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    The Circle
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    The Circle
    Von Carsten Baumgardt

    Es gab vor ein paar Jahren eine Zeit, da hatte gefühlt jeder zweite Passagier im öffentlichen Personennahverkehr in der Großstadt „Der Circle“ zum Lesen vor der Nase (den Autor dieser Kritik eingeschlossen). Kein Wunder also, dass Dave Eggers‘ Social-Media-Dystopie an der Spitze der deutschen Buchcharts thronte - obwohl der Roman trotz spannender Ideen literarisch maximal Hausmannskost bietet. Das Thema ist einfach hip! Bei der Kino-Adaption des Bestsellers arbeitet sich Regiehoffnung James Ponsoldt („The Spectacular Now“) nun im klassischen Mainstream-Stil an der brisanten Materie ab und schleift dabei noch die letzten Kanten der Vorlage weg – was in einem Hollywood-Ende gipfelt, das den Schluss des Romans komplett auf den Kopf stellt. Eggers‘ Buch war bei weitem nicht perfekt, aber zumindest konsequent! Das ist der Film „The Circle“ trotz einer makellosen Oberfläche mit tollem Produktionsdesign und schicken Bildern nicht.

    Die Versicherungsangestellte Mae Holland (Emma Watson) kann ihr Glück kaum fassen: Ihre öden Tage in der kalifornischen Provinz sind gezählt, auf Vermittlung ihrer besten Freundin Annie (Karen Gillan) erhält sie einen Einsteigerjob beim Circle, dem gigantischen Internet-Unternehmen, das mit seinen Services von San Francisco aus die ganze Welt dominieren will. Die neueste Entwicklung der Firma ist eine kleine Hochleistungskamera (genannt See Change), die überall versteckt angebracht werden kann, um unbemerkt alles aufzuzeichnen oder zu überwachen, was man möchte. Mae beginnt zwar nur im niedrigen Rang beim Kundenservice, wird aber mit ihrer Cleverness und schnellen Auffassungsgabe bald in den Dunstkreis des legendären Firmenmitbegründers Eamon Bailey (Tom Hanks) gespült. Ihr Aufstieg ist nicht mehr aufzuhalten, als sie die erste Person der Firma wird, die mit einer Body Cam ausgestattet 24 Stunden am Tag transparent ist. Andeutungen eines mysteriösen Fremden namens Kalden (John Boyega), der Mae vor der sogenannten Vollendung warnt, die der Circle anstrebt, schießt sie erst einmal in den Wind – ebenso wie die Skepsis ihres bodenständigen Ex-Freundes Mercer (Ellar Coltrane), der in der Heimat noch regen Kontakt zu Maes Eltern (Glenn Headly und Bill Paxton in seiner letzten Rolle) pflegt.

    Dave Eggers („Ein Hologramm für den König“) begibt sich mit „Der Circle“ thematisch in das Fahrwasser der ganz Großen der dystopischen Romankunst. Aber während Aldous Huxley mit „Schöne neue Welt“ (1932) und George Orwell mit „1984“ (1949) ihrer Entstehungszeit weit voraus waren und auch heute noch brandaktuell sind, arbeitet sich Eggers wenig visionär am sozial-medialen Status der frühen 2010er Jahre ab und mischt seinen zeitgeistigen Erkenntnissen ein paar Allmachtsfantasien bei, die er indirekt – immerhin recht plausibel – den Lenkern von Google, Facebook, Microsoft und Co. unterschiebt. Der Circle will den Staat ersetzen und sanft ein totalitäres System etablieren, von dem die User (natürlich nur zu ihrem Besten) unausweichlich abhängig sind. Alle ihre Aktivitäten sollen mit ihrer Online-Identität verknüpft werden, um völlige Transparenz zu erhalten.

