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    Nosferatu, eine Symphonie des Grauens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Nosferatu, eine Symphonie des Grauens
    Von Christian Schön

    Die Welt der Filme sowie die aller anderen Medien, in denen fiktionale Realitäten erzeugt werden, ist bevölkert von Untoten. Diese können in den unterschiedlichsten Formen realisiert sein: Sie begegnen uns in Form von Zombies (Die Nacht der lebenden Toten, Zombie - Dawn Of The Dead), Urzeit-Monstern, die wieder zum Leben erweckt werden (Jurassic Park), in harmloserer Gestalt als Geister (The Sixth Sense) oder als Vampire (Interview mit einem Vampir, Bram Stoker´s Dracula). Allen diesen Wesen ist gemeinsam, dass sie zum Leben verurteilt sind, weil ihr natürlicher Tod abgeschafft wurde. Um sich den unliebsamen Untoten zu entledigen, benötigt es schon viel Mühe, da sie nur sterben können, wenn ihr Tod auf eine bestimmte Weise inszeniert wird. So können die Blutsauger nur eliminiert werden, wenn man ihnen einen Holzpflock ins Herz rammt oder sie mit einer geweihten silbernen Kugel erschießt. Gerade die Gestalt des Vampirs erlebt in den letzten Jahrzehnten eine Renaissance. Roman Polanskis Tanz der Vampire schaffte es sogar in die sonst recht heile Welt des Musicals und bietet dort, mit ein wenig Kitsch aufgeladen, Unterhaltung für die ganze Familie. Ein Urgestein des Genres findet man in Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“. Dieser Klassiker der Vampirgeschichte ist zudem dafür verantwortlich zu machen, dass die Figur des Nosferatu überhaupt zu diesem Bekanntheits- und Verbreitungsgrad kommen konnte.

    Anlass für die Handlung ist der Wunsch nach einem Wohnortwechsel von Graf Orlok (Max Schreck). Dieser will sein Domizil in den Karpaten aufgeben und ein altes, verlassenes Haus in der kleinen Stadt Wisborg beziehen. Bei der Organisation hilft ihm sein Gehilfe Knock (Alexander Granach), der als Immobilienmakler in der Stadt tätig ist. Einer der Mitarbeiter des Büros – Thomas Hutter (Gustav von Wagenheim) – wird beauftragt, den Grafen Orlok aufzusuchen, um die Verträge unterschreiben zu lassen. Hutters Frau Ellen (Greta Schröder) ist sehr beunruhigt, als sie erfährt, dass ihr Mann in das Land der Geister und Vampire reisen soll. Der Reiselustige ist jedoch nicht von seinem Vorhaben abzubringen. Auf dem Weg zum Schloss erfährt Hutter, dass die Bewohner der Gegend Angst haben und behaupten, dass Vampire und Werwölfe in der Gegend um Orloks Behausung ihr Unwesen treiben. Im Schloss begegnet Hutter der unheimlichen Gestalt des Grafen Orlok. In der zweiten Nacht seines Aufenthalts wird ihm klar, dass er in der Gestalt des Grafen den Vampir Nosferatu vor sich hat. Der Vertrag ist allerdings bereits abgeschlossen und Nosferatu macht sich mit dem Schiff auf, um nach Wisborg zu gelangen. Auf dem Schiff passieren dann unheilvolle Geschehnisse, die nach und nach die gesamte Crew das Leben kostet. Es wird vermutet, dass mit den Särgen, die als Fracht transportiert werden, die Pest mit an Bord gelangt ist. Mit dem in ein Geisterschiff verwandelten Gefährt gelangt die Pestilenz Orlok dann nach Wisborg und zieht in das Haus, das direkt gegenüber dem Hutters gelegen ist. Hutters schöne Frau Ellen ist dem Grafen Orlok bereits auf dem Schloss in Form eines kleinen Amulettes begegnet, und er fand bereits allein in dem Bildnis ein begehrenswertes Objekt…

