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    I Want To See The Manager
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    I Want To See The Manager
    Von Thomas Vorwerk

    Es gibt Dokumentarfilmer, die sich Mühe geben, ihre „Botschaft“ sehr deutlich an den Mann oder die Frau zu bringen. Und andere, die dem Zuschauer lieber die Möglichkeit bieten, selbst Zusammenhänge zu erkennen oder Sachverhalte zu deuten. „I Want To See The Manager“, der zweite Film des für sein Debüt „Peak - Über allen Gipfeln“ vom Goethe-Institut ausgezeichneten Hannes Lang, gehört ganz klar zu den Werken, die ihr Publikum fordern, statt ihm alles vorzukauen. In sieben an ganz verschiedenen Orten angesiedelten Episoden geht es um den globalen Strukturwandel und um Geopolitik im weitesten Sinne. Die Frage nach den Zusammenhängen und den möglichen Synergien zwischen den einzelnen Mikrokosmen ist dabei noch die offensichtlichste Perspektive auf einen Film, der dem Betrachter die größtmögliche Freiheit des assoziativen Erlebens lässt – hier ergeben sich entsprechend ganz verschiedene individuelle Lesarten.

    „I Want To See The Manager“ beginnt sehr geradlinig mit einem indischen Banker, der vor laufender Kamera in einer Baustellenruine in Mumbai steht und darüber doziert, dass Indien um das Jahr 2050 herum zu den vier weltweit größten Industriestaaten gehören wird. Zusammen mit China, den USA und Brasilien. Dann geht es um einen Rohstoff der Zukunft, Lithium, der in großem Stil (aber auch in kleinen privaten, vom Staat unterstützten Initiativen) in Bolivien abgebaut wird. Eindrucksvolle Bilder von künstlich erstellten Salzseen werden abgelöst von einer Pressekonferenz der Pekinger Kfz-Zulassungsstelle: In der chinesischen Hauptstadt darf nur noch jeder 100. Antragsteller (es gibt tatsächlich eine offizielle Lotterie) ein Fahrzeug führen, weil die boomende Wirtschaft die Infrastruktur überfordert und der komplette Verkehrskollaps droht. In Einzelinterviews erfährt man von den Schicksalen der Involvierten, etwa am Beispiel von BMW-Verkäufern, die unter den eingeschränkten Möglichkeiten und der innerbetrieblichen Konkurrenz leiden.

    Dann geht es von Asien nach Nordamerika: In einem kryogenischen Institut in Detroit erklärt uns ein Wissenschaftler, warum seine Klienten sich von ihm einfrieren lassen: Sie warten auf die medizinische Revolution durch Nano-Roboter, die den Menschen der Zukunft praktisch unsterblich machen könnten. Die Ruinen von Pompeji zeugen indes vom Niedergang vergangener Hochkulturen, das traurige Schicksal eines auf Trinkgelder bedachten Gladiatoren-Darstellers wird umrissen. Demenzkranke auch aus Deutschland finden bei erschwinglichen und liebevollen thailändischen Pflegern eine menschenwürdige Fürsorge, die in den westlichen Industriestaaten kaum mehr bezahlbar scheint. Und in Caracas wird ein durch Konkurs leerstehendes riesiges Bankgebäude, das nie offiziell bezogen wurde, zur Heimat einer primitiven, aber funktionierenden Gemeinschaft.

    Der inhaltliche Abriss zeigt schon das breite thematische und geographische Spektrum, das Regisseur Hannes Lang und seine Mitstreiter abdecken. Die sieben Teile des Films werden ohne Kapitelüberschriften aneinandergereiht, es gibt keine erklärenden Kommentare, einzig über die Szenenauswahl und –abfolge sowie die individuelle „Montage im Kopf“ realisiert man Gegensätze etwa zwischen arm und reich oder zwischen zukunftsträchtig und dem Untergang geweiht. Man organisiert sich seine Weltkarte und entdeckt beispielsweise die Bezugspunkte zu Deutschland (BMW, deutsche Patienten in Thailand, die Prognose des Inders, dass die Wirtschaftsmacht Russland uns 2020 überholen wird). Auffällig ist auch das wiederkehrende Thema der „Zukunftsmusik“, mal mit dystopischen Untertönen, dann wieder optimistisch oder ironisch – wie etwa beim Filmtitel selbst, einem Zitat des Schriftstellers William S. Burroughs („Naked Lunch“), der die Reaktion Außerirdischer auf unsere Welt beschreibt. Der Ruf nach dem Manager, nach einer verantwortlichen Instanz für ein fragwürdiges Geschäftsgebaren, das den eigenen Untergang heraufbeschwört, wird somit auch zu einem möglichen Leitmotiv für die verschiedenen Bedeutungsstränge eines ebenso ungewöhnlichen wie anregenden Films, der im Übrigen auch noch hervorragend fotografiert ist.

    Fazit: Mit dokumentarischen Episoden aus sieben sehr unterschiedlichen Schauplätzen rund um die Welt liefert uns Regisseur Hannes Lang prägnante sozioökonomische Denkanstöße und eröffnet dem geneigten Zuschauer ungewöhnliche Einblicke in die Komplexität der Welt.

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