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    Der Goldene Handschuh
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der Goldene Handschuh

    Ein Hoch auf die Hässlichkeit

    Von Carsten Baumgardt

    Gleich mit seinem ersten Roman „Fleisch ist mein Gemüse“, in dem er mit trocken-originellen Lebensweisheiten (wie etwa der Titelzeile des Buchs) glänzte, wurde der Hamburger Autor, Entertainer, Komiker, Satiriker und Musiker Heinz Strunk 2004 zum Kultstar. „Der Mensch ist schließlich kein Beilagenesser.“ Das brillante, autobiografisch gefärbte Buch voller Witz und Tragik wurde von Christian Görlitz auch fürs Kino adaptiert, doch bei der Verfilmung blieb die Extravaganz von Strunks reich-derber Romansprache weitestgehend auf der Strecke, während die trostlosen Milieus visuell durchaus gut getroffen sind. Ein ähnliches Muster wiederholt sich jetzt auch bei Fatih Akins Verfilmung des Bestsellers „Der Goldene Handschuh“, in dem Strunk die Taten und das Leben des berüchtigten Hamburger Serienmörders Fritz Honka Anfang der 70er Jahre schildert. St. Paulis Jack the Ripper. Akin gelingt es in seiner schockierend brutalen Serienmörder-Studie handwerklich brillant, das Milieu der Säufer, Huren und kaputten Existenzen auf die Leinwand zu bringen. Doch die Figuren selbst bleiben erzählerisch zu steril, um angemessen Anteil an ihrem Schicksal nehmen zu können.

    1970 ermordet der alkoholabhängige Hilfsarbeiter Fritz „Fiete“ Honka (Jonas Dassler) in seiner verwahrlosten Wohnung in Hamburg-St. Pauli die Gelegenheitsprostituierte Gertraud B., zerstückelt ihre Leiche und legt sie auf einem Fabrikgelände ab. Verdächtigt wird Honka nicht. 1974 ist der Alkoholiker tief im Milieu der abgestürzten Nachtgeschalten am sogenannten Hamburger Berg auf der Reeperbahn versunken: Er säuft, raucht und sitzt am liebsten mit seinen Freunden Nasen-Ernie (Lars Nagel), Soldaten-Norbert (Dirk Böhling), Tampon-Günther (Peter Badstübner), Anus (Simon Görts) und Doornkaat-Max (Hark Bohm) bei Gastwirt Herbert Nürnberg (Uwe Rohde) in der versifften Absturz-Kneipe Der Goldene Handschuh. Weil er durch sein abstoßendes Äußeres bei den Frauen keine Chance hat, schleppt er regelmäßig völlig verzweifelte und sturzbetrunkene Prostituierte und gescheiterte Existenzen ab, um harten Sex mit ihnen zu haben. Die obdachlose Gerda Voss (Margarethe Tiesel) macht Honka gegen Kost und Logis zu seiner Sklavin und entzieht ihr per Vertrag sämtliche Rechte. Sie saufen zusammen, er erniedrigt sie mit perversen Sexualpraktiken. Doch Gerda entkommt dem Tyrannen. So viel Glück haben seine nächsten Opfer nicht. Als Honka einen neuen Job als Nachtwächter anfängt, schwört er dem Alkohol ab und verliebt sie bei der Arbeit in die Putzfrau Helga Denningsen (Katja Studt)...

    Es gibt Romane, die galten als unverfilmbar. Über Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ wurde das lange gesagt, über Tolkiens „Der Herr der Ringe“ sowieso. In Bezug auf „Der Goldene Handschuh“ hat das hingegen noch niemand behauptet – und doch hat eine Adaption immense Tücken. Einen Besseren als Fatih Akin („Gegen die Wand“, „Aus dem Nichts“) könnte man sich theoretisch für eine solch legendenumwobene Geschichte, die im Umfeld der abgeranztesten Ecken der Reeperbahn spielt, schließlich gar nicht vorstellen. Immerhin versteht es der in Altona geborene Filmemacher es wie kaum ein Zweiter, speziell die Hamburger Milieus authentisch zum Leben zu erwecken. Eins zu eins ist Strunks Story sowieso nicht zu verfilmen, weil die Struktur des Romans alles andere als filmtauglich ist. Mehr als die Hälfte des Buchs widmet sich Strunk Honkas geschundener Psyche und dem Milieu, in das er rund um den Goldenen Handschuh tief abtaucht. Die Morde rücken erst viel später in den Fokus, wenn der Leser schon eine gewisse Art von Verständnis für diese mitleidserregende Kreatur Honka entwickelt hat.