    Nosferatu ist nach wie vor ein Untoter und lebt als solcher in der Filmgeschichte fort. Als der Film in den 20er Jahren in die deutschen Kinos kommen sollte, verklagte die Witwe von Bram Stroker die Produktionsfirma wegen Urheberrechtsverletzung, da Murnaus „Nosferatu“ doch sehr stark an die Vorlage „Dracula“ erinnert. Das Gericht beschloss, dass alle Kopien des Films vernichtet werden müssen. Nur durch Zufall überlebten einige wenige Kopien, die bereits in verschiedene Länder exportiert worden waren, den Lauf der Zeit. Ein Vampir von Nosferatus Schlag lässt sich eben, auch auf Zelluloid gebannt, nicht ohne weiteres töten. Vor allem in Amerika lebte die Figur in vielen Filmen weiter. Meist leicht variiert und umbenannt, aber doch immer als solche erkennbar. Die lange Tradition des Horrorgenres im amerikanischen Kino ist ohne die Filme des deutschen Expressionismus, und gerade auch Murnaus „Nosferatu“, nicht denkbar. In Deutschland selbst hingegen wurde diese Entwicklungslinie des Horrorfilms durch die neue Sachlichkeit und den Nationalsozialistischen Film und in der Folge durch den vermehrten Import von Filmen aus dem Ausland deutlich unterbrochen.

    Zwei Filme, die in der direkten Nachfolge des Originals von Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu-Film stehen, verdienen eine besondere Erwähnung. Das ist zum einen Nosferatu - Das Phantom der Nacht, das Remake von Werner Herzog, der in Klaus Kinski einen würdigen Nachfolger für den ersten Nosferatu-Darsteller Max Schreck fand, und zum anderen „Shadow Of The Vampire“ von Elias Merhige, mit William Dafoe als Blutsauger. Die Herzog-Version ist, obwohl sie sich sehr nahe an den Inhalt des Originals hält, doch in seiner Eigenständigkeit zu würdigen. Allein der Unterschied in der Wirkung, die aus dem Farbfilm mit synchroner Tonspur resultiert und der Herzog’schen Bildsprache sind hier die entscheidenden Faktoren. Wie bereits erwähnt, gab es in der Filmlandschaft Deutschlands eine krasse Unterbrechung, die nicht nur politischer Art war, sondern gerade auch ästhetischer Natur. Das Remake von Herzog entstand unter anderem aus dem Impuls heraus, an die verloren gegangene deutsche Filmtradition zu erinnern. Dieser Akt des Erinnerns sollte den in der Krise steckenden deutschen Film an seine Wurzeln mahnen und stellt selbst einen Versuch dar, die Ästhetik Murnaus zu reproduzieren und zu reaktivieren.

    Der zweite Film in der direkten Folge von Murnau ist, wie gesagt, „Shadow Of The Vampire“. Dieser stellt einen nicht weniger interessanten Versuch dar, die ursprüngliche Version mit einem neuen, mythisierenden Impuls zu versehen. „Shadow Of The Vampire“ verfolgt eine Werner Herzogs Version ähnliche Strategie mit anderen Mitteln. Hier werden die Produktionsbedingungen des Ur-Nosferatufilms re-inszeniert. Es wird gezeigt, wie Murnau während des Drehs dem Vampir Nosferatu, der ganz real ein Vampir ist, nicht etwa ein Schauspieler, der bloß einen Vampir spielt, nach und nach die Leute seiner Crew aufopfern muss, um ihn bei Laune und Gesundheit zu halten, damit Murnau seinen Film zu Ende drehen kann. Das Resultat ist auch hier, dass ein Element der Ästhetik von Murnaus Film eine neue Aktualität bekommt. „Nosferatu“ wirkt nämlich nicht wie ein typischer Film des deutschen Expressionismus. Obwohl er dessen Stilelemente gerade in der Art des Schauspiels noch besitzt, erweckt der Film dennoch den Verdacht, er sei mehr ein natürliches Dokument einer vergangenen Zeit, einer wahren Geschichte. Der Gegensatz wird besonders klar, wenn man an die künstlichen Dekore in Robert Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari denkt.

