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    Wo die Erde bebt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Wo die Erde bebt

    Wo hat Netflix die Erotik versteckt?

    Von Lutz Granert

    Susanna Jones‘ Debütroman „Wo die Erde bebt“*, in den die Autorin auch ihre Erfahrungen während eines Japan-Aufenthalts Ende Achtziger einfließen ließ, wurde nach seinem Erscheinen 2001 vielfach ausgezeichnet. Die Kritikerin A. N. Wilson von der britischen Tageszeitung The Telegraph feierte den mysteriösen Thriller um eine tödlich verlaufende Dreiecksbeziehung sogar als „eine der besten Beschreibungen weiblicher Sexualität und erotischer Gefühle“, die sie jemals gelesen habe.

    In der Verfilmung des Romans von Regisseur Wash Westmoreland, der vergangenen Jahr das Biopic „Colette“ um das Leben der gleichnamigen Theaterschauspielerin und (Erotik-)Autorin vorgelegt hat, ist von dieser sinnlichen Erotik allerdings kaum mehr etwas zu spüren. Dem psychologischen Thriller „Wo die Erde bebt“ mangelt es ausgerechnet aufgrund der nüchternen Performance der sonst oft so großartigen Alicia Vikander an den nötigen Emotionen, während die Story immer wieder unglaubwürdige Haken schlägt.

    Eine Dreiecksbeziehung in Japan...

    Um ihre tragische Vergangenheit hinter sich zu lassen, ist die Schwedin Lucy Fly (Alicia Vikander) vor fünf Jahren nach Tokyo gezogen, wo sie nun als Übersetzerin arbeitet. Eines Tages macht sie auf der Straße Bekanntschaft mit dem Hobby-Fotografen Teiji (Naoki Kobayashi). Bei mehreren gemeinsamen Foto-Sessions in seinem Atelier kommen sich die beiden langsam näher. Parallel lernt Lucy beim Besuch in einer Karaoke-Bar die spleenige Lily Bridges (Riley Keough) kennen und verliebt sich in sie. Doch auch der merkwürdig distanzierte Teiji entwickelt Interesse an der flippigen US-Amerikanerin – und in Lucy regt sich die Eifersucht. Nach einem gemeinsamen Urlaub auf der Insel Sado ist Lily plötzlich spurlos verschwunden – und Lucy gerät, nachdem Leichenteile in der Bucht von Tokyo angespült wurden, unter Mordverdacht…

    Eine neue Seite von Japan

    Zum Abschluss seines Studiums der Politik und der Ostasienstudien verbrachte Regisseur und Drehbuchautor Wash Westmoreland Ende der 1980er Jahre selbst längere Zeit in Tokyo. Kein Wunder also, dass ihn die Adaption von Susanna Jones‘ Roman besonders gereizt hat. Und tatsächlich punktet „Wo die Erde bebt“ vor allem durch sein authentisches Lokal- und Zeitkolorit. Gedreht wurde an Originalschauplätzen in Tokyo und in der bisher von Hollywood wenig erschlossenen Küstenlandschaft der Insel Sado. Da sticht eine klischeehafte Postkartenansicht vom Fuji fast schon negativ heraus, weil man ansonsten endlich mal nicht nur die typischen Japan-Bilder serviert bekommt.

    Die Kostüme zwischen traditionellen Kimonos, monochrom-grauen Blusen und Schaumstoff-Sakkos treffen perfekt die Mode der ausgehenden Achtzigerjahre, genauso wie Lilys üppige Mähne mit Dauerwelle. Und wenn Lucy gleich zu Beginn eine Szene des Yakuza-Thrillers „Black Rain“ (1988) von Ridley Scott ins Japanische übersetzt (Geldgeber für „Wo die Erde bebt“ war Scott Free Productions, die Produktionsfirma des „Alien“-Regisseurs), sorgt auch dieses perfekt ins Setting passende Easter Egg beim informierten Zuschauer für ein wohlwollendes Grinsen.

    ... sorgt schließlich dafür, dass die Schwedin Lucy unter Mordverdacht ins Kittchen wandert.

    Davon abgesehen wirkt die Liebesgeschichte mangels Emotionen aber enttäuschend blutleer – und der sich daraus entspinnende, in Rückblende erzählte Thriller-Plot fesselt aufgrund der unmotiviert anmutenden Wendungen ebenfalls kaum: Wo Naoki Kobayashi („Tatara Samurai“) seine Rolle als obsessiver, aber zurückhaltender Fotograf betont geheimnisvoll und unnahbar anlegt, gerät Riley Keoughs („American Honey“) Part als durchtriebenes Party-Girl allzu reißbrettartig. Alicia Vikander scheint mit ihrer stets strengen Miene unterdessen immer noch im „Tomb Raider“-Modus festzustecken. Zumindest in den wenigen Momenten, in denen Lucy gegenüber Teiji oder zwei Polizisten beim Verhör ihre traumatischen Kindheitserfahrungen aufrollt, berührt Vikander zwar mit einer intensiven Performance. Aber ihre offenbar tiefen Gefühle für Teiji und Lily werden unter dem überdeutlichen Stempel „traumatisiertes Opfer“ niemals spürbar.

    Wenn Westmoreland schließlich mit halbherzig eingeflochtenen Halluzinationen von Lucy versucht, die Grenzen von Realität und Fiktion aufzulösen, wirkt das eher wie ein verzweifelter Versuch, dem lauen und konstruiert wirkenden Thriller-Plot doch noch etwas Überraschendes abzugewinnen. Zwar gelingt es auch dank dem bedeutungsschwanger-mysteriösen Synthie-Percussion-Score vom Trio Claudia Sarne, Leopold und Atticus Ross (oscarprämiert für seine Musik zu „The Social Network“) sowie zahlreichen Andeutungen zu Lucys Vergangenheit eine gewisse Grundspannung aufrecht zu halten. Aber die so entstehende Erwartungshaltung kann der schwerfällig erzählte Psychothriller auch mangels glaubwürdiger Auflösung bis zum Ende nicht einlösen.

    Fazit: Der zugrundeliegende Roman ist ein vielfach preisgekrönter Erotik-Thriller – aber die Verfilmung ist leider weder sonderlich erotisch noch sonderlich spannend, sondern lässt einen im Gegenteil in so ziemlich jeder Hinsicht kalt.

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