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    Mustang
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mustang
    Von Michael Meyns

    Allzu häufig besteht die „Kunst“ des „Arthouse“-Kinos lediglich darin, die Vorurteile des Publikums von der schlimmen Welt da draußen zu bestätigen, ganz nach dem Motto „Leid ist gleich Anspruch“. Gerade wenn es Filme aus un- oder semidemokratischen Staaten, in deren ländlichen Regionen noch vornehmlich archaische Gesellschaftsformen bestehen, bei uns in die Kinos schaffen, werden darin mit wenigen Ausnahmen Geschichten von Unterdrückung und dem Widerstreit von Tradition und Moderne erzählt. Auch die türkisch-französisch-deutsche Co-Produktion „Mustang“ von Regiedebütantin Deniz Gamze Ergüven, in der fünf Schwestern aus dem Korsett der Tradition ausbrechen wollen, entspricht nun wieder genau diesem Muster – und trotzdem ist Frankreichs Beitrag im Rennen um den Oscar für den Besten nicht-englischsprachigen Film 2015 sehr sehenswert: Das liegt hier nämlich weniger an der konventionellen (Arthouse)-Handlung, als vielmehr an der außerordentlich effektiven Inszenierung, denn Ergüven vermittelt mit flirrenden Bildern ein ansteckendes Gefühl von Freiheit und Lebensfreude.

    Die Eltern der fünf Teenager-Schwestern, die bei  Verwandtem in der Nähe von Trabzon an der türkischen Schwarzmeerküste leben, sind schon lange tot. Womöglich hat dieser Schicksalsschlag die Mädchen besonders nahe zusammengebracht, auf jeden Fall aber bilden sie einen unzerstörbaren Bund – gegen die Traditionen, gegen die Vorschriften, gegen die Männerwelt. Sie wollen frei sein und so leben, wie es ihnen passt, sich das anziehen, was ihnen gefällt. Aber gegen die althergebrachten Strukturen kommen sie nicht an, eine nach der anderen wird nach Gutdünken der Familienoberen verheiratet. Zuletzt ist es die jüngste  Schwester Lale (Güneş Nezihe Şensoy), die versucht, der drohenden Zwangsheirat zu entkommen und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen …

    Hätte ein Mann die Einstellungen von den Mädchen mit ihrem wehenden Haar und den oft verrutschten Kleidern gefilmt, die tiefe Einblicke gewähren, hätte er dafür womöglich heftige Kritik einstecken müssen. Aber wenn Regisseurin Ergüven ihre Protagonistinnen und deren erwachende Sinnlichkeit in weiches Licht taucht, dann lässt sie den zunehmenden Verlust der Freiheit nur noch bedrückender und schmerzlicher erscheinen. Das ohnehin abgelegene Haus, in dem die Schwestern mit ihrem Onkel und der Großmutter leben, wird mit immer neuen Gittern und immer höheren Mauern nach und nach regelrecht zu einer Festung ausgebaut, in der vor allem die Männer der Familie die jungen Frauen einsperren wollen. Das ist sicher keine subtile Metapher, aber doch eine treffende, zumal Ergüven auf der anderen Seite auch von weiblicher Solidarität erzählt: Wenn es darauf ankommt, ist auch die Großmutter auf der Seite der Mädchen, selbst wenn sie es nicht wagt, sich offen gegen die Herrschaft der Männer zur Wehr zu setzen: Nicht zuletzt dank solcher speziellen Momente ist „Mustang“ ein bemerkenswerter Film. Die pulsierenden Bilder und die warme Atmosphäre verleihen der schematischen Handlung einen ästhetischen und letztlich auch erzählerischen Mehrwert.

    Fazit: Inhaltlich konventioneller, aber mitreißend inszenierter Debütfilm, in dem sich fünf Schwestern nicht den erdrückenden Konventionen einer archaischen Gesellschaft in der türkischen Provinz unterwerfen wollen.

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