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    Tatort: Hinter dem Spiegel
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Hinter dem Spiegel
    Von Lars-Christian Daniels

    Mit dem packenden „Tatort: Das Haus am Ende der Straße“ schuf Regisseur Sebastian Marka („Notruf Hafenkante“) im Februar 2015 den krönenden Abschluss der kurzen, von Publikum und Kritikern aber vielgelobten Ära des Frankfurter Hauptkommissars Frank Steier (Joachim Król), der sich von Folge zu Folge stärker in sein Trinker-Schicksal ergab und als Ermittler immer weniger tragbar wurde. Auch sein Nachfolger am Main, Paul Brix (Wolfram Koch), der im „Tatort: Kälter als der Tod“ im Mai seinen Einstand gegeben hat, trinkt nach Feierabend gerne mal einen über den Durst – das wird nun in seinem zweiten Einsatz im „Tatort: Hinter dem Spiegel“ deutlich. Und doch unterscheidet sich Brix von seinem Vorgänger: Während Steier immer häufiger verkatert im Präsidium aufwachte, ist der Neue fest entschlossen, seinen Kummer nicht dauerhaft in Alkohol zu ertränken, sondern sich seiner schwierigen Vergangenheit bei der „Sitte“ zu stellen und einen Neuanfang zu starten. Seine Vorgeschichte ist das Herzstück der Handlung im „Tatort: Hinter dem Spiegel“, der zwar nicht ganz an „Das Haus am Ende der Straße“ heranreicht, aber viele Sehgewohnheiten herausfordert und bis zum Schluss hervorragend unterhält.

    Die Geschichte beginnt dort, wo der „Tatort: Kälter als der Tod“ aufgehört hat: Hauptkommissar Paul Brix (Wolfram Koch) muss sich für die tödlichen Schüsse auf Kindermädchen Miranda Kador (Emily Cox) verantworten. Weil die Kugeln aus seiner Waffe aber in der Pathologie verloren gegangen sind, händigt ihm sein Vorgesetzter Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker) den Dienstausweis schon bald wieder aus und verdonnert ihn zum Innendienst. Brix‘ Kollegin Anna Janneke (Margarita Broich) macht sich allein auf den Weg zu einem Tatort: Ein Lobbyist wurde in seiner Wohnung erhängt aufgefunden. Er spielte eine wichtige Rolle in einem Bauprojekt, an dem auch die Stadt Frankfurt und das Land Hessen beteiligt sind. Im Präsidium spricht derweil Simon Finger (Dominique Horwitz) vor und bittet seinen Ex-Kollegen Brix um Hilfe. Kurz darauf liegt Finger tot in seinem Wagen – erschossen von Wolfgang Preiss (Justus von Dohnányi), seinem Schwager und Chef. Brix und Janneke ahnen davon zunächst nichts – denn der spielsüchtige Patty Schneider (Henning Peker) lässt die Leiche verschwinden, schlüpft in die Jacke des Toten und gibt sich mit dessen Dienstausweis als Simon Finger aus. Das ist jedoch keine gute Idee – denn Finger wurde von der Russenmafia gejagt...

    Einem ernsthaften Realitätsabgleich konnte schon das Debüt von Janneke und Brix kaum standhalten: Florian Schwarz und Michael Proehl schufen mit dem „Tatort: Kälter als der Tod“ zwar einen spannenden und stark inszenierten Krimi, mussten für die konstruierte Geschichte aber auch Kritik einstecken. Das dürfte Drehbuchautor Erol Yesilkaya, der mit Regisseur Sebastian Marka bereits den „Tatort: Das Haus am Ende der Straße“ konzipierte, nun nicht anders gehen: Vor allem „Tatort“-Puristen, die den gewohnten Auftaktmord und anschließende Ermittlungen nach altbewährtem Schema erwarten, dürften an der 955. Ausgabe der populären Krimireihe wenig Vergnügen finden. Die gängigen Sonntagabend-Konventionen werden im „Tatort: Hinter dem Spiegel“ von Beginn an unterlaufen – exemplarisch dafür steht die Tatsache, dass der Fund des toten Lobbyisten für eine gefühlte Ewigkeit überhaupt keine Rolle spielt. Antriebsfeder der Geschichte ist vielmehr das Verschwinden von Simon Finger und das Rätsel um Brix‘ Vergangenheit. Was ist damals vorgefallen? Und wie hängt die Sache mit Finger zusammen? Erst nach einer guten Stunde fügen sich die Puzzlestücke langsam zusammen.

