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    Charlie Says
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Charlie Says

    Zu viel Charles Manson

    Von Lutz Granert

    Ob man es nun gutheißt oder nicht, es gibt daran kein Vorbeireden: Die grausamen Gewaltakte der Manson Family sind längst ein Teil der Popkultur geworden. Gerade rund um den 50. Jahrestag der sogenannten Tate-LaBianca-Morde, als am 8. August 1969 Manson-Mitglieder unter anderem die schwangere Roman-Polanski-Gattin Sharon Tate getötet haben, wird sich wieder besonders ausführlich mit den Taten beschäftigt – auch wenn Quentin Tarantinos „Once Upon A Time… In Hollywood“ dann doch nicht der Manson-Film geworden ist, den nach der ersten Ankündigung viele erwartet haben. Wenn Brad Pitt als Stuntman Cliff Booth in einer herausragend inszenierten Sequenz mit Anleihen ans Horrorkino aber die Spahn Movie Ranch und damit die Heimstätte der Sekte besucht, bekommt man auch so einen ganz guten Eindruck von ihrer Gefährlichkeit.

    Tarantino setzt insgesamt aber doch andere Schwerpunkte: Über Kult-Anführer Charles Manson gibt es schließlich auch so schon genug in Film und Fernsehen. Das hat sich wohl auch Mary Harron gedacht, die in den Mittelpunkt ihres Thriller-Dramas „Charlie Says“ so auch trotz des Titels gerade nicht den Anführer der selbsterklärten Familie stellt, sondern drei der vielen Frauen, die ihm so blind gefolgt sind und für ihn gemordet haben. Die „American Psycho“-Regisseurin widmet sich nämlich der Rehabilitation von Leslie Van Houten, Susan Atkins und Patricia Krenwinkel, die maßgeblich von der Gefängnislehrerin Karlene Faith vorangetrieben wurde. Doch am Ende rauben dann doch die zu ausufernden Rückblenden zu Manson jeglichen Raum für eine glaubwürdige Schilderung der späteren Wandlung der Frauen.

    Drei Frauen im Gefängnis stehen im Zentrum.

    Drei Jahre nach ihrer Beteiligung an den Morden an der hochschwangeren Schauspielerin Sharon Tate und dem Unternehmerehepaar Leno und Rosemary LaBianca sitzen Leslie „Lulu“ Van Houten (Hannah Murray), Susan „Sadie“ Atkins (Marianne Rendón) und Patricia „Katie“ Krenwinkel (Sosie Bacon) in Isolationshaft hinter Gittern und verbüßen eine lebenslange Freiheitsstrafe. Als die neue Gefängnislehrerin Karlene Faith (Merritt Wever) mit den Frauen arbeiten und sie für Feminismus sensibilisieren will, stößt sie zunächst auf Widerstand. Die Gefangenen sind nach wie vor von der Unfehlbarkeit ihres Lehrmeisters Charles Manson (Matt Smith) und seiner Ideologie vom apokalyptischen Rassenkampf zwischen Schwarzen und Weißen überzeugt. Doch nach langen, zähen Sitzungen und Gesprächen beginnen die psychisch labilen Insassinnen zunehmend, ihr verqueres Weltbild in Frage zu stellen.

    Die Gespräche im Gefängnis bilden die Rahmenhandlung von „Charlie Says“, rund drei Viertel des Films machen jedoch Rückblenden aus. Dabei ist jederzeit zu spüren, wie wichtig es Harron und ihrer Drehbuchautorin Guinevere Turner war, ein authentisches Bild vom Innenleben der Kommune zu zeichnen. Turner, die so unterschiedliche Skripte wie „American Psycho“ und Uwe Bolls „BloodRayne“ in ihrer Filmografie vereint, zog dafür nicht nur Karlene Faiths in ihrem Sachbuch „The Long Prison Journey Of Leslie Van Houten: Life Beyond the Cult“ zusammengetragene Aufzeichnungen, sondern insgesamt 20 verschiedene Quellen zurate. Das zahlt sich durchaus aus, immerhin entsteht in „Charlie Says“ ein deutliches Bild der Machtstrukturen innerhalb der Sekte.

    Manson als Musiker

    Charles Manson gibt seinen psychisch labilen, zumeist weiblichen Mitgliedern zwar vordergründig jegliche Freiheiten („Lulu“ lässt zwischenzeitlich mit einem Aussteiger auf dem Motorrad sogar einfach das Leben in der Kommune hinter sich), bindet sie aber psychologisch perfide an sich. Er bestätigt ihnen ihre körperliche Makellosigkeit, predigt freie Liebe und verspricht Erlösung – wenn sie ihm auf seinem blutigen Pfad folgen. Auch Mansons musikalische Ambitionen werden dabei thematisiert. So gelingt es ihm zwar, den Musikproduzenten Terry Melcher (Bryan Adrian) auf die Ranch zu locken, der jedoch beim Gitarrenkonzert mit obenrum blankziehenden Frauen eher Mitleid empfindet, Geld spendet und ohne Angebot eines Plattenvertrags wieder abzieht.

    Während in den Knastszenen unterkühlte Farben, viel Blau und Weiß bestimmen, taucht Harron die Rückblenden in warme oder erdige Töne, setzt viel auf sonnendurchflutete Bilder. All das verströmt (zunächst) kein Gefühl der Bedrohung, die Szenen draußen sind direkt mit positiven Emotionen behaftet: ein Paradies als Gegenstück zur harten Realität im Knast. So wirkt das Leben in der Kommune schließlich auch anfangs auf die Frauen und es wird verständlich, warum sie Manson folgen. Doch danach misslingt ausgerechnet der Schritt, den Harron in das Zentrum stellt. Dass die Regisseurin sich vordergründig mit der Rehabilitation der Frauen beschäftigt, kommt kaum zum Tragen, denn deren nach und nach erzählte Wandlung im Gefängnis und Abkehr von Manson ist viel zu wenig nachvollziehbar erzählt und daher nicht glaubwürdig genug dargestellt – auch weil Manson selbst einfach zu viel Raum einnimmt, sodass der Eindruck bleibt, Harron ist womöglich trotz ihres bewusst anders gewählten Ansatzes am Ende dann doch selbst etwas zu sehr der Faszination für den Kultführer verfallen.

    Zu viel Raum für Charles Manson.

    Da Matt Smith („Doctor Who“) diesen mit stechenden-verachtendem Blick und großem Charisma gibt, erdrückt seine Präsenz die Wandlung der drei eigentlich im Mittelpunkt stehenden Frauen. Diese geschieht dann auch unglaublich plötzlich, der Weg dahin wird zu wenig ausgeführt. Einzig Hannah Murray („Detroit“) bekommt noch den Raum, als bei den Gruppenritualen distanzierte und ungläubige „Neue“ der Manson Family schauspielerisch dagegenzuhalten. Ihre Figur macht so auch als einzige eine subtilere und glaubwürdige Entwicklung durch. „Charlie Says“ liefert so zwar tiefe und durchaus interessante Einblicke ins Innenleben der Manson Family, bleibt aber ausgerechnet das feingliedrige Psychogramm fragiler Frauen schuldig, das hier eigentlich das Alleinstellungsmerkmal sein sollte.

    Fazit: Optisch überzeugendes Thriller-Drama mit interessanten Einblicken in die Manson Family, aber viel zu wenig Beachtung für die eigentlichen Hauptfiguren.

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