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    Die Welt sehen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Welt sehen
    Von Christoph Petersen

    Auf dem Heimflug von Afghanistan legt die Einheit von Aurore (Ariane Labed, „The Lobster“) und Marine (Soko, „The Dancer“) einen Zwischenstopp auf Zypern ein – hier sollen die Soldaten nach der Anspannung des mehrmonatigen Einsatzes erst einmal in einem Luxus-Strandhotel runterkommen (offizieller Militärslang: „Dekompression“), bevor sie nach ein paar Tagen wieder in ihren zivilen Alltag in der französischen Provinz überwechseln. Die heimkehrenden Protagonisten aus „Die Welt sehen“ wirken zwischen den Touristen aber nicht nur wegen ihrer Uniformen wie fehlplatzierte Fremdkörper – obwohl es tatsächlichen militärischen Abläufen nachempfunden ist, wirkt das widersprüchliche Szenario vollkommen surreal. So bringen die Regieschwestern Delphine und Muriel Coulin („17 Mädchen“) die ganze Absurdität des Krieges treffend-brutal auf den Punkt, ohne auch nur ein einziges Bild aus dem eigentlichen Krisengebiet zeigen zu müssen – der Kontrast zwischen den vor allem psychisch gezeichneten Soldaten und dem Rest der partymachenden Hotelgästen reicht vollkommen aus. Die klassische Spannungsdramaturgie im finalen Drittel des Kriegsdramas, in dem einige der noch immer bis zum Bersten angespannten Soldaten mit ihren Posttraumatischen Belastungsstörungen als tickende Zeitbomben inszeniert werden, hätte da gar nicht mehr notgetan.

    Visuell stechen vor allem die Gruppensessions heraus, in denen die Soldaten ihre traumatischen Erlebnisse vortragen und so gemeinsam verarbeiten sollen. Das Besondere daran: Die Militärtherapeuten verwenden als Unterstützung eine spezielle (tatsächlich existierende) Virtual-Reality-Technik, mit deren Hilfe ein Programmierer das Erzählte in Echtzeit als künstliche Realität „nachbaut“: Während der aktuell Vortragende eine VR-Brille trägt und etwa einen Überfall auf einen Konvoi noch einmal als 3D-Simulation erlebt, wird das Szenario für seine Kameraden als Quasi-Live-Stream an die Wand hinter dem Erzählenden geworfen. Das genial Widersprüchliche an diesen Szenen: Dem Kinopublikum bringen die Pixel-Bilder die Schrecken des Krieges noch näher, obwohl sie im Rahmen der Dekompression dazu dienen sollen, dass sich die Soldaten durch das erneute Durchleben der Geschehnisse als computerspielartige Pseudo-Realität innerlich von ihnen distanzieren.

    Fazit: Ein faszinierend anderer Anti-Kriegsfilm.

    Wir haben „The Stopover“ im Rahmen der 69. Filmfestspiele von Cannes gesehen, wo der Film in der Reihe Un Certain Regard gezeigt wurde.

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