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    Miss Julie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Miss Julie
    Von Nicole Kühn

    Eine verhängnisvolle Affäre wird es fast immer, wenn zwei Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten miteinander das Spiel der Liebe beginnen. Kann die große Macht der Liebe die gesellschaftlichen Machtverhältnisse umkehren? Dieser Frage geht Regisseur Mike Figgis in seiner auf August Strindbergs gleichnamigem Drama beruhenden „Miss Julie“ (deutsch: „Fräulein Julie“) nach. Mit seiner absoluten Konzentration auf die beiden Protagonisten und dem, was sich in deren Gestik und Mimik abspielt, schafft er eine höchst intensive Atmosphäre der emotionalen Spannung. Die Kraft dieses Kammerspiels liegt in seiner äußerlichen Ruhe, während es unter der Oberfläche brodelt.

    Schweden zur Mittsommernacht 1894. Die Bediensteten des Hauses unter der Aufsicht der umsichtigen Christine (Maria Doyle Kennedy) feiern ausgelassen. Julie (Saffron Burrows), der jungen und unerfahrenen Tochter des Hauses, gefällt es, zu später Stunde den Stallmeister Jean (Peter Mullan) zum Tanz zu bitten. Eine Aufforderung, der er sich als Diener nicht widersetzen kann, auch wenn es seiner Verlobten Christine ganz und gar nicht gefällt. Der intelligente und nach Höherem Strebende gerät in ein brenzliges Spiel mit dem Feuer der innerlich unglücklichen Julie. Die ganze Nacht hindurch liefern sich die beiden einen Schlagabtausch der Gefühle, der kaum etwas auslässt. Scheint zunächst Julie die qua Position eindeutig Überlegene, so trumpft Jean bald mit seiner Lebenserfahrung auf. Die gegenseitige Anziehung endet in schnellem Sex, nach dem die Karten neu gemischt werden. Beide haben sich nun gegenseitig in der Hand, schwanken zwischen Hingabe und Abscheu, zwischen romantischen Phantasien der Flucht in ein fernes Paradies und der Kapitulation vor den gesellschaftlichen Realitäten. Als der Morgen graut, entdeckt Christine die beiden. Als sie erkennt, was ihr Geliebter und ihre Herrin in dieser Nacht geteilt haben, handelt sie.

    Mike Figgis, bekannt geworden mit ausgefeilten Psychogrammen wie „Internal Affairs“ und Leaving Las Vegas, bleibt in seiner Inszenierung sehr nah am Ursprung seines Stoffes als Theaterstück. In einer von der Ausstattung her äußerst reduzierten Umgebung bewegen sich die Figuren fast wie auf einer Theaterbühne. Bis auf zwei Szenen, die in einem surreal anmutenden Garten ablaufen, spielt sich alles in einem einzigen Raum, der Küche, ab. Umso wichtiger nimmt Figgis die Rolle seiner Kamera, die wie ein Zeuge dem Geschehen beiwohnt und sich aus wechselnder Perspektive den Figuren annähert, ihnen regelrecht auf die Pelle rückt, sie unerbittlich anstarrt, während sie vor Fassungslosigkeit über die Erkenntnis ihrer Positionen regelrecht zu Statuen erstarren. Die entscheidende Szene, in der sich Julie und Jean durch die körperliche Vereinigung auch sozialmoralisch aneinander ketten, wird durch eine Verdoppelung der Kamera markiert. Das Zwiespältige dieser Darstellung unterstreicht die Unvereinbarkeit der beiden Lebenswelten selbst und gerade im Moment der physischen Verschmelzung, die alles andere als romantisch ist.

    Saffron Burrows und Peter Mullan bewältigen die eineinhalbstündige Tour de Force souverän. Unter dem aufdringlichen Auge der Kamera wird jede kleinste Regung sichtbar. Vor allem Peter Mullan, der schon in „My Name Is Joe“ durch seinen einfühlsamen Einsatz von Mimik und Körperhaltung überzeugte, erweist sich dabei als Meister der kaum sichtbaren Zuckungen und Anspannungen, die den gesamten Ausdruck vollständig verändern. Während man ihm gerade durch die fast unmerklich sich vollziehenden Wechsel der inneren Haltung zu jedem Zeitpunkt abnimmt, wirkt Saffron Burrows manchmal etwas festgefahren in einem erstarrten, tränenüberlaufenen Gesicht. Der Sprung in die Stellung der Herrin wirkt dann unvermittelt und aufgesetzt. Beiden ist die Anspannung, die dieser erotisierte Kampf um Macht und Anerkennung offenbart, in jede Bewegung eingeschrieben.

    Die wenigen Sequenzen, in denen das Feiern der Dienerschaft gezeigt wird, genügen, um die üblichen Standeszuordnungen zu konterkarieren. Während sich die Bediensteten Freizügigkeit und klare Benennung der Umstände intern erlauben können, wirkt Julie stets gefangen in ihrer Rolle, unfähig ihre wahren Gefühle ungezwungen zu zeigen oder sich über diese auch nur klar zu werden. Ohne die Verhältnisse der Angestellten zu beschönigen, führt Figgis das reiche Mädchen vor, das selbst weder das Geld noch die Lebenserfahrung besitzt, um sich aus den fein gewebten Fesseln ihrer Gesellschaft befreien zu können. Die scheinbar eindeutig unterlegene Christine braucht nur wenige kurze Auftritte um klar zu machen, dass sie weitaus fester im Leben steht als ihre Herrin, deren Familie ihr den Lebensunterhalt sichert.

    Wo die Sprache ausbleibt, übernimmt die sparsam eingesetzte Musik den Kommentar der Szenerie. Düster kündigt sie den nächsten emotionalen Stimmungswechsel an, noch bevor die Protagonisten diesen zu spüren scheinen. In seiner sehr zurückgenommenen Form fordert der Film vom Zuschauer große Aufmerksamkeit und tut sich am Anfang schwer, einen an die Figuren zu binden. Folgt man der eigenwilligen Rhythmik und lässt sich auf die fast unangenehme Nähe der Kamera zu den Menschen ein, dann bekommt man intensive Filmkost serviert.

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