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    Vier im roten Kreis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Vier im roten Kreis
    Von Robert Cherkowski

    Jean-Pierre Melville. Ein Name, der das cinephile Herz höher schlagen lässt. Als einer der Wegbereiter der Nouvelle Vague hat er das französische Genre-Kino in neue Höhen getrieben und ein Erbe hinterlassen, das Regisseure von John Woo über Michael Mann bis Aki Kaurismäki beeinflusst hat. Seit den 40er Jahren drehte Melville Filme, sein Legendenstatus basiert jedoch vor allem auf seinem Spätwerk. In Filmen wie „Der eiskalte Engel" oder „Der Chef" brachte er seine Philosophie und seine Bildsprache auf den Punkt und legte seinen archetypischen Figuren existenzialistische Opfergänge auf. Auch wenn Melville viele große Filme drehte ist der 1970 gedrehte „Vier im roten Kreis" sein unangefochtenes Meisterwerk. In diesem praktisch perfekten Thriller finden Melvilles düstere Weltsicht, sein unterkühlter Stil und seine inszenatorische Brillanz auf packende, formschöne und bei aller Ernsthaftigkeit und Konzentration auch unterhaltsame Art zueinander.

    Der frisch aus dem Gefängnis entlassene Corey (Alain Delon) hat nichts mehr zu verlieren. Seine Freundin ist mittlerweile mit seinem alten Boss zusammen, der Corey am liebsten tot sehen würde. Bald schon fliegen die ersten Kugeln und Corey lässt die Stadt hinter sich. Auf seiner Flucht lernt er Vogel (Gian Maria Volonté) kennen, der gerade einer Überführung unter Leitung des Pariser Kommissars Mattei (André Bourvil) entflohen ist. Nachdem Vogel Corey das Leben gerettet hat, tun sich sich zusammen und planen einen gemeinsamen Coup. Der Überfall auf einen Juwelier soll ihnen genug Geld verschaffen, um das Land zu verlassen, doch dafür brauchen sie die Unterstützung des Meisterschützen Jansen (Yves Montand). Während das Trio den gewagten Bruch vorbereitet, kommt Mattei ihnen immer näher und auch die Unterwelt ist ihnen auf den Fersen.

    Als Melvilles 13. Spielfilm 1970 ins Kino kam störte sich die zeitgenössische Filmkritik besonders an der Unwahrscheinlichkeit der Geschichte. Nicht ganz zu unrecht, denn Melville bedient sich ganz bewusst dem Zufall, den andere Schicksal nennen. Schon das dem Film vorangestellte Rama Krischna-Zitat deutet an, wie determiniert die folgende Geschichte sein wird: Egal wie verschlungen die Wege das Verbrechertrios und ihres Verfolger Mattei auch sein mögen, von Anfang ist klar, dass sie sich wieder begegnen werden und sich im „roten Kreis" ihr Schicksal erfüllen wird. Und auch ein Happy End ist von Anfang an ausgeschlossen. Ihre Herzen schlagen zwar noch, doch diese Anti-Helden haben ihren Lebenshauch schon vor geraumer Zeit ausgehaucht und halten sich nur noch durch ihren nackten Überlebensinstinkt auf den Beinen. Sie agieren nicht, weil sie Ziele haben, sondern weil sie es können, doch in jedem Moment ist spürbar, dass sie nichts besitzen, wofür es sich zu leben lohnt. Doch so fatalistisch und stoisch sich die Figuren auch auf ihr unausweichliches Schicksal zu bewegen, kann man sich doch nicht an der enormen Leinwandpräsenz, die sich hier versammelt hat.

    Zu Melvilles vielen Qualitäten zählt auch seine Schauspielführung, die natürlich besonders dann herausragt, wenn er wie hier eine so brillante Riege von Darstellern zur Verfügung hat. Allen voran Alain Delon, der als Corey den eiskalten Engel aufleben lässt und mit lebensüberdrüssiger Lethargie seine Pläne verfolgt. Zu ihm gesellt sich der italienische Alleskönner Gian Maria Volonté, der es in den Filmen Sergio Leones („Für eine Handvoll Dollar", „Für ein paar Dollar mehr"), Franceso Rosi („Lucky Luciano") oder Elio Petri („Todo Modo") zu einem der größten Stars des italienischen Kinos gebracht hatte und hier als hartgesottener und zäher Vogel eine wahre Tour de Force durchlebt. Er verleiht seiner Figur die nötige Ambivalenz, so dass sich der Zuschauer bis zum Schluss fragt, ob er den Mord, für den er angeklagt wurde, wirklich begangen hat. Das fragt sich auch Kommissar Mattei, den André Bourvil als gebrochenen und einsamen Mann spielt, der seinen Dienst verrichtet, obwohl er längst weiß, dass abstrakte Begriffe wie Recht und Gesetz in einer moralisch korrupten und von Grauzonen dominierten Welt nur noch Theorie sind. „Alle Menschen sind schuldig", erklärt ihm der pragmatische Polizeichef immer wieder und auch wenn Mattei ihm widersprechen will, zweifelt er doch an dem Humanismus, den er gern proklamieren würde. Yves Montands wiederum spielt seinen scharfschießenden Ex-Flic Jansen als menschlichen Zombie, den Fragen nach Werten und Moral längst nicht mehr interessieren.

    Das Highlight dieses an Highlights nicht eben armen Meisterwerks dürfte zweifellos der 25minütige, völlig ohne Dialoge inszenierte Einbruch sein. Die Präzision, die Perfektion, mit der der eiskalte Planer Corey, sein willfähriger Partner Vogel und der Meisterschütze Jansen ihren großen Coup – der Überfall auf einen Juwelier – spiegelt sich in Melvilles makellosem Einsatz filmischer Mittel. Über eine 25 Minuten lange Sequenz die Spannung zu halten vermögen nur wenige Regisseure doch Melville löst das Problem, indem er den Einbruch zum Herzstück seines Films macht. Jede Bewegung sitzt, jede Kameraeinstellung ist makellos, die Spannung ist kaum zu ertragen zumal sich erst im Moment des Sehens der ganze Plan des Trios erschließt. Ob auf der Leinwand oder hinter der Kamera – in „Vier im roten Kreis" sind Meister am Werk.

    Fazit: Ob als düstere philosophische Abhandlung über die Sinnlosigkeit allen Seins oder als stilvoller französischer Noir von handwerklicher Perfektion, geballter Starpower und stilisierter Eiseskälte: Jean-Pierre Melvilles „Vier im roten Kreis" ist in jeder Beziehung ein Meisterwerk.

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