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    I, Tonya
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    I, Tonya
    Von Carsten Baumgardt

    I, Tonya“ ist ein Biopic über eine Eiskunstläuferin, ja. Das klingt auf dem Papier erstmal nicht unbedingt prickelnd. Doch diese fatale Annahme könnte unzutreffender für Craig Gillespies elektrisierenden Film kaum sein. Denn der „The Finest Hours“-Regisseur klappert hier nicht in klassischer Manier pflichtschuldig die Stationen der Karriere der Porträtierten ab, die immerhin die Silbermedaille bei der Weltmeisterschaft 1991 errang und im selben Jahr US-amerikanische Meisterin wurde. Vielmehr macht er sich zunutze, dass Tonya Harding die wohl schillerndste Person ist, die sich je in der Eiskunstlaufszene bewegt hat. Weltberühmt und noch viel berüchtigter wurde Harding durch ihre Verwicklung in das Eisenstangenattentat von 1994 auf ihre größte Rivalin Nancy Kerrigan. Fortan war sie als „Eishexe“ verschrien und lebenslang gesperrt. Einer solch exzentrischen Profisportlerin gebührt auch ein entsprechend exzentrischer Film – und das ist „I, Tonya“ im positivsten Sinne. Gillespies Real-Groteske ist eine bissige, brüllend komische Satire im Mockumentary-Stil, die erzählerisch stark an die Filme der Coen-Brüder erinnert und zudem von den fantastischen schauspielerischen Leistungen der beiden Oscarnominierten Margot Robbie und Allison Janney getragen wird.

    Tonya Harding (jung: Maizie Smith / als Teenie: Mckenna Grace / erwachsen: Margot Robbie) wächst vaterlos in ärmlichen Verhältnissen in Portland, Oregon auf und wird von ihrer resolut-gnadenlosen Mutter LaVona Golden (Allison Janney) zu einer Eiskunstlaufkarriere getriezt, weil sie tonnenweise Talent für diesen Sport besitzt. Unter der bekannten Trainerin Diane Rawlinson (Julianne Nicholson) wird Ausnahmetalent Tonya immer besser, obwohl sie mit ihrer eigenen Ruppigkeit kaum in den feinen, aber von großem Konkurrenzdenken geprägten Sport passt. Auch als Erwachsene bei den Profis bleibt Tonya eine Außenseiterin, die trotz ihrer Erfolge immer im Schatten ihrer Konkurrentin Nancy Kerrigan (Caitlin Carver) steht. Diese offen ausgetragene Fehde mündet 1994 in ein folgenschweres Ereignis, als Tonyas Mann Jeff Gillooly (Sebastian Stan) ein Attentat in Auftrag gibt, bei dem Kerrigan während des Trainings bei der US-Meisterschaft von Schlägern mit einer Eisenstange schwer am Knie verletzt wird. Der Verdacht fällt auf Tonya und Jeff, bei denen alsbald das FBI auf der Matte steht…

    Wer die Affäre damals mitbekommen hat, kann sich erinnern, dass Eiskunstlauf nie größere mediale Aufmerksamkeit bekam als zur Zeit des monumentalen Gut-gegen-Böse-Duells zwischen der eleganten und beliebten Nancy Kerrigan auf der einen Seite sowie der athletischen und misstrauisch beäugten Tonya Harding auf der anderen. Die schaffte es als erste Amerikanerin und eine von nur ganz wenigen Frauen überhaupt, den technisch schwierigsten Sprung, den dreifachen Axel, bei einem Wettbewerb zu stehen (zuletzt gelang diese Sensation der Silbermedaillengewinnerin Mira Nagasu 2018 bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang). Und der legendäre hinterhältig-brutale Angriff auf die Konkurrentin war nicht weniger als einer der größten Skandale der Sportgeschichte und elektrisierte dann auch die Teile der Öffentlichkeit, die mit Eiskunstlauf nicht viel am Hut hatten.

