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    Die wilden Zwanziger
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Die wilden Zwanziger
    Von René Malgo

    Ein Gangsterepos, das sich zu den Besten überhaupt zählen darf, stammt aus dem Jahre 1939. Regie führte Raoul Walsh („Sprung in den Tod“). In den Hauptrollen agierten James Cagney („Der öffentliche Feind“), Priscilla Lane („Saboteure“) und Humphrey Bogart („Casablanca“). Oscarnominierungen gab es keine, eingefahrene Gewinne somit schon gar nicht und auch im Übrigen kann der Film keine nennenswerten Preise oder Auszeichnungen vorweisen. Weder ist das Werk in die Filmgeschichte eingegangen, noch heutzutage einer breiten Masse bekannt. Und trotzdem darf mit Fug und Recht behauptet werden, dass es sich bei vorliegendem Beitrag aus Hollywood um das Meisterstück eines damals beliebten Genres handelt. Die Rede ist von „Die wilden Zwanziger“.

    Eddie Bartlett (James Cagney), George Hally (Humphrey Bogart) und Lloyd Hart (Jeffrey Lynn) lernen sich während des Ersten Weltkrieges an der Front kennen. Sie werden Freunde, doch nach dem Krieg beginnen sich ihre Wege zu trennen. Hart wird Rechtsanwalt und will mit Verbrechen nichts zu tun haben. Hally dagegen tritt in dunkle Geschäfte ein und Bartlett sieht sich nach erfolgloser Arbeitssuche gezwungen, beim Alkoholschmuggel der Prohibitionszeit mitzumischen. Bald steigt Bartlett zu den Großen auf und schließt sich mit Hally zusammen. Ihre Methoden werden härter, Morde geschehen, doch das aufgebaute Imperium wächst. Die Freundschaft zwischen den dreien bleibt bestehen, bis eine Frau in Bartletts Leben tritt und Hally immer mehr an Macht gewinnt. Bartlett verliebt sich in Jean (Priscilla Lane) und baut sie zu einer Sängerin auf. Doch das Mädchen liebt Hart. Die Lage eskaliert, als sich Hally gegen Bartlett stellt und dieser wiederum von Jean und Hart erfährt.

    „Die wilden Zwanziger“ basiert lose auf einer wahren Begebenheit. Gladys George spielt die Nachtclubbesitzerin Panama Smith. Sie ist Bartletts (James Cagney) Förderin und hat ein Auge auf ihn geworfen. Ihr Charakter ist durch die Schauspielerin und Nachtclubsängerin Texas Guinan inspiriert. Dank ihrer gekonnten Performance reißt Gladys George jede Szene an sich, ohne dabei ihren Mitspielern tatsächlich die Show zu stehlen. Für die eigensinnige, starke Frau mit gutem Herzen erweist sie sich als Idealbesetzung, obwohl sie nicht die erste Wahl war. Sowohl Ann Sheridan als auch Lee Patrick wurden zuvor für diese Rolle in Erwägung gezogen.

    Auch die Figur des Eddie Bartlett alias James Cagney beruht auf einer historischen Person. Der Gangster Larry Fay und sein Leben dienten als Vorlage für Eddie Bartlett und „Die wilden Zwanziger“. Die tatsächlichen Ähnlichkeiten zwischen der Filmfigur und realen Person sind aber nur minimal. Es fängt schon bei den Äußerlichkeiten an. Larry Fay war ein großer Mann, während James Cagney bekanntermaßen nicht gerade zu den körperlich riesigsten Darstellern in Hollywood gehörte. Anders als im Film starb Fay am Neujahrstag 1932. Er wurde vom Türsteher seines verschuldeten Nachtclubs El Fay mit vier Kugeln erschossen. Der Grund: Der Portier hatte erfahren, dass wegen hoher Schulden sein Gehalt gekürzt werden sollte. Das wäre zwar ein höchst unkonventioneller und bemerkenswerter Schlusspunkt im Film geworden, hätte aber zweifellos das Publikum unbefriedigt zurückgelassen und passte auch nicht zur Spannungskurve und Dramaturgie des Films. Da wurde zu Gunsten der künstlerischen Homogenität ein anderes Ende gewählt. Auch in anderen Belangen ist die Geschichte nicht sklavisch an das gewählte Vorbild angelehnt, es wird primär versucht, die Realität einer wilden Zeit möglichst vielseitig widerzugeben.