    Mit Slogans wie „Teilen ist heilen“ und vor allem „Geheimnisse sind Lügen, die Verbrechen möglich machen“ ist „The Circle“ am provokantesten, denn in Zeiten des Terrors gibt es ja tatsächlich deutliche Tendenzen, Freiheitsrechte zugunsten von (vermeintlich) mehr Sicherheit einzuschränken. Über sich den hier auftuenden grundsätzlichen Konflikt findet jedoch weder im Buch noch im Film ein tiefgreifender Diskurs statt. Die angesichts der Handlung sehr naheliegende Frage, wie etwa die lückenlose und permanente Kameraüberwachung mit den Menschenrechten zusammengehen soll, wird beispielsweise gar nicht wirklich gestellt. Zwar werden die Hemmungen der Menschen, ihre Privatsphäre aufzugeben und sich vollkommen der Technik und dem Konzern auszuliefern, durchaus aufgegriffen, aber das skizzierte Unbehagen und die Paranoia übertragen sich eben nicht auf das Publikum, dafür verläuft hier alles viel zu glatt und reibungslos: Streckenweise scheinen sich die Filmemacher ähnlich wie die Hauptfigur Mae selbst einfach den Verlockungen der schicken neuen Online-Welt hinzugeben. Ecken, Kanten und Widersprüche finden sich in „The Circle“ jedenfalls kaum.

    Mae erlebt einen kometenhaften Aufstieg, aber der Machtrausch und das Schwindelgefühl überwältigender Aufmerksamkeit, die ihr das Leben als „transparente Person“ mit Aber-Millionen von Followern bescheren, wird in Emma Watsons („Die Schöne und das Biest“, „Harry Potter“) recht verhaltener Darstellung genauso wenig lebendig wie die Beklemmungen der Skeptiker. Mae nimmt das Ganze im Gegensatz zu ihrer zynischen Freundin Annie einfach hin, die Figur bleibt blass und eigenschaftslos. Und mit einer solch passiven Protagonistin hat auch der Film kaum Dynamik: „The Circle“ steht am Ende etwas unentschlossen zwischen Drama, Satire und Dystopie da - ohne den letzten Biss und ohne einen einheitlichen Erzählton. Und zu schlechter Letzt wird dann durch eine radikale Änderung des Schlusses gegenüber dem Buch auch noch die warnende Aussage Eggers‘ auf den Kopf gestellt und weichgespült.

    Bei allen erzählerischen Schwächen im großen Ganzen (die sind überdeutlich) gibt es doch im Einzelnen auch überzeugend Gelungenes. Positiv hervorzuheben ist Regisseur Ponsoldts feines Gespür für die Highlights der Vorlage. Er klappert die wichtigsten Stationen und Schlüsselstellen sorgfältig ab und setzt hier und da Variationen. So erhält Maes gutmütiger Ex-Freund Mercer, ein verschrobener, Hirschgeweih-Kronleuchter bastelnder Technik-Schrat, mehr Spielraum, um als standhaft-moralischer Mahner Akzente zu setzen - ein willkommenes Wiedersehen mit „Boyhood“-Sympathieträger Ellar Coltrane. John Boyegas („Star Wars: Das Erwachen der Macht“) mysteriöser Unkenrufer Kalden dagegen weckt mit seinem Insiderwissen die Neugier des Publikums, nur um dann bis zum Finale aus der Erzählung verbannt zu werden. Und Tom Hanks („Sully“, „Forrest Gump“)? Der wirkt als Circle-Guru Eamon Bailey (eine Art netter Steve Jobs) in seiner überschaubaren Leinwandzeit charismatisch und smart. Von ihm hätte man gern eine echte Charakterstudie gesehen, aber zu der bekommt er keine Gelegenheit.

    Fazit: James Ponsoldts gediegene Bestseller-Verfilmung „The Circle“ unterhält bis zum desaströsen Finale zumindest szenenweise gefällig, der potenziell spannende Blick in die mediale Zukunft fällt insgesamt aber arg oberflächlich aus.

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