    Doch genau dieser Schritt fehlt bei „Der Goldene Handschuh“ komplett, weil Akin natürlich nicht so lange warten kann und die bestialischen Morde dramaturgisch nachvollziehbar zu einem wichtigen und immer präsenten Bestandteil macht – und stattdessen die Nebenhandlung um die gestörte, drei Generationen umfassende hanseatische Reederfamilie von Wilhelm Heinrich von Dohren (WH1) streicht. Im Film ist nur eine abgeschwächte Version seines Enkels WH3 geblieben, der als Teenie Willi (Tristan Göbel) seine hübsche Mitschülerin Petra (Greta Sophie Schmidt) erobern will und dazu auch mal im Goldenen Handschuh vorbeischaut.

    Nur enthält Akin durch die Straffung dem Publikum auch Informationen vor, zum Beispiel, dass Honka früher missbraucht und misshandelt wurde, was zu der dauerhaften Deformierung seines Gesichts, der Nase und der Zähne führte. Aus der permanenten Ablehnung heraus entwickelt sich sein unersättlicher Frauenhass. Im Film bleiben seine Motive nebulös, die Taten sprechen für sich. Was wir auf der Leinwand sehen, ist ein von Jonas Dassler („Das schweigende Klassenzimmer“, „Werk ohne Autor“) überzeugend gespielter widerwärtiger Berserker, der Frauen wie Tiere behandelt, sie schändet und letztendlich so brutal wie möglich ermordet, was Akin in konsequent drastischen Horrorbildern zeigt, die dem Film eine FSK-Freigabe ab 18 Jahren einbrachten (selbst wenn das Buch in seinen Gewaltschilderungen noch detaillierter ist). Die tragische Dimension dieses Menschen, dessen Leben so hoffnungslos verkorkst ist, wird nicht ausreichend sichtbar gemacht. Man kann sie bestenfalls erahnen – da ist Strunks Buch wesentlich präziser. Am nächsten ist Honka dem Publikum, wenn er sich bei der neuen Arbeit als Wachmann in die auf den ersten Blick solide, aber letztendlich zechfreudige Frau Denningsen verliebt. Man sieht das sich entwickelnde Unheil kommen und empfindet Mitleid für Honka, der sich öffnet und doch wieder bitter enttäuscht wird.

    Sehr gut getroffen ist diese zwielichtige Halbwelt der Reeperbahn-Spelunken, wo sich die Säufer, Prostituierten und Drogenwracks per Druckbetankung zum Vernichtungstrinken treffen. Die Ausflüge in den Goldenen Handschuh (hier hat auch Heinz Strunk einen Cameo-Auftritt) sind so etwas wie Verschnaufpausen von der Düsternis und Brutalität, die an die Nieren geht. Ein Universum, wo Fanta-Korn (was im Film zu Orangenlimonade-Korn wird, um die Markennennung zu umgehen) das Grundnahrungsmittel ist und die Fenster kein Tageslicht durchlassen, weil das die Kundschaft eh nur irritieren würde. In diesen Szenen kommt der trockene Humor der Vorlage am besten zum Tragen, weil die verkrachten Existenzen und Originale vor den Tresen schlicht komisch sind – wenn etwa ein Mann namens Anus voller Stolz seinen Namen trägt, weil er schlichtweg keinen Schimmer hat, was das Wort überhaupt bedeutet.

    Fazit: Fatih Akins Schocker-Verfilmung von Heinz Strunks Bestseller „Der Goldene Handschuh“ ist eine versiert inszenierte, überzeugend ausgestattete Serienmörder-Ballade und derb-treffende Milieustudie, die zugleich aber daran scheitert, die Tragik der hier einfach nur abstoßenden Hauptfigur greifbar zu machen.

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