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    In Zeiten des abnehmenden Lichts
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    In Zeiten des abnehmenden Lichts
    Von Michael Meyns

    „Geschichte wird von den Siegern geschrieben“, heißt es oft und in der Aussage schwingt je nach Zusammenhang neben einer simplen, häufig nicht von der Hand zu weisenden sachlichen Feststellung auch ein Funken Bedauern mit: Denn wenn sich ein Standpunkt durchsetzt, dann heißt das eben auch, dass es abweichende Perspektiven schwer haben, wahrgenommen zu werden. Das ist in der Historie fast wie beim Sport: Die Geschichten der Sieger mögen heroisch sein, doch die Storys der Anderen sind oft viel spannender, emotionaler und schmerzhafter, denn sie handeln nicht selten vom Verlust. Gut 25 Jahre nach dem Mauerfall erzählen Regisseur Matti Geschonnek („Boxhagener Platz“) und Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase („Sommer vorm Balkon“, „Ich war Neunzehn“) nun genau davon: Von der Auflösung eines Staates, vom Ende einer Illusion, vom Verlust der Heimat. Dass dabei die DDR nicht verklärt, sondern mit all ihren Widersprüchen lebendig wird, macht ihre Tragikomödie „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ zu einem bemerkenswerten Film.

    Herbst 1989. In Ost-Berlin steht der 90. Geburtstag von Wilhelm Powileit (Bruno Ganz) an, verdientes Mitglied der Partei und überzeugter Stalinist. Nicht nur Vertreter des Staatsapparats Partei machen dem streitbaren Greis an diesem Ehrentag die Aufwartung, auch sein Sohn Kurt (Sylvester Groth), dessen russische Frau Irina (Evgenia Dodina) und Kurts Schwiegertochter Melitta (Natalia Beliski) erscheinen. Allein Melittas Mann Sascha (Alexander Fehling) ist verhindert, aus Gründen, die dem Jubilar lange verheimlicht werden: Er hat sich in der Nacht aus dem Staub gemacht und ist in den Westen geflohen, wie so viele Menschen in diesen Tagen des zunehmenden Staatsverfalls.

    Jahrzehnte der DDR-Geschichte beschrieb Eugen Ruge in seinem vielfach ausgezeichneten Roman „In Zeichen des abnehmenden Lichts“. Diese epische Familiensaga hat Wolfgang Kohlhaase für Matti Geschonneks Verfilmung radikal gekürzt und auf kaum mehr als einen Handlungstag verdichtet. Die Geschlossenheit von Zeit und Raum - das ironischerweise einst von Nazi-Bonzen bewohnte Haus der Powileits wird kaum verlassen – erzeugt die stickige Dichte eines Kammerspiels, in dem die Agonie des DDR-Systems genauso spürbar wird wie die Ratlosigkeit der Bürger. Zwar treten noch Jungpioniere zum Geburtstagsständchen an und Powileit wird der zigste Verdienstorden verliehen, aber die Auszeichnung ist nur noch Blech in der Kiste und die piefig-pompösen Inszenierungen der Ehrungen können nicht mehr kaschieren, dass der Sozialismus à la DDR sehr bald Geschichte sein wird.

    Es gab gute Gründe für das Scheitern der DDR und des gesamten Ostblocks, das ist auch in „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ganz deutlich. Die Filmemacher verklären den real existierenden Sozialismus in der Ostberliner Ausprägung nicht, aber sie begegnen den Menschen, die an das Ideal geglaubt haben, die sich für seine Verwirklichung eingesetzt haben und die in der DDR eine Heimat gesehen haben, mit Respekt. Trotz unübersehbarer Spannungen etwa zwischen der Herrin des Hauses und der Bediensteten steht das menschliche Miteinander bei diesem dubiosen Fest in vielsagendem Kontrast zur politischen Borniertheit. Selbst der ewiggestrige Jubilar (unausstehlich und charmant zugleich: Bruno Ganz) hat für hohle Gesten nichts übrig: „Bringt das Gemüse auf den Friedhof“, ist sein gern wiederholter Kommentar zu den vielen Blumengaben, die er erhält.

    „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ist aber keineswegs nur eine Momentaufnahme im Stadium des Siechtums. Vielmehr spiegeln sich in der bewegten Familiengeschichte, die