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    Madame Hyde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Madame Hyde
    Von Andreas Staben

    Wenn die kürzlich für „Elle“ oscarnominierte Isabelle Huppert in einer Schlüsselszene von „Madame Hyde“ plötzlich als Feuer-Furie vor der rappenden Dorfjugend auf dem grünen Hügel erscheint, dann wären die in ihrer Künstlichkeit durchaus schon wieder poetischen roten Flammen, in die ihr Körper hier per Computer gehüllt wird, eigentlich gar nicht nötig. Denn die französische Edelmimin strahlt alleine durch ihre Präsenz, ihren Blick und ihre Haltung eine geradezu explosive Energie aus – gefährlich und anziehend zugleich. Huppert zeigt nach ihren Meisterleistungen der jüngeren Vergangenheit in „Was kommen wird“, „Valley Of Love“ und „Barrage“ erneut, dass sie wie kaum eine zweite das geheimnisvoll-magnetische Charisma eines echten Stars und das souveräne Handwerk einer Meisterschauspielerin zusammenbringt. Sie ist gewissermaßen der einzige Spezialeffekt, den Regisseur Serge Bozon („Tip Top“, „La France“) für seine surrealistisch angehauchte Tragikomödie wirklich benötigt. Das Herz, der Motor und das Geheimnis des sehr frei von Robert Louis Stevensons vielverfilmter Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ inspirierten Films heißt Isabelle Huppert.

    Physiklehrerin Marie Géquil (Isabelle Huppert) hat es bei den Schülern und bei den Kollegen schwer, auch der selbstverliebte Schulleiter (Romain Duris) ist ihr keine Hilfe. Sie kann sich nicht durchsetzen und ihre Lehrmethoden werden zunehmend in Zweifel gezogen. Doch dann trifft sie in einer stürmischen Nacht der Blitz und anschließend kommt sie nicht nur ihrem Ehemann Pierre (José Garcia) verändert vor. Von neuem Selbstbewusstsein erfüllt tritt Marie vor ihre Klasse und nimmt zudem den aufsässigen Außenseiter Malik (Adda Senani) unter ihre Fittiche. Erste Erfolge stellen sich ein, aber die plötzliche Energie der Lehrerin hat auch buchstäblich brandgefährliche Seiten. Und es fällt Marie immer schwerer, diese zu kontrollieren…

    Schon der Filmtitel „Madame Hyde“ gibt die Inspirationsquelle preis und wenn die Protagonistin gleich in einem der allerersten Dialogsätze mit ihrem Namen Géquil (sprich: Jekyll) angesprochen wird, dann scheint es keinen Zweifel mehr zu geben, dass wir es mit einer weiteren Variante des unverwüstlichen Ringens einer braven Bürgerpersönlichkeit mit ihrem ungezügelten zweiten Ich zu tun bekommen. Doch zunächst zeigt uns Regisseur und Drehbuchautor Serge Bozon bloß eine Lehrerin, die gegen bürokratische Hürden, feindselige Schüler und gegen ihre eigene Resignation ankämpft. In der Genauigkeit der Darstellung des sozialen Mikrokosmos der Schule mit seinen systemimmanenten Spannungen erinnert „Madame Hyde“ dabei an Laurent Cantets Cannes-Gewinner „Die Klasse“, nur dass Bozon das Ganze mit jeder Menge ironischer Überspitzungen und eigenwilligen Abschweifungen garniert. Am meisten Spaß hat daran Romain Duris („L’Auberge Espagnole“) als eitel-opportunistischer Direktor, der mehr am Sitz seiner Haare als am Wohl der Schüler interessiert ist und der sogar bei einer Gedenkminute nur die eigene Wirkung im Kopf hat.

    Es wäre vor diesem Hintergrund durchaus naheliegend gewesen, den Géquil-Frust einfach psychologisch folgerichtig in Hyde-Wut umschlagen zu lassen, aber so leicht macht es sich Bozon nicht. Er wechselt lieber das Register und lässt die Natur mit großem Theaterdonner bei der Verwandlung nachhelfen. In träumerischen Nachtsequenzen tritt uns dann die starke (feurige) Seite der Protagonistin entgegen, während tagsüber eine viel subtilere Veränderung vor sich geht und Isabelle Huppert das in der verhuscht-verschüchterten Lehrerin schlummernde Selbstbewusstsein erst ganz allmählich zum Vorschein bringt. Das Unheimlichste in diesem Film ist nicht etwa die nächtliche Eskalation, sondern der veränderte Blick der anderen auf die zuvor geschmähte Lehrerin im Alltag. Diesem menschlichen Wankelmut wird in einigen sehr amüsanten Szenen die unerschütterliche Logik von mathematischen Regeln entgegengestellt, die Géquil anschaulich demonstriert. Es ist dieser Gegensatz, der schließlich zu einer furiosen letzten Volte führt, mit der Bozon und Huppert einen passenden Schlusspunkt setzen.

    Fazit: Serge Bozon legt mit „Madame Hyde“ eine überaus originelle, extrem feinhumorige Variante des Jekyll-und-Hyde-Stoffes vor, die Isabelle Huppert mit einer weiteren meisterlichen Darstellung veredelt.

    „Madame Hyde“ läuft im Programm der Woche der Kritik 2018, die der Verband der deutschen Filmkritik e.V. parallel zur Berlinale veranstaltet.

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