    Tonya Harding polarisierte das Publikum sowieso schon auf ungewöhnlich extreme Weise und die unerhörte, rüde und niederträchtige Aktion gegen die Eisprinzessin Kerrigan war schließlich so ungeheuerlich, dass man es kaum glauben konnte. Von dieser in Gewalt und Verbrechen eskalierenden Schlammschlacht ging eine befremdliche seifenoperntaugliche Faszination aus: Auf dem Höhepunkt der Affäre war Tonya Harding ohne Übertreibung die wohl meistgehasste Sportlerin aller Zeiten. Und all diese unfeinen extremen Emotionen, die Schmerzen und den Hass und den Neid, nimmt sich Regisseur Gillespie vor und komprimiert sie in einen Film, der vor provokanten Pointen und bösartiger Chuzpe nur so sprüht.

    Der Ansatz, eine klassische Sportlergeschichte als Mockumentary-Satire zu erzählen, in der die Protagonistin sich selbst kokettierend als White-Trash-Redneck bezeichnet, die vierte Wand durchbricht und direkt in die Kamera zu den Zuschauern spricht, ist schon sehr forsch. Mit den Aufnahmen eines (fiktiven) Doku-Teams, das Harding und Gefährten interviewt und die Geschichte innerhalb der Geschichte nachzeichnet, gibt Regisseur Gillespie seiner Handlung einen Rahmen und seinem ganzen Film genau die richtige Doppelbödigkeit, die zu dieser wahren Räuberpistole passt. Während Harding als tragische Figur ihre Würde wahren darf und nicht unsympathisch wirkt, werden die Trottel um sie herum - allen voran ihr nichtsnutziger Ehemann Jeff Gillooly und seine schrägen Witzfigur-Kumpanen - als das vorgeführt, was sie sind: Idioten. So bezeichnet sich Hardings selbsternannter Bodyguard Shawn Eckhardt in bizarren Statements ernsthaft als anerkannter Experte für Antiterror und Gegenspionage.

    Bei ihrem großen Durchbruch in „The Wolf Of Wall Street“ (2013) behauptete sie sich als junge Newcomerin aus Australien gleich selbstbewusst an der Seite von Leonardo DiCaprio. Nach „I, Tonya“ ist nun endgültig klar, welch großes Talent und wie viel Starpower Margot Robbie („Focus“, „Suicide Squad“) auf die Leinwand bringt. Auch wenn sie mit 1,68 Meter satte 13 Zentimeter größer ist als die echte Harding, ist Robbies Verwandlung auf der Leinwand erstaunlich: Sie bringt nicht nur den Ehrgeiz, den Trotz und den Kampfgeist der Außenseiterin rüber, sondern trägt auch die scheußliche 80er-Jahre-Kluft Hardings mit der größtmöglichen Selbstverständlichkeit. Erst in späteren Jahren bekommt die burschikose Kämpferin wenigstens einen Hauch jener Eleganz, die sonst ihrer erfolgreicheren Rivalin Kerrigan vorbehalten war.

    Von all den superben Nebendarstellern sticht Allison Janney („Juno“, „The Help“) als Tonyas verrückt-rabiate Mutter LaVona Golden besonders heraus, die mit kunterbunten Klamotten und einem Papagei auf der Schulter einen saftigen Spruch nach dem anderen in die Kamera des vermeintlichen Doku-Teams kloppt. Janney schimpft nicht nur wie ein Rohrspatz, sie traktiert ihre Tochter auch auf so gnadenlos-unerbittliche Art, dass einem in einigen Szenen geradezu der Atem stockt. Und wer glaubt, Regisseur Gillespie übertreibt mit dieser grotesken Karikatur eines Muttermonsters maßlos, der irrt.

    Während die ersten beiden Filmdrittel selbst bei den absurdesten und bösesten Zuspitzungen als surreale schwarze Komödie in bester Coen-Art vorbeifliegen, steuert Gillespie seinen Film gegen Ende doch noch in ernste, dramatische Gefilde, wenn es im letzten Akt darum geht, sich mit den juristischen, medialen und menschlichen Folgen des Attentats auseinanderzusetzen. Das nimmt „I, Tonya“ etwas den Elan und die Originalität, ohne aber den starken Gesamteindruck nachhaltig zu trüben - nur die Lacher werden weniger.

    Fazit: „I, Tonya“ ist eine furios-lustige Redneck-Satire mit jeder Menge unvergesslich exzentrischer Figuren und immensem Unterhaltungswert.

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