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    Brimstone
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Brimstone
    Von Lutz Granert

    Seit einigen Jahren lässt sich im Westerngenre immer deutlicher eine Abkehr vom klassischen Schema des Duells zwischen Sheriff und Outlaw oder der Siedler gegen die Indianer beobachten. Vor allem Frauen - in den traditionellen Westernproduktionen oft nur passive Randfiguren - rücken dabei stärker in den Fokus: In „Sweetwater – Rache ist süß“ übt January Jones („Mad Men“) als schwangere Sarah Rache an den Peinigern ihres Mannes, während in „The Homesman“ Oscarpreisträgerin Hillary Swank („Million Dollar Baby“) als autark lebende Farmerin mit einer Gruppe psychisch kranker Frauen quer durch mehrere US-Bundesstaaten zu einem Sanatorium reist. Auch im Zentrum der europäischen Co-Produktion „Brimstone“ von Regisseur Martin Koolhoven („Mein Kriegswinter“) steht in einer in nicht chronologische Kapitel unterteilten Erzählung eine Frau: Sie kämpft in einem fulminanten Genre-Mix aus nüchternem Western, intensivem Drama und düsterem Rache-Thriller gegen das christliche Patriarchat und für ihre Selbstbestimmung.

    Am Ende des 19. Jahrhunderts lebt die stumme, als Geburtshelferin arbeitende Liz (Dakota Fanning) zusammen mit ihrem Ehemann Eli (William Houston) und zwei Kindern ein hartes, aber glückliches Leben am Rande einer kleinen Stadt. Aber als ein radikaler Priester (Guy Pearce) neu in den Ort zieht, ist Liz überzeugt davon, dass er nur gekommen ist, um sie zu bestrafen und zu quälen. Bei einer komplizierten Geburt in der Kirche entscheidet sich Liz auf eigene Faust für das Leben der Mutter und gegen das Leben des Neugeborenen – und zieht damit den Zorn der Einwohner und des Priesters auf sich. Liz wird von ihrer traumatischen Vergangenheit eingeholt, von der sie glaubte, sie längst hinter sich gelassen zu haben…

    Der niederländische Regisseur und Autor Martin Koolhoven teilt sein an Drehorten in Österreich, Deutschland, Ungarn und Spanien entstandenes Westerndrama in vier etwa gleichlange Kapitel. Während die erste („Offenbarung“) und die letzte Episode („Vergeltung“) in der erzählerischen Gegenwart angesiedelt sind, werden in „Exodus“ und „Genesis“ Liz‘ Kindheit und Jugend thematisiert. Dabei schält sich zunehmend heraus, warum Liz eigentlich eine so panische Angst vor dem vordergründig so frommen Mann Gottes hat. So kommt auch die stolze Lauflänge von etwa 150 Minuten zustande: Koolhoven nimmt sich viel Zeit, um die Figuren zu entwickeln und den schleichenden moralischen Verfall und die Monsterwerdung des Priesters nachzuzeichnen, dessen Taten spätestens ab dem dritten Kapitel inklusive Inzest und Pädophilie nur noch schwer auszuhalten sind. Erst züchtigt er mit zweifelhafter religiöser Rechtfertigung seine Frau (Carice van Houten, „Game Of Thrones“) mit der Peitsche und legt ihr schließlich sogar eine Metallvorrichtung an, damit sie nicht länger das Wort gegen ihn erheben kann – eine Art Keuschheitsgürtel fürs Gesicht. Koolhoven macht aus seiner Abneigung gegen den christlichen Fundamentalismus keinen Hehl – statt auf eine verklärende bis rührselige Wildwest-Romantik zu setzen, übt er selbst mit seinen oft nah am Grindhouse vorbeischleifenden Genreprovokationen immer auch Kritik an einem Patriarchat, das Frauen nur die Rolle der untertänigen Ehefrau oder der rechtlosen Hure zugesteht.

    Das größte Pfund von „Brimstone“ ist aber seine unheilvolle Atmosphäre: Von Anfang an ist der Film von einer permanenten Unruhe geprägt, die sich zunehmend in handfesten Bedrohungen entlädt. Die Bilder von Kameramann Rogier Stoffers sind entsättigt bis nahe des Nullpunkts – mit einem Finale in einer winterlichen Schneehölle, in der für keine der Hauptfiguren mehr eine Erlösung möglich scheint. Guy Pearce („Memento“) spielt den despotischen Priester mit großer Narbe im Gesicht voller Inbrunst, wobei er seinem biblisch überhöhten Widerling gerade durch kleine Details einen menschlichen (und deshalb nur umso monströseren) Anstrich gibt, etwa wenn er Liz‘ Speichel lüstern von seinen Lederhandschuhen leckt oder ihre Tochter schwer atmend auf die Stirn küsst. Dakota Fanning („The Runaways“), die erst nach dem Ausstieg von Mia Wasikowska („Alice im Wunderland“) kurzfristig eingesprungen ist, gelingt es trotz ihrer engagierten Performance als wehrhafte und um Selbstbestimmung kämpfende junge Frau nicht ganz, gegen dieses schauspielerische Schwergewicht anzukommen. Das tut aber der Intensität, mit der Koolhoven hier immer tiefer in die Höllenkreise von Bigotterie, Sadismus, Inzest und Pädophilie vordringt, absolut keinen Abbruch.

    Fazit: Mit seiner Mischung aus packendem Thriller und abgründigem Drama weist der feministische Western „Brimstone“ auch bei einer stolzen Laufzeit von zweieinhalb Stunden keinerlei Längen auf. Zudem liefert Guy Pearce als despotischer Pfarrer eine der besten (und finstersten) Performances seiner Karriere ab.

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