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    Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste
    Von Christian Horn

    Im Sommer 2016 kam die französische WG-Komödie „Frühstück bei Monsieur Henri“ in die deutschen Kinos, in der eine junge Studentin im Angesicht der Pariser Wohnungsnot bei einem granteligen Rentner Quartier bezieht. Die für Geringverdiener kaum noch finanzierbaren Mieten in Frankreichs Hauptstadt werden nun auch in der Ensemble-Komödie „Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste“ zum Thema gemacht. Regisseurin und Drehbuchautorin Alexandra Leclère („Zwei ungleiche Schwestern“) wartet dabei mit einer fast schon utopischen Prämisse auf: Wegen einer Rekordkälte verteilt die Regierung Obdachlose und Verarmte in leerstehende Wohnungen sowie vor allem auf freien Raum in bewohnten Häusern und Apartments. Allerdings bleibt das  sozialkritische Potenzial dieser Ausgangssituation weitgehend ungenutzt, mit seiner Unzahl an Figuren, seinem Tempo und seinem humorvollen Wohlfühlgeplänkel bietet „Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste“ abwechslungsreiche, aber oberflächliche Unterhaltung.

    Die Eheleute Christine (Karin Viard) und Pierre Dubreuil (Didier Bourdon) leben in einer luxuriösen 300-Quadratmeter-Wohnung in Paris. Der brummige Pierre vernachlässigt Christine allerdings und bringt sie mit seinen ständigen Tiraden über Einwanderer, Arbeitslose oder „Gutmenschen“ zur Verzweiflung. Als eine  Kältewelle mit heftigem Dauerfrost halb Paris lahmlegt, quartieren die Behörden Menschen ohne festen Wohnsitz in leerstehende Wohnungen ein - und wo sonst noch Platz ist. So werden nach einigem Hin und Her auch den konservativen Dubreuils und deren links eingestellten Nachbarn Béatrice (Valérie Bonneton) und Grégory Bretzel (Michel Vuillermoz) Mitbewohner zugeteilt. Nun gilt es, das eheliche und nachbarschaftliche Zusammenleben sowie die eigenen Ansichten zu überdenken.

    Die Schicksale der Gastbewohner reißt Regisseurin Alexandra Leclère nur an. Mit Ausnahme der patenten Obdachlosen Madeleine (Sandra Zidani) bleiben für die Prekären nur Stichworte übrig: ein schwuler, vom Elternhaus verstoßener Student, eine depressive Lehrerin des Typs graue Maus, eine alleinerziehende Afrikanerin, die für einen Hungerlohn im Disneyland putzt. Anstelle der sozial Schwachen rücken die eigentlichen Hausbewohner ins Zentrum, die allesamt der Pariser High Society angehören. Als zentrales Gegensatzpaar kristallisieren sich die großbürgerlichen Dubreuils und das pseudo-linke Ehepaar Bretzel heraus. „Politische Überzeugungen sind anstrengend“, findet die Dozentin Béatrice und hadert anders als ihr Schriftsteller-Ehemann damit, den Wohnraum mit fremden Personen zu teilen. Letztlich reagiert Béatrice nicht viel anders als die von ihr als „Nazis“ und „Spießbürger“ beschimpften Nachbarn. Da mögen sie (mit rotem Skianzug) und Christine (im Pelzmantel) noch so unterschiedlich auftreten, im Kern empfinden Linke wie Rechte die Wohnraumverteilung als Qual.

    Natürlich durchleben die Figuren hier eine Wandlung – und so wird der Meckerfritz Pierre vom wutbürgerlichen Saulus zum barmherzigen Samariter Paulus. Vorgestellt als der Grinch der Nachbarschaft, der den „Pennern“ und „Taugenichtsen“ die Schuld für ihre Probleme zuschiebt, lernt Pierre im Umgang mit der neuen obdachlosen Mitbewohnerin den Wert von Gemeinschaft und Solidarität zu schätzen. So sympathisch es grundsätzlich ist, allen Figuren Einsicht und Lernbereitschaft zuzuschreiben, so schematisch wirkt hier die eine oder andere der in einem kleinen Epilog fein säuberlich bilanzierten Veränderungen: Wenn die Front National-Wählerin, die zuvor mit einer halbseidenen Tauschbörse Profit aus dem Elend schlug, nun plötzlich Rastalocken trägt und die Liebeskünste der Schwarzen lobt, dann ist das zwar amüsant, aber eben auch allzu gefällig. Statt auf satirischen Biss setzen die Macher auf letztlich nicht sehr befriedigende watteweiche Wohlfühllösungen, die niemandem wehtun, aber mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben.

    Den wuseligen Erzählrhythmus gibt das rege Kommen und Gehen im Treppenhaus vor, wo gut ein Drittel der dialogreichen Handlung spielt. Hier schwelt der Nachbarschaftsstreit, hier trifft die für Großstadtverhältnisse ungewöhnlich eng verbandelte Hausgemeinschaft regelmäßig aufeinander. Weil „Madame Christine“ ein Ensemblefilm mit locker zwei Dutzend Figuren ist, bleiben die Charaktere fast zwangsläufig unterentwickelt. Zur kompakten Erzählweise passen die hektischen Passagen mit Reißschwenks, die von vorwärts treibender Musik zusätzlich beschleunigt werden. Ansonsten liegt der Fokus der Filmemacher mehr auf den Dialogen als auf der Bildgestaltung. Die verschiedenen, meist sehr einseitigen und klischeehaften Positionen prallen in Worten aufeinander. Eine clevere Äußerung der politisierten Tochter der Dubreuils ist hier eine fast schon tiefschürfende Ausnahme: „Das ist nicht die Politik, Papa, das ist das Zeitalter.

    Fazit: „Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste“ ist eine flotte und wortreiche Komödie, die ihren sozialen und politischen Themen allerdings nicht gerecht wird.

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