    Der große Reiz des wendungsreichen Krimi-Thrillers ergibt sich daraus, dass sich alle Beteiligten auf unterschiedlichen Wissensständen befinden: Während Brix sich über den Vorfall im Bordell ausschweigt und in Rockerkneipen nach Finger sucht, stellt Broich bei dessen Ex-Kollegen von der „Sitte“ Nachforschungen über Brix an. Dezernatsleiter Riefenstahl hütet wiederum ein anderes Geheimnis, weiß aber längst nicht so viel wie der skrupellose Wolfgang Preiss (souverän: Justus von Dohnányi, „Männerherzen“). Und der Zuschauer? Der wird Zeuge des Mordes an Finger, über den die Kommissare lange Zeit nur mutmaßen können, und der sie direkt in das Domizil der gefährlichen Mafia-Chefin Elena Yusow (Anja Schneider) führt. Spätestens im Mittelteil gerät dieses Verwirrspiel etwas unübersichtlich: Brix, Janneke und Riefenstahl, die zunehmend zu einer verschworenen Einheit zusammenwachsen, fassen ihre Erkenntnisse in einem zweiminütigen Ergebnissprint zusammen, dürften damit bei vielen Zuschauern aber eher Verwirrung stiften. Hier hätten ein paar Minuten mehr dem Krimi gut getan – insbesondere die Hintergründe zum Bauprojekt und die Verstrickungen zwischen den verschiedenen Beteiligten werden im Schnellverfahren abgehandelt.

    Der ständige Konflikt zwischen Vertrauen, Pflichtbewusstsein und Loyalität prägt das Handeln aller Beteiligten, und dabei verwischen von Beginn an die Grenzen zwischen Recht und Unrecht. „Würdest du jemanden verraten, der dir das Leben gerettet hat?“, fragt Brix seine Kollegin – die Antwort gibt Janneke schon in der Eröffnungssequenz, denn auch sie verdankt ihrem Partner ihr (Über-)Leben. Für den Zuschauer ist die nur vermeintlich naive Porsche-Fahrerin auch dank ihrer Schlagfertigkeit (inklusive einer Anspielung auf Mark Romaneks Thriller „One Hour Photo“) die Identifikationsfigur, weil lange unklar bleibt, wieviel Dreck Brix wirklich am Stecken hat. Dem Hessischen Rundfunk traut man nach den jüngsten Experimenten im Wiesbadener „Tatort: Im Schmerz geboren“ im Hinblick auf die Figuren einfach alles zu – und auch diesmal wird wieder fleißig mit den ungeschriebenen Gesetzen der Krimireihe gespielt. Das Leitmotiv des Films blitzt dabei regelmäßig auf: Beginnend beim visuell herausragenden Vorspann, bei dem die typischen Stimmungsbilder der „Tatort“-Stadt durch eine symmetrische Spiegelung in der Bildmitte verfremdet werden, halten die Filmemacher ihren Figuren den Spiegel vor, stellen damit gleichsam die Frage nach ihrer wahren Identität und schaffen zugleich eine solide Grundlage für die Weiterentwicklung der Charaktere.

    Fazit: Sebastian Markas Frankfurter „Tatort: Hinter dem Spiegel“ ist ein origineller und spannender, wenn auch etwas überfrachteter Krimi-Thriller.

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