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    Helle Nächte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Helle Nächte
    Von Christoph Petersen

    In dem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Helle Nächte“ unternehmen der Berliner Ingenieur Michael (Georg Friedrich, „Wilde Maus“) und sein ihm entfremdeter 14-jähriger Sohn Luis (Tristan Göbel) einen Trip nach Norwegen. Trotz dieser zentralen Zweier-Konstellation ist der neue Film von Thomas Arslan („Ferien“, „Gold“) aber eigentlich ein Drei-Generationen-Porträt, denn der Anlass für die Reise ist der Tod des Großvaters, der vor seinem Herzinfarkt fünf Jahre ohne Kontakt zur Familie in Norwegen gelebt hatte: Zunächst mal geht es darum, die üblichen Dinge zu erledigen, Bankkonten kündigen und so, aber dann überredet Michael seinen Sohn, noch ein paar Tage dranzuhängen und mit dem Auto weiter hoch in den Norden zu fahren. „Helle Nächte“ handelt von dem schmerzhaften Versuch, den sich von Generation zu Generation wiederholenden Kreis der Geschichte zu durchbrechen, doch noch mal eine Annäherung zu wagen. Dazu findet Arslan immer wieder starke Bilder und epische Landschaften, um das Anrennen der Protagonisten gegen ihre eigenen inneren Widerstände sichtbar zu machen.

    Im abgeschiedenen Haus des Verstorbenen in Norwegen stößt Michael überraschend auf ein 200 Seiten langes Buchmanuskript über Tunnelbau, das der alte Mann erst wenige Wochen vor seinem Tod fertiggestellt hat. Es ist für ihn ein schockierender Fund, denn er symbolisiert noch einmal, wie wenig er doch von seinem eigenen Vater wusste. Und mit seinem Sohn geht es ihm kaum anders, immerhin ist Luis ohne Michaels Wissen schon vor mehr als einem Jahr aus dem Fußballverein ausgetreten. Auf der anschließenden Fahrt gen Norden wagt Michael immer wieder vorsichtige Kommunikationsversuche, die von Luis aber meist sofort unterbunden werden. Aus dem konzentrierten Plot von „Helle Nächte“ (im norwegischen Sommer geht die Sonne selten ganz unter) hätte man leicht eine dieser ein bisschen skurrilen, ein bisschen sentimentalen Arthouse-Komödien über am Ende doch noch zusammenfindende dysfunktionale Familien machen können, aber mit sowas ist man bei Arslan natürlich an der falschen Adresse…

    … statt einfacher Antworten und oberflächlicher Happy Ends gibt es in „Helle Nächte“ präzise Beobachtungen: Allein das kurze Gespräch über „Der Herr der Ringe“, auf das in einer späteren Szene auch noch einmal visuell angespielt wird, zeigt, wie haarscharf sich die Generationen nur verfehlen – und wie weit sie dennoch auseinanderliegen: Luis liebt die Filme, Michael hat das Buch gelesen, Luis findet das Buch stinklangweilig. Nicht einmal als sein Sohn sich (vielleicht sogar zum ersten Mal) verliebt, bekommt Michael das mit: Während das Publikum sieht, wie sich in den Augen von Nachwuchsstar Tristan Göbel („Tschick“) beim Wegfahren des Osloer Metal-Mädchens eine Träne bildet, schlendert sein bemühter, aber immer wieder an seinem eigenen passiv-aggressiven Verhalten scheiternder Vater im Hintergrund bereits zum Leihwagen davon.

    Noch mehr als solche streng reduzierten und dennoch vielsagenden Vignetten begeistert jedoch die visuelle Umsetzung: Neben einer Reihe herausstechender Einstellungen im Auto (inklusive eines genialen Einsatzes des Navigationssystems / der Heckkamera) spiegelt sich die Vater-Sohn-Beziehung vor allem in der episch fotografierten norwegischen Landschaft: Wenn Vater und Sohn noch vermeintlich harmlosen Smalltalk betreiben, sind sie umgeben von weiten Wäldern und stillen Seen, die Straßen führen meistens geradeaus. Später dann, wenn es ans Eingemachte geht, führt der Weg hinauf in die Berge, steinig, steil, kurvig. Das atmosphärische Herzstück von „Helle Tage“ bildet eine mehrminütige Sequenz ohne Schnitt, gefilmt von der Front eines Autos, das sich die schottrigen Serpentinen hinaufquält – im Verlauf der Szene wird es immer steiler, immer engkurviger und vor allem immer nebliger, bis man irgendwann kaum noch ein paar Meter weit schauen kann. Vater und Sohn erklimmen (emotionales) Neuland – und zumindest Michael sieht dabei sogar einmal aus wie einer der Gefährten in der ikonischen Einstellung aus Peter Jacksons „Der Herr der Ringe“.

    Fazit: Eine präzise erzählte Vater-Sohn-Annäherung – gefasst in großartige Bilder.

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Helle Nächte“ als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wird.

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