    Die 20er Jahre zählen in den USA zu einer düsteren Epoche des Landes. Die Einführung der Prohibition erzielte genau die gegenteilige Wirkung des Erwünschten und entfesselte eine Maschinerie des organisierten Verbrechens. Da gerade das Verbotene für viele einen zusätzlichen Anreiz darstellte, war es nur eine Frage der Ehre, dass sich so ziemlich jeder Bürger Amerikas doch heimlich ein Gläschen genehmigte. Das kurbelte den illegalen Alkoholhandel an und machte aus einfachen Leuten, die eine Chance im Alkoholschmuggel gewittert hatten, mächtige Syndikatsbosse. Diese Geschichte erzählt „Die wilden Zwanziger“ und versucht dabei, alle Facetten der titelgebenden 20er Jahre abzudecken. Es fängt mit dem Krieg an, schildert die Arbeitslosigkeit der weitgehend auf Ablehnung stoßenden, heimkehrenden Soldaten und die Einführung der Prohibition mit all ihren Folgen. All das bannt „Die wilden Zwanziger“ am Beispiel der drei unterschiedlichen Freunde Bartlett (Cagney), Hally (Bogart) und Hart (Lynn) eindrücklich in Bildern.

    Schnörkellos wird die bewegende und spannende Geschichte erzählt. Drehbuch und Inszenierung lassen keine Längen zu und der Film konzentriert sich nur auf das Wesentliche. Dank der weit gefächerten Themengebiete erlangt „Die wilden Zwanziger“ epische Ausmaße, wozu die sichere Regieführung von Raoul Walsh und die tadellose Kulisse auch ihren Teil beitragen. An sich mag die Geschichte keinen Originalitätspreis einheimsen, im Detail gewinnt sie dem Genre des Gangsterfilms aber neue Perspektiven ab und versteht es vor allem, tiefgründig zu sein. Zwischen diversen Actionszenen gibt es genug Raum für persönliche, stille Momente, die dank perfekter Dialogwahl und sehr guter Darsteller an Profil gewinnen können. Der Zuschauer nimmt „Die wilden Zwanziger“ seine (selbst)kritische Botschaft ab, seine Moral, die nie mit dem Vorschlaghammer eingetrommelt wird und sein nüchternes auf Realitätsnähe pochendes Porträt einer bewegten Zeit.

    Raoul Walsh versteht sein Fach, Kameramann Ernest Haller liefert atmosphärische Bilder und Jack Killifers Schnitt hinterlässt ein schnitzerfreies Gesamtbild. James Cagney spielt gekonnt auf und gibt von allen seinen Gangsterrollen in „Die wilden Zwanzigern“ neben „Chicago – Engel mit schmutzigen Gesichtern“ seine menschlichste und tragischste zum Besten. Humphrey Bogart, zu dem Zeitpunkt noch auf Bad-Guy-Rollen festgelegt, ist auch nicht nur böse, sondern mimt eine vielschichtige Figur. Gleiches gilt für all die anderen größeren und kleineren Rollen im Ensemble. Einige Klischees werden zwar gepflegt, allerdings passend eingesetzt. Dadurch wird die Nachvollziehbarkeit erleichtert und das hohe Tempo des Films aufrechterhalten. Priscilla Lane ist nicht nur die obligate, schöne Frau an der Seite des Hauptdarstellers, sondern ein weiteres persönliches Beispiel aus einem Leben zu Zeiten der amerikanischen Prohibition.

    Als Fazit lässt sich festhalten, dass es sich bei „Die wilden Zwanziger“ um ein beachtliches und bewegendes, fast dokumentarisches Stück Filmgeschichte handelt. Das finstere Ambiente wird von passenden, humorvollen Momenten aufgelockert und die Tragik durch persönliche Beispiele dem Betrachter nahe gebracht. Ein sehenswerter Film, der zwar nicht als Meilenstein gilt, eine Meisterleistung nichtsdestotrotz ist.

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