewegender Dokumentarfilm über eine Berliner Jugendtheatergruppe und ihre Begegnung mit einer Holocaust-Überlebenden.

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