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    The Tribe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Tribe
    Von Gregor Torinus

    Der ukrainische Regisseur Miroslav Slaboshpitsky verzichtet in seinem Debütfilm „The Tribe“ auf jedes gesprochene Wort – konsequent passend zum Schauplatz des Dramas: einem Internat für Gehörlose. Die gesamte Kommunikation erfolgt im Film über Zeichensprache, der der Kinozuschauer allerdings komplett ohne Untertitel oder eine sonstige Form der Übersetzung folgen muss. Dies wirkt nur zu Beginn wie eine radikale Reduktion. Lässt man sich erst einmal innerlich auf diese Erzählweise ein, eröffnet sich einem eine ganz neue Welt. Doch diese erweist sich in dem herausragenden düster-brutalen Krimi-Drama bald als ziemlich erschreckend.

    Der Zuschauer folgt Sergej (Grigoriy Fesenko), der als neuer Schüler auf ein Internat für Gehörlose in Kiew kommt. Der erste Eindruck ist freundlich: Bei der stummen Feier zum Schuljahresbeginn scheinen sich alle wahrlich wortlos zu verstehen. Doch wie sehr der Eindruck täuscht, muss Sergei gleich feststellen: Im Anschluss wird er von ein paar anderen Jungs auf dem Weg zu seinem Zimmer gezwungen, sich einmal komplett auszuziehen und eine eingehende Leibesvisitation über sich ergehen zu lassen.

    Warum die Jungs bei der „Untersuchung“ des Neuankömmlings so besonders auf Tattoos achten (weil sie vielleicht Zeichen für Verbindungen zur Russenmafia sind?), erschließt sich zu Beginn nicht – wie so vieles im Kosmos von „The Tribe“. Doch trotzdem übt das Krimi-Drama von der ersten Sekunde eine Faszination aus, der man sich nur schwer entziehen kann. Hier sind es nicht die Tauben, die von der Welt der „Normalen“ ausgeschlossen bleiben, sondern es ist eher umgekehrt. Als Zuschauer fühlt man sich außen vor und doch von dem berauschend-originellen „The Tribe“ angezogen. Mitleid hat man dabei keins. Die Internatsschüler offenbaren sich sehr schnell als ausgefuchst, kaltschnäuzig und skrupellos. Der titelgebende „Stamm“ verweist schließlich auch auf die hier regierende kriminelle Jugendgang, die sich ihr Taschengeld mit Schmuggel, Diebstahl und Prostitution aufbessert.

    Regisseur Slaboshpitsky verstärkt die Wirkung seiner Handlung mit seiner nüchternen Inszenierung, die aus vielen ruhigen Aufnahmen mit unbewegter Kamera und langen, geschmeidigen Plansequenzen bestehen. Diese fördern das vollständige Eintauchen in ein Universum, das ganz eigenen Regeln folgt, zusätzlich. Besonders herausragend ist zum Beispiel ein Raubzug in einer Bahn, bei dem sich die Gangmitglieder vollkommen lautlos von einem Ende eines Gangs zum anderem und ins nächste Abteil bewegen müssen. Die totale Stille fördert die ungemeine (An-)Spannung zusätzlich. Auf der anderen Seite zeigt sich jedoch ebenso, dass es fatale Folgen haben kann, wenn das Gehör als Warn-Sinn bei drohender akuter Gefahr ausfällt.

    Fazit: „The Tribe“ ist ein faszinierender Trip in die düstere Welt einer gehörlosen Jugendgang und eine Geschichte, die gleichermaßen abstößt, berührt und schockiert. Am Ende bleibt dann auch der Zuschauer sprachlos zurück…

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