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    Docteur Knock - Ein Arzt mit gewissen Nebenwirkungen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Docteur Knock - Ein Arzt mit gewissen Nebenwirkungen
    Von Antje Wessels

    Die Vorlage von „Docteur Knock – Ein Arzt mit gewissen Nebenwirkungen“ ist bereits ein knappes Jahrhundert alt. Die Komödie von Lorraine Lévy („Der Sohn der Anderen“) basiert nämlich auf einem gefeierten Theaterstück aus den 1920er Jahren, das seither bereits dreimal für die große Leinwand adaptiert worden ist. Es geht um einen zwielichtigen Arzt, der nicht das Wohlbefinden seiner Patienten, sondern einzig und allein seinen Reichtum im Kopf hat, der titelgebende Mediziner Knock ist in der Vorlage ein waschechter skrupelloser Schurke, aber Lévy wählt nun einen ganz anderen Ansatz. Die Regisseurin engagiert als Hauptdarsteller mit Omar Sy („Plötzlich Papa“) einen Publikumsliebling und etabliert im Film eine stets sonnige Dorfidylle. Sie macht aus dem zynischen Doktor einen sympathischen Draufgänger, der trotz seiner moralischen Verfehlungen bis zuletzt das Herz am rechten Fleck hat. Das hiermit offenbar angestrebte Feelgood-Kinoerlebnis stellt sich allerdings nur bedingt ein, weil die moralischen Grauzonen der Figur kaum wirksam ausgelotet werden. So legen sich die negativen Seiten des Doktors wie ein Schatten auch über seine guten Taten und er bleibt letztlich unzugänglich und rätselhaft.

    Frankreich, Anfang der 1950er Jahre: Als der Kleinganove Knock (Omar Sy) eines Tages seine Spielschulden nicht zurückzahlen kann, rettet er sich im letzten Moment auf ein Passagierschiff. Um mitzureisen zu können, gibt er vor, praktizierender Arzt zu sein und schummelt sich damit sechs Monate lang über die Weltmeere. Dabei kommt er auf den Geschmack und studiert anschließend tatsächlich Medizin. Fünf Jahre später heuert er in dem kleinen Ort Saint-Mathieu an, wo er eine leerstehende Praxis bezieht. Doch mit dem bloßen Heilen von vorhandenen Krankheiten gibt er sich nicht zufrieden, er will auch ordentlich Geld verdienen. Deshalb überzeugt er seine eigentlich gesunden Patienten, dass sie an allerlei Wehwehchen leiden. Sein Plan geht auf: Schon bald rennen ihm die Dorfbewohner hoffnungsvoll die Bude ein und die Kasse klingelt. Bis eine Gestalt aus Knocks Vergangenheit alte Schulden einfordert und sich der spitzbübische Doktor auch noch in die charmante Adèle (Ana Girardot) verliebt…

    Seit seiner Performance im Überraschungshit „Ziemlich beste Freunde“ hat Omar Sy ein Abo auf die Verkörperung des sympathischen Filous. Bereits in der ersten Viertelstunde von „Docteur Knock“ sehen wir den Franzosen voll in seinem Element: Wenn er sich mithilfe seiner ahnungslosen Patienten nach und nach das Wissen zu den gängigen Seekrankheiten aneignet, sonnenbrandgeplagten Damen zerstampftes Fett als Allheilmittel verkauft und wahllos (aber süffisant) mit Fachvokabular um sich wirft, kombiniert Sy dieses für seine Mitmenschen durchaus gefährliche Verhalten mit einer lebensfroh-unbedarften Attitüde, dass man dahinter immer auch die Wissbegier und den Willen erkennt, seinen Mitmenschen irgendwie zu helfen. Das ändert sich jedoch nach einem Zeitsprung von fünf Jahren: Knock übernimmt nun die leerstehende Praxis im verschlafenen Städtchen Saint-Mathieu und macht sich seine Gabe für charmanten Smalltalk und tiefgründige Konversation zunutze, um sich schnell mit den Dorfbewohnern anzufreunden und sich daraufhin die Taschen vollzumachen. Und ab hier gelingt es selbst Sy nicht mehr, den zwiespältigen Knock zum Sympathieträger zu machen.

    1923 schrieb Jules Romain „Knock“ im Hinblick auf das sukzessive Erstarken faschistischer Bewegungen und legte die Figur des manipulativen Docteur Knock als größenwahnsinnigen Tyrannen an, der nicht nur Medizin und Wissenschaft für seine Zwecke missbraucht, sondern seine Patienten mithilfe seines rhetorischen Geschicks langsam davon überzeugt, dass er das Richtige tut. Diese Mischung aus Wahnsinn und Berechnung blitzt in der Neuauflage von „Docteur Knock“ immer noch auf, zum Beispiel wenn das Läuten der Kirchenglocken zur Mittagsstunde den Arzt fast in Ekstase versetzt, da in der von ihm eröffneten Gesundheitsklinik nun gleichzeitig bei mehreren hundert Patienten rektal Fieber gemessen wird. Seine Auffassung von Gesundheitsvorsorge reicht also durchaus ins vollkommen Absurde, genauso wie seine hanebüchenen Ideen, welcher gesunde Patient denn welche Krankheit haben könnte. Aber zu einer der Komplexität der Originalfigur angemessenen Charakterstudie führt das hier nicht.

    Weder den Motiven noch den Denkmustern dieses ambivalenten Manipulators geht Lorraine Lévy auf den Grund. Das widersprüchliche und immer wieder bedenkliche Verhalten des Arztes findet gleichsam im luftleeren Raum statt und wenn er schließlich einem dem Tode geweihten Hund das Leben rettet oder sich um gesundheitliche Aufklärung an der Grundschule bemüht, dann fehlt auch diesen positiven Seiten die emotionale Unterfütterung, da kann Omar Sy noch so charmant lächeln. Darüber hinaus bleiben die vielen Nebenhandlungsstränge so oberflächlich wie die Hauptfigur: Die aufkeimende Liebe zwischen Knock und Adèle, der skeptische Pfarrer Lupus (Alex Lutz) oder das plötzliche Auftauchen eines alten Feindes sind rein funktional eingesetzt. Es ist, als wollte uns die Filmemacherin einfach jeweils eine Dosis Lachen und Weinen verordnen, aber ihre albernen Slapstickeinlagen erweisen sich dabei als genauso wenig wirksam wie einige aufgesetzte melodramatische Wendungen.

    Fazit: Regisseurin Lorraine Lévy versucht in „Docteur Knock“, aus einem tyrannischen Megalomanen einen gewitzten Gauner mit Herz zu machen. Das misslingt trotz der eifrigen Bemühungen von Hauptdarsteller Omar Sy und so bleibt der Protagonist eine Kunstfigur in einer seltsam leblosen Geschichte.

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