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    Barbara
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Barbara
    Von Michael Meyns

    Die sechste Regiearbeit von Schauspieler und Filmemacher Mathieu Amalric („Das blaue Zimmer“) hat einen so durch und durch französischen Charme, dass man sich keinen besseren Eröffnungsfilm der Reihe „Un Certain Regard“ in Cannes vorstellen kann. Hier in die wichtigste Nebensektion des Vorzeigefestivals an der Côte d’Azur passt die spielerisch-poetische Film-im-Film-Biopic-Variation „Barbara“ perfekt. Mit seiner Ex-Frau Jeanne Balibar („Va savoir“) in der Hauptrolle erzählt der als Bond-Bösewicht in „Ein Quantum Trost“ berühmt gewordene Amalric aus dem Leben der außerhalb Frankreichs wenig bekannten Chansonsängerin Barbara, aber vor allem reflektiert er in einer mehrfachen Mise en abyme über die Faszination der Künstlerin und ihrer Darstellerin auf ihn, den Regisseur. Wer von der Vita und dem Schaffen der Titelfigur sowie der privaten Verbundenheit zwischen den Machern nichts weiß, dem werden womöglich einige Nuancen des Films entgehen, aber anregend ist Amalrics beziehungsreicher Reigen trotzdem allemal – und Balibars Performance ist schlicht atemberaubend.

    Brigitte (Jeanne Balibar) ist Sängerin, Schauspielerin und vor allem Diva, und in dieser Kombination die ideale Besetzung für die Rolle der Barbara in einem biografischen Film über die 1997 gestorbene Sängerin. Regisseur des Films ist Yves Zand (Mathieu Amalric), der nach eigener Aussage von Barbara besessen ist, seit er sie als 16-Jähriger kurz treffen durfte. Sowohl er als auch seine Hauptdarstellerin haben ihren jeweils ganz eigenen Blick auf Barbara, was immer mal wieder für Reiberein am Set sorgt ...

    „Barbara“ ist weit entfernt von jenen konventionellen, psychologisierenden Künstlerbiografien, wie sie uns andere Filmemacher immer wieder präsentieren. Während etwa in „Ray“ (über Ray Charles) und in „Get On Up“ (über James Brown) oder auch im deutschen Film „Hilde“ (über Hildegard Knef) bei allen Unterschieden auch in der Qualität vor allem die „wichtigen“ Lebensstationen und Wendepunkte der porträtierten Musiker abgeklappert werden, kommen diese Meilensteine hier oft nur ganz am Rande vor: Barbara war in Frankreich schon von den 1950er Jahren an eine Art Stimme der Nation. Sie besang das deutsch-französische Verhältnis, trat zu Beginn der AIDS-Epidemie für Toleranz ein und arbeitete mit den größten Stars des Landes zusammen - von Jacques Brel bis Johnny Hallyday. Aber Mathieu Amalric geht es um etwas anderes, er interessiert sich für Barbara als Diva. Mit ihrem Charisma und ihrem ganz eigenen Stil liefert sie das Vorbild, das in „Barbara“ mehrfach gespiegelt wird.

    Jeanne Balibar feierte in den vergangenen Jahren auch als Sängerin Erfolge. Mit ihrer schmalen, eleganten Gestalt, ihrer lasziven Ausstrahlung, die jede Geste, jeden Blick zu einem Moment der Verführung werden lässt, ist sie die Quintessenz einer Diva und als solche die ideale Besetzung für Amalrics Film. Balibar spielt Brigitte, die Barbara spielt oder anders gesagt: Eine Diva spielt eine Diva spielt eine Diva. Wo dabei die eine Rolle aufhört und die andere anfängt, bleibt meist unbestimmt. Leben und Film(e) verschwimmen und sind oft kaum noch auseinanderzuhalten. Einzig das wechselnde Filmmaterial markiert die Übergänge zwischen den Ebenen: Grobkörnige Bilder für nachgestellte Aufnahmen Barbaras aus den 60er Jahren, scharfe Digitaloptik für die Gegenwartsebene mit Brigitte, dazu schwarz-weiße Archivbilder der echten Barbara und immer wieder Szenen des Films im Film, in denen Brigitte Barbara spielt. Die Ebenen gehen in einer Art assoziativem Fluss ineinander über, der lose geknüpfte erzählerische Faden droht dabei gelegentlich zu reißen. In solchen Momenten ist es die elektrisierende Jeanne Balibar, die das alles zusammenhält. Sie ist in fast jedem Moment zu sehen und so wird „Barbara“ immer mehr auch zu einem Film über die Hauptdarstellerin selbst.

    Fazit: Mathieu Amalric legt mit „Barbara“ ein Biopic der etwas anderen Art vor, denn sein Film ist nicht nur ein Porträt der 1997 verstorbenen Sängerin, sondern ebenso sehr auch eines seiner brillanten singenden Hauptdarstellerin und Ex-Ehefrau Jeanne Balibar.

    Wir haben „Barbara“ bei den 70. Filmfestspielen in Cannes 2017 gesehen, wo er als Eröffnungsfilm der Sektion Un Certain Regard gezeigt wird.

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