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    Mein Freund Dahmer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mein Freund Dahmer
    Von Christoph Petersen

    In den meisten Biopics über Serienmörder wird die Jugend eher nebenbei mit abgehandelt: ein wenig familiärer Missbrauch hier, ein getötetes Tier dort – und am Ende lassen sich die späteren Schreckenstaten (viel zu) sauber aus einem prägenden Ereignis in der Kindheit herleiten (wobei Künstlerbiografien wie „Ray“ in der Regel natürlich ähnlich schematisch ablaufen). Schon deshalb lässt einen das Konzept von „My Friend Dahmer“ direkt aufhorchen. In seinem Coming-of-Age-Drama beleuchtet Regisseur Marc Meyers („How He Fell In Love“) nämlich ausschließlich das letzte Schuljahr des späteren Serienmörders Jeffrey Dahmer, der bei seiner Verhaftung 1991 die Morde an 17 jungen Männern gestand (Kannibalismus und Nekrophilie inklusive), bevor er 1994 schließlich von einem Mithäftling im Gefängnis totgeprügelt wurde. Das Ergebnis dieser ungewöhnlichen Schwerpunktsetzung überrascht: „My Friend Dahmer“ bricht zwar die gängigen (Erklärungs-)Muster von Serienmörder-Biopics nur bedingt auf, bläst dafür aber ordentlich frischen Wind in das ausgelutscht geglaubte Genre des Highschool-Außenseiter-Films.

    Auch in seinem letzten Jahr an der Highschool ist Jeffrey Dahmer (Ross Lynch) Mitte der 1970er noch immer ein Außenseiter ohne echte Freunde. In seiner Freizeit sammelt er die Kadaver überfahrener Tiere am Straßenrand auf und legt sie in einer kleinen Hütte im Wald in Säure ein, die ihm sein Chemiker-Vater (Dallas Roberts) von der Arbeit mitbringt. Seine Mutter (Anne Heche) ist gerade erst wieder aus einer psychiatrischen Einrichtung zurück, in die sie unter anderem wegen einer vermeintlichen UFO-Sichtung eingewiesen wurde. Erst als Jeffrey in einer Schulstunde die Spastiken eines halbseitig Gelähmten nachäfft und dafür einen Lacher erntet, geht es für ihn in der sozialen Hierarchie langsam aufwärts. Nachdem er sich wild zuckend auf dem Schulflur gewälzt hat, gründet sich um seinen Mitschüler Derf (Alex Wolff), einem angehenden Comic-Zeichner, sogar ein kleiner Dahmer-Fanclub, der seinen Spastiker-Champion zu immer neuen Aktionen anstachelt…

    „My Friend Dahmer“ fühlt sich vor allem in den Szenen frisch und authentisch an, in denen Jeffrey mit den Mitgliedern seines Fanclubs abhängt und für sie herumzuckt – und das ist auch nur logisch: Die gleichnamige, dem Film zugrundeliegende Graphic Novel stammt nämlich von dem Fanclub-Gründer Derf persönlich, der darin seine Schulfreundschaft zu dem späteren Serienmörder aufarbeitet (deshalb auch der Titel „My Friend Dahmer“). Das Ergebnis erinnert bisweilen an John-Hughes-Klassiker wie „Breakfast Club“ – nur eben mit einer sehr viel morbideren Seite. Das Verhältnis von Jeffrey zu seinen neuen Kumpels bleibt dabei angenehm ambivalent – bis zum Schluss ist nicht vollends geklärt, ob sie ihn einfach nur als Pausenclown ausnutzen oder zumindest teilweise als einen der ihren akzeptieren. Außerdem wird man irgendwie die ganze Zeit das merkwürdige Gefühl nicht los, dass dieser Jeffrey Dahmer im Jahr 2017 viel eher zum YouTube-Star als zum Serienmörder geworden wäre. Die Szenen, in denen Derf damals nicht selbst dabei war, entsprechen hingegen schon eher den gängigen Vorstellungen einer Serienmörder-Kindheit. Wobei es zumindest einige staubtrockene schwarzhumorige Pointen gibt, etwa wenn Jeffrey auf die Frage nach seiner Plastiktüte wie ein Junkie auf Entzug erklärt, er hätte bisher immer tote Tiere gesammelt, würde aber gerade versuchen damit aufzuhören.

    Mit seinen gefühlt bis zum Boden hängenden Schultern und dem ungesund weit nach vorne gebeugten Gang erfüllt der Film-Dahmer schon rein optisch eine ganze Reihe von Außenseiter-Klischees. Trotzdem erreicht Ross Lynch in seiner Darstellung eine erstaunliche Vielschichtigkeit - vor allem in den Szenen, in denen seine Figur selbst schauspielert: Wenn Jeffrey als hemmungsloser Prankster in einem Einkaufszentrum loslegt, verkörpert Lynch nämlich nicht einfach einen extrovertierten Spaßvogel, sondern immer einen introvertierten Einzelgänger, der einen auf extrovertierter Spaßvogel macht – eine wichtige Unterscheidung, die Lynch sehr präzise herausarbeitet. Noch erstaunlicher ist die Leistung übrigens, wenn man Lynch auch schon aus anderen Rollen kennt. Der Nachwuchsschauspieler ist nämlich nicht nur der Sänger einer hippen Band aus Los Angeles, sondern auch der Star solcher familienwertorientierten Gute-Laune-Disney-Channel-Produktionen wie „Austin & Ally“ oder „Teen Beach Movie“ (nach „High School Musical 2“ der zweiterfolgreichste Film des Senders überhaupt). Eine wahrhaft transformative Performance.

    Fazit: „My Friend Dahmer“ umschifft zwar nicht alle Serienmörder- und Highschool-Klischees, ist aber dennoch eigenständiger und origineller als die meisten anderen Beiträge der entsprechenden Genres.

    Wir haben „My Friend Dahmer“ auf dem Fantasy Filmfest 2017 gesehen, wo er im offiziellen Programm gezeigt wird.

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