    Der Naturalismus, in dem „Nosferatu“ daher kommt, schlägt sich nicht nur in der organischen Entwicklung der Handlung nieder, sondern findet auch auf der formalen Ebene seinen Niederschlag. Der Inhalt des Films ist in fünf Einzelakte gegliedert und entspricht damit der klassischen Forderungen des am antiken Vorbild orientierten Dramas. In diese strenge Form eingebettet, entwirrt sich das Bild des geheimnisvollen Geschehens. Dieser Kontrast findet sich in vielfacher Form im Film wieder, zu allererst aber in der Figur des Nosferatu selbst. Er verkörpert diesen Dualismus in Person: Er ist der Graf Orlok und gleichzeitig der Blutsaugende Vampir. Je nachdem, in welcher Rolle er auftritt, wird er, vor allem zu Beginn, von Hutter verändert wahrgenommen.

    Aus dem Bereich der Biologie schöpft Murnau unermüdlich Bilder des Bedrohlichen. Unvermittelt sieht man einen Wissenschaftler, der seinen Studenten verschiedene Tierarten mit ihren Eigenarten vorstellt: Spinnen, Quallen, fleischfressende Pflanzen. Jeweils dazwischen geschnitten sieht man Nosferatu, der so die Eigenschaften aus dem Tierreich zugeschrieben bekommt: Nachtaktiv, selbst fast körperlos, ernährt er sich von lebendigem Körpern. An die Seite dieser metaphorischen Bilder gesellt sich eine Todessymbolik, die den Film von Anfang an durchzieht und an Werke aus der schwarzen Romantik erinnert. Als Ellen von ihrem Mann einen Blumenstrauß geschenkt bekommt, reagiert sie nicht etwa mit Freude, sondern gemahnt ihren Gatten mit ernster Miene, dass er den Blumen rücksichtslos das Leben genommen hätte. An anderer Stelle sitzt sie, in C.D. Friedrichscher Manier am Meer, umringt von Kruzifixen und in Erwartung der Todesnachricht ihres Mannes.

    Murnau gälte jedoch nicht allein wegen seines ausgezeichneten Gespürs für Bilder als einer der bedeutendsten Regisseure der Stummfilmzeit, wenn er zusätzlich nicht das gesamte Spektrum des Filmemachens ausgeschöpft hätte. In „Nosferatu“ ist das Augenmerk besonders auf den Schnitt zu lenken. Zwischen zwei der Figuren – Nosferatu und Ellen – gibt es ein besonderes Band der Beziehung: Begehren von der einen Seite, Furcht und schutzloses Ausgeliefertsein auf der Anderen. Allein durch den Schnitt kommt diese Beziehung im Film zum tragen, da zu Stummfilmzeiten viel bewusster mit solchen Mitteln umgegangen wurde, oder, besser gesagt, umgegangen werden musste. Ellen und Nosferatu können miteinander interagieren, obwohl sie räumlich mehrere tausend Kilometer voneinander entfernt sind. Als sich der Vampir des Nachts im Schloss über Hutter hermachen möchte, schreit Ellen in Wisborg auf und bringt Nosferatu dazu, von ihren Mann abzulassen. In solcherlei Feinheiten gibt sich Murnau als Meister der Montage zu erkennen.

    Sieht man heute einen Stummfilmklassiker, kann dies, manchmal bedauerlicher Weise, auf vielfältige Weise geschehen. Kommt man in die seltene Lage, einen Stummfilm mit Live-Klavier- oder gar Orchesterbegleitung sehen zu können, sollte man nicht zögern, dieses authentische Erlebnis wahrzunehmen. Denn gerade der überhaupt nicht stumme Aspekt der Filmmusik trübt bei manchen Varianten von Stummfilmen, die auf dem Markt zu haben sind, das Filmvergnügen doch erheblich. Ein Negativ-Beispiel bietet die Version von Eureka. Hier wurde versucht, mit Synthesizersounds die Bilder zu untermalen, und wenn möglich Soundeffekte wie Vogelgezwitscher und ähnliches einzufügen. Der Effekt ist, dass weder Stimmung entsteht noch ein Spannungsbogen in der musikalischen Gestaltung zu erkennen ist. So ein Lapsus ist unverzeihlich, gerade wenn man bedenkt wie stark der Film durchkomponiert ist – eine Symphonie des Grauens sein will.

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