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    Tatort: Der Inder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Der Inder
    Von Lars-Christian Daniels

    Wer am Montagabend in eine Stuttgarter Stadtbahn steigt oder sich in der Nähe des Hauptbahnhofs aufhält, der trifft sie auch heute noch: „Stuttgart 21“-Gegner, ehemalige Parkschützer und all jene, die sich auf dem Weg zur nächsten Montagsdemo gegen den Bau des neuen Tiefbahnhofs im Geiste mit ihnen verbunden haben. Während die Bagger längst buddeln und Bahn und Städteplaner gebetsmühlenartig die Vorteile des Bauprojekts für die gesamte Wirtschaftsregion betonen, empört sich so mancher Stuttgarter Wutbürger auch dreieinhalb Jahre nach dem Volksentscheid gegen einen Ausstieg des Landes aus der Finanzierung noch immer darüber, dass Steuergelder in Milliardenhöhe dafür ver(sch)wendet werden, 14 Minuten schneller von Frankfurt nach München fahren zu können. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis sich auch der „Tatort“ des umstrittensten Bauprojekts in der Geschichte des „Ländles“ annimmt: Filmemacher Niki Stein („Rommel“) verwebt im „Tatort: Der Inder“ einen fiktiven Mordfall gekonnt mit Fakten, Anekdoten und Anspielungen auf reale Entscheidungsträger. Politischer ging es im „Tatort“ in den vergangenen Jahren kaum einmal zu, aber „Der Inder“ überzeugt auch als Krimi.

    Ex-Staatssekretär Jürgen Dillinger (Robert Schupp) ist auf einem Waldparkplatz zum Joggen mit dem ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Rubert Heinerle (Ulrich Gebauer) verabredet, der noch immer an seiner Wahlniederlage zu knapsen hat. Am Treffpunkt wird Dillinger jedoch von Auftragskiller Franc Lefevre (Stephane Lalloz) erwartet und kaltblütig erschossen. Auch der Mörder trägt eine schwere Verwundung davon: Heinerles Personenschützer jagt Lefevre eine Kugel in die Brust. Der Flüchtige bestellt seine Kontaktperson Mira (Gabriela Lindlova) in ein Motel und lässt sich in Sicherheit bringen. Von wem erhielt er seinen Mordauftrag? Weil Dillinger in einem Untersuchungsausschuss unter Vorsitz von Bootz‘ Ex-Kommilitonin Petra Keller (Katja Bürkle) zu einem Bauskandal im Umkreis von „Stuttgart 21“ ausgesagt hatte, richtet sich das Augenmerk der Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) auf die Protagonisten im Immobiliendeal „Gleisdreieck“: Der mittlerweile inhaftierte Architekt Busso von Mayer (Thomas Thieme) hatte auf dem frei werdenden Gelände mit Hilfe eines indischen Investors ein visionäres Bauprojekt geplant. Doch der Inder entpuppte sich als Hochstapler...

    Wenn im „Tatort“ Markenzeichen zu sehen sind, werden sie (von den Autos der Kommissare einmal abgesehen) in der Regel verfremdet: Aufkleber verdecken Laptop-Logos, Fantasienamen zieren Bierflaschen und die Ermittler gehen mit fiktiven Internet-Suchmaschinen auf digitale Spurensuche. Mit aktuellem Zeitgeschehen gehen die Drehbuchautoren ähnlich um: Wie zuletzt im „Tatort: Roomservice“, der auf den Fall Dominique Strauss-Kahn anspielte, installieren sie fiktive Pendants anstelle der real existierenden Personen. Im „Tatort: Der Inder“ ist das nicht anders: Während der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus noch kürzlich im Mittelpunkt der „EnBW-Affäre“ stand, muss sich im 952. „Tatort“ ein erdachter Ex-Landesvater vor einem Ausschuss verantworten. Noch konkreter wird Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein beim Bauprojekt selbst: „Stuttgart 21“ heißt auch im Film so und der „Schwarze Donnerstag“ mit der gewaltsamen Räumung des Schlossgartens wird nicht nur namentlich erwähnt, sondern auch bei einer aus dem Ruder laufenden Demo aufgegriffen. Diese klar formulierten Bezüge zur schwäbischen Realität machen den Krimi besonders für die Zuschauer im „Ländle“ zum hochinteressanten Politthriller.

    Klare Parteinahmen sind bei gesellschaftlichen Reizthemen im „Tatort“ eigentlich die Ausnahme, Niki Stein hingegen positioniert sich ziemlich eindeutig: Er sorgt mit dem fiktiven Ausbau des realen Konflikts für Zündstoff und lässt in seinem „Tatort“, der im Mittelteil etwas unübersichtlich gerät, nur einen einzigen Befürworter des Bauprojekts zu Wort kommen: Ex-Architekt Busso von Mayer (gewohnt charismatisch: Thomas Thieme) scheint sein Knastdasein fast zu genießen und geizt nicht mit süffisanten Anekdoten zu Deutschlands schlimmster Stau-Stadt („Ein Drecksloch, ein städtebaulicher Irrtum, ein zubetonierter Talkessel!“). Weil für den inhaftierten Baulöwen aber stets sein eigenes und nie das Wohl der Stuttgarter im Vordergrund zu stehen scheint, taugt er kaum als Gegenpol zum sonst allgemein angestimmten Lästerkanon. Hauptkommissar Bootz übt beispielsweise harsche Kritik an der Steuerbelastung der nachfolgenden Generation durch das Mammutprojekt und auch sein Kollege Lannert legt seine neutrale Haltung bald ab.

    Der 952. „Tatort“ funktioniert aber nicht nur als kritischer Beitrag zur „Stuttgart 21“-Diskussion, sondern auch als Whodunit-Krimi zum Miträtseln: Obwohl der Mörder von Beginn an klar ist, bleibt offen, wer den Auftrag gab. Und wenngleich die Auflösung keine große Überraschung ist, bietet sie doch Gelegenheit für einen standesgemäßen Showdown auf dem Dach des Bahnhofsturms: So viel Stuttgart gab es im Stuttgarter „Tatort“, der zu großen Teilen am SWR-Standort in Baden-Baden gedreht wird, schon lange nicht mehr. Die chronologisch verschachtelte Erzählweise, bei der zum Beispiel die letzte Filmsequenz direkt an die erste anknüpft, schafft zusätzlichen Reiz und erinnert an die Technik, der sich auch Quentin Tarantino in „Pulp Fiction“ bediente. So kommt es nicht von ungefähr, dass Gerichtsmediziner Dr. Vogt (Jürgen Hartmann) konkret auf das Gesamtwerk des Kultregisseurs verweist und die undurchsichtige Mira (Gabriela Lindlova) sich als tschechische „Jackie Brown“-Variante entpuppt. Angesichts solcher Hollywood-Vorbilder hätte es die Mate-Tee trinkende Fee Waldner (Elisabeth Leistikow) gar nicht mehr gebraucht – die überzeichnete Szene-Bloggerin („500.000 Klicks täglich!“) ist ein eher müder Abklatsch von Investigativ-Reporterin Zoe Barnes (Kate Mara) aus dem Netflix-Hit „House Of Cards“ und bringt die Geschichte kaum voran.

    Fazit: Niki Steins „Tatort: Der Inder“ ist ein spannender, aber etwas unübersichtlicher Politthriller, der viele Denkanstöße zum Thema „Stuttgart 21“ bereithält.

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