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    Ein Kuss von Béatrice
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Ein Kuss von Béatrice
    Von Andreas Staben

    Der blumige deutsche Titel von Martin Provosts eher nüchterner Tragikomödie „Ein Kuss von Béatrice“ ist eine Verlegenheitslösung, denn die Vieldeutigkeit des französischen „Sage Femme“ lässt sich kaum übersetzen. Zum einen steht das Original tatsächlich ganz schlicht für den Beruf der Hauptfigur - schließlich ist die von Catherine Frot gespielte Claire von Beruf und Berufung Hebamme (=sage-femme, mit Bindestrich). Und zum anderen charakterisiert es die Protagonistin als „vernünftige Frau“ (=sage femme, ohne Bindestrich), was zugleich auch kluge, besonnene und brave Frau heißen kann. Und damit ist die Figur wirklich hervorragend beschrieben: Claire steht am Scheideweg, aber obwohl ihre Situation alle Merkmale einer Krise besitzt, bleibt die nichttrinkende, nichtrauchende, gemüseessende Fünfzigerin fast unerschütterlich ausgeglichen. Als sie bei einer überraschenden Nachricht einmal spontan und emotional reagiert, entschuldigt sie sich sofort – für eine aufregende Filmheldin ist sie fast schon zu anständig. Und auch Regisseur Provost, der durch das sehr viel leidenschaftlichere césargekrönte Künstlerinnen-Porträt „Séraphine“ bekannt geworden ist, setzt dem mit seiner gedämpft-zurückhaltenden Inszenierung nichts entgegen. Einzig Catherine Deneuve als flamboyante Béatrice schaltet immer wieder in den Diva-Modus, aber auch sie kann den Film nicht auf Dauer aus seiner betulichen Unverbindlichkeit befreien.

    Claire (Catherine Frot) ist mit Leib und Seele Hebamme, aber die Entbindungsstation, wo sie seit Jahrzehnten arbeitet, steht vor der Schließung. Und sie bringt es nicht übers Herz, das Angebot anzunehmen, in einer modernen Massenklinik anzufangen, die sie als „Geburtsfabrik“ empfindet. Außerdem zieht Claires erwachsener Sohn Simon (Quentin Dolmaire), den sie alleine großgezogen hat, gerade aus und will sein Studium aufgeben. Ausgerechnet in dieser Lage erhält sie einen Anruf von einer Frau aus ihrer Vergangenheit: Béatrice (Catherine Deneuve), die ehemalige Geliebte von Claires inzwischen verstorbenem Vater, möchte sie nach Jahrzehnten der Funkstille unbedingt treffen. Widerwillig lässt die Geburtshelferin sich darauf ein – eine Verabredung, die nicht ohne Folgen bleibt …

    In „Ein Kuss von Béatrice“ treffen zwei extrem gegensätzliche Grandes Dames des französischen Kinos aufeinander und genau auf diesen Kontrast zwischen den beiden Catherines hat es Regisseur Martin Provost abgesehen: auf der einen Seite die glamourös-weltgewandte Deneuve (Césars für „Die letzte Metro“ und „Indochine“), auf der anderen die bodenständig-subtile Frot (Césars für „Typisch Familie!“ und für „Madame Marguerite“). Die gemeinsamen Szenen der beiden Stars sind dann auch vergleichsweise lebhaft und oft ziemlich amüsant, etwa wenn sich Claire und Béatrice über die richtige Ernährung streiten oder über Geld. Nur ist die Rollenverteilung dabei so eindeutig und die vernünftige Claire so nachsichtig, dass es nie zu dem erzählerischen Ur-Knall kommt, der den Film so richtig in Schwung bringen würde.

    Nachhaltige Spannungen entstehen hier erst gar nicht, dafür belässt Provost die Konflikte zu sehr im Ungefähren, und dafür ist Deneuves Rolle letztlich auch zu klein. Sie spielt hier keinen gleichberechtigten Part in einem Duett (oder Duell), aber mit theatralischen Tränenausbrüchen, Serge-Reggiani-Gesangseinlagen und notorisch unvernünftigem Verhalten sorgt sie immerhin für die meisten der wenigen Farbtupfer im Grau von Paris. Catherine Frots Claire blüht dagegen nur auf, wenn sie Babys zur Welt bringen kann. Nach erfolgreicher Arbeit im Kreißsaal stehen ihr ein sanftes Lächeln und tiefe Zufriedenheit im Gesicht – in den sehr realistischen und manchmal dramatischen Geburtsszenen ist der Facettenreichtum der Schauspielerin zu erkennen. Außerhalb der Arbeit bleibt Claire allerdings selbst in den romantischen Momenten mit ihrem Gartennachbarn, dem LKW-Fahrer Paul (Olivier Gourmet, „Der Sohn“), recht farblos: eine ungewöhnliche, aber auch eine unzugängliche Heldin.

     

    Fazit:  „Ein Kuss von Béatrice“ ist ein merkwürdig undramatisches Drama über eine Frau am Scheideweg.

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Ein Kuss von Béatrice“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs außer Konkurrenz gezeigt wird.

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