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    Get Out
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Get Out
    Von Christoph Petersen

    Die ebenso bissige wie spannende Horror-Satire „Get Out“ ist schon jetzt der Überraschungshit des Jahres! Aktuell 99 Prozent positive Kritiker-Wertungen auf Rotten Tomatoes (damit sticht er selbst die großen Oscarfilme „La La Land“ und „Moonlight“ aus), dazu ein US-Einspielergebnis von mehr als 150 Millionen Dollar (bei einem Budget von schlappen fünf Millionen). Bei so vielen Vorschusslorbeeren kann einem mitunter schon ganz schwindelig werden – und die Erwartungen drohen so sehr ins Unermessliche zu steigen, dass sie am Ende fast nur noch enttäuscht werden können. Aber was der vor allem als TV-Komiker bekannte Jordan Peele („Keanu“) hier als Autor und Regisseur abliefert, ist tatsächlich nicht weniger als einer der intelligentesten Horrorfilme aller Zeiten – und verdammt lustig ist er noch dazu.

    Nach fünf Monaten Beziehung soll Chris (Daniel Kaluuya) endlich die Eltern seiner Freundin Rose (Allison Williams, „Girls“) kennenlernen. Sorgen bereitet dem Kunstfotografen dabei vor allem, dass Rose ihrer Familie noch nicht erzählt hat, dass ihr neuer Freund schwarz ist. Aber beim ersten Treffen in der elterlichen Villa zucken die sehr wohlhabenden Missy (Catherine Keener) und Dean Armitage (Bradley Whitford, „The Cabin In The Woods“) nicht einmal mit der Wimper, sondern schließen ihren potentiellen Schwiegersohn ohne zu zögern in die Arme. Trotzdem scheint hier etwas nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Der betont linke Neurochirurg Dean erzählt zwar stolz, dass er Barack Obama gerne noch ein drittes Mal zum Präsidenten gewählt hätte, trotzdem sind seine beiden Hausangestellten dem Klischee entsprechend schwarz und verhalten sich zudem ziemlich merkwürdig. Und als Missy ihren Gast in der ersten Nacht hypnotisiert, ist sich Chris anschließend sicher, dass die Psychologin mehr mit ihm angestellt hat, als ihm nur das Rauchen abzugewöhnen…

    Jordan Peele macht gleich mit seiner die Genregesetze auf den Kopf stellenden Vor-dem-Titel-Sequenz klar, wo der Hase langläuft: Ein junger Schwarzer hat zwei Straßennamen durcheinandergebracht und ist so in einer typischen amerikanischen Vorortsiedlung gelandet – penibel gepflegte Rasen, weiße Gartenzäune, schmückende Straßenlaternen. Eine brillante Umkehrung des (zu) oft gesehenen Klischeemoments, in dem Weiße versehentlich eine falsche Highway-Ausfahrt erwischen und so völlig hilflos in einem schwarzen Ghetto stranden. Und aus dem (natürlich weißen) Auto, das den jungen Mann in sicherem, aber auffälligem Abstand verfolgt, erklingt auch nicht wie aus weniger cleveren Filmen gewohnt aggressive Rapmusik, sondern dieses viel verstörendere Stück des Zweite-Weltkriegs-Comedy-Duos Flanagan and Allen:

    (Subtile) sexuelle Innuendos sind in Horrorfilm-Dialogen eine stolz gepflegte Tradition. In „Get Out“ werden diese nun durch auf den Rassenkonflikt abzielende Doppeldeutigkeiten ersetzt, die wohl auch deshalb so grandios geschliffen geraten sind, weil sich Jordan Peele bereits während der dreijährigen Laufzeit seiner von Fans und Kritikern gefeierten TV-Sketch-Show „Key And Peele“ zum absoluten Meister der Rassenklischees aushebelnden Pointe aufgeschwungen hat. Nachdem Vater Dean zu Beginn immer wieder seine linken Überzeugungen betont, reagiert er auf die Erzählung von Chris und Rose, sie hätten auf dem Highway ein herausspringendes Reh überfahren, mit dem gefühlt unpassenden Statement: „One down, 100.000 to go. Those deer are taking over our ecosystem.“ Natürlich kann das die (etwas verquere) Ansicht eines Umweltschützers sein – aber eben zugleich auch die verschlüsselte Meinung eines überzeugten Rassisten. „Get Out“ ist bis zum Rand vollgestopft mit solchen ambivalenten Momenten, wobei vor allem die wie meistens großartige Catherine Keener (oscarnominiert für „Capote“ und „Being John Malkovich“) einen immer wieder gekonnt aus der Bahn wirft, weil sich ihre vermeintlich fürsorglichen Blicke und Gesten einfach nie so richtig einordnen lassen. Schließlich wird in ihren sanften Händen selbst ein simpler Teelöffel zur ultimativen Psycho-Waffe.

    In vielen Kritiken wird „Get Out“ als Mix aus „Rat mal, wer zum Essen kommt“ und einem zweiten Filmklassiker beschrieben – das trifft den Nagel auf den Kopf, aber der zweite Titel würde an dieser Stelle einfach zu viel verraten (ihr findet ihn am Ende des Textes unterhalb der Spoiler-Warnung). In welche Richtung der Film so ungefähr gehen wird, ist relativ schnell klar – und die Macher spielen sogar selbst sehr geschickt mit diesem Umstand, wenn sie Chris‘ Kumpel Rod (der heimliche Publikumsliebling des Films: LilRel Howery) am Telefon genau vor dem möglichen Szenario warnen lassen, das sich auch der Zuschauer bereits als mögliche Wendung zusammengereimt hat. Trotzdem stecken genug clevere Twists und Kniffe in „Get Out“, um den Zuschauer bis zum letzten Moment (Stichwort: Polizeiwagen) immer wieder zu überraschen – und die stärkste Wendung ist ausgerechnet eine, die man sogar leicht übersehen könnte, aber dazu mehr weiter unten im Spoiler-PS.

    Fazit: Extrem clever, sehr lustig und ganz schön verstörend – „Get Out“ wird den Vorschusslorbeeren gerecht und entpuppt sich tatsächlich als einer der besten Horrorfilme seit langer Zeit.

    Spoiler-PS: Den größten Twist schmieren einem die Filmemacher angenehmerweise gar nicht so dick aufs Brot, stattdessen versteckt er sich hinter einer anderen, auf den ersten Blick nicht sonderlich tollen Plotwendung. Denn als die Sache mit den Halbhirn-Transplantationen herauskommt, bedeutet das zugleich nämlich auch, dass die Weißen hier entgegen aller Publikumserwartungen tatsächlich keine mistgabelschwingenden oder sklavenhaltenden Rassisten sind, ganz im Gegenteil: „Black is in!“ – und deshalb wollen sie am liebsten selbst ihre weißen Körper loswerden und stattdessen zu Schwarzen werden. Das macht den Schwarzen nicht wie bei Rassisten üblich zu einer niederen, sondern zu einer höheren Stufe der Evolution (rassistisch bleibt es trotzdem). Und der ausgelassene Filmtitel im vierten Absatz lautet natürlich „Die Frauen von Stepford“.

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