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    Das fehlende Grau
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Das fehlende Grau
    Von Ulf Lepelmeier

    Einsam, unglücklich und extrem in ihrer Art mit anderen Menschen umzugehen: So ist die namenlose Protagonistin des Debütfilms der Regisseure Nadine Heinze und Marc Dietschreit. Deren Drama „Das fehlende Grau“ ist ein aus vier parallel erzählten Teilen bestehendes Psychogramm einer jungen Frau, die in unterschiedliche Rollen schlüpft, um Männer anzuziehen wie das Licht die Motten und die es genießt, die potenziellen Kurzzeitpartner um sich kreisen und sie schließlich an sich verbrennen zu lassen.

    Innerlich zerrissen und tieftraurig geht eine junge Goldschmiedin (Sina Ebell) nachts auf die Jagd nach Männern. Sie genießt es die Blicke der Fremden auf sich zu spüren und sie regelrecht anzustacheln. Letztlich spielt sie mit den Fantasien ganz unterschiedlicher Männer und bringt drei von ihnen (verkörpert von Rupert J. Seidl, Albert Bork und Alexander Steindorf) dazu, sie mit nach Hause oder ins Hotel zu nehmen. Doch wenn die Männer sich dem Ziel ihrer Wünsche nahe wähnen, fängt sie an sie hinzuhalten und sie mit ihren Schwächen zu konfrontieren, sie förmlich bösartig herauszufordern. Mit ihrem manipulativen Spielchen treibt die Frau ihre Bekanntschaften in die Enge und manövriert sich selbst in gefährliche Situationen. Unfähig zu wirklichen Gefühlen wiederholt sie die zwischen Anziehung und Abstoßung pendelnden Männergeschichten trotz des mitschwingenden Risikos immer wieder. Und dann nähert sie sich auch noch einem kleinen Mädchen und versucht es von sich abhängig zu machen und gleichzeitig ihre eigene kindliche Ader wiederzubeleben...

    Im Fokus von „Das fehlende Grau“ steht vollständig die zu extremem Verhalten tendierende Protagonistin, die sich nur durch Machtspielchen lebendig fühlen kann und sich unfähig zu wahren Gefühlen ewig auf der Suche nach begehrenden Blicken befindet. Dabei entstehen sonderbare Situationen, angespannte wie auch amüsante Momente, die sich in der schnörkellosen Inszenierung stets aus der direkten Interaktion der manipulativen Frau mit ihren jeweiligen Gespielen ergeben. Anziehung, Ablehnung und der Wunsch nach Beachtung verschwimmen dabei. Höchst unterschiedlich gestylt macht sich die Goldschmiedin auf ihre besondere Art von Männerfang, um ihrem Selbsthass und Einsamkeitsempfinden zu entfliehen.

    Dass die Protagonistin dabei im Wechsel so unterschiedliche Rollen wie die der Lolita, des lasziven Vamps oder sogar der fürsorglichen Mutter einnimmt, lässt vermuten, dass sie unter einer Persönlichkeitsstörung leiden könnte. Eine Bestätigung dafür liefern die Filmemacher nicht, Vorgeschichte und Hintergründe bleiben im Dunklen. Vielmehr wird schlicht auf vier Episoden im Leben einer jungen Frau geblickt, deren Dasein von der Verkörperung übertriebener Rollenbilder bestimmt wird. Obwohl die Regisseure selbst angeben, dass sie mit der Wahl ihres Filmtitels sowie einigen Eigenheiten ihrer Protagonistin auf Borderline-Persönlichkeitsstörungen Bezug nehmen, wollten sie ganz bewusst keinen Film drehen, der sich mit der Krankheit auseinandersetzt. Dafür spielt sich die Lebenswirklichkeit ihrer Protagonistin auch zu sehr nur in Extremen ab, die für graue Schattierungen keinen Platz lassen.

    Sina Ebell („Die Doppelgängerin“) stellt sich mutig der Darstellung dieser äußerst schwer fassbaren Figur und schafft es die unterschiedlichen Konturen der naiven bis gefährlichen Frau glaubhaft zum Ausdruck zu bringen. Ihr gegenüber stehen die Männer, zu denen Verhalten keine klare Position bezogen wird, was den Fokus auf die Protagonistin vorteilhaft verstärkt. Sie sind klar auf Sex mit der Protagonistin aus, die es ja auch genau darauf anlegt, und werden dabei auch durchaus zudringlich. Doch daneben gibt es immer auch Momente, in denen einem die drei höchst unterschiedlichen Menschen leid tun. Dann wird ihre Einsamkeit oder ihr Wunsch nach Veränderung oder nach neuem Halt deutlich. Der alte, vereinsamte Vertreter für Waschanlagen, der sportive wohlhabende Typ mit Frau und Kind, der ein Abenteuer sucht, oder der geschiedene Kerl, der allein nicht so wirklich zurecht kommt – sie sind alle auch Opfer der merkwürdigen Spielchen der jungen Frau, die vor drastischen Mitteln nicht zurückschreckt.

    Fazit: „Das fehlende Grau“ ist eine konzentrierte Psychostudie, die genauso wie die porträtierte Frauengestalt sowohl schwierig durchschaubar, als auch auf perfide Weise interessant und reizvoll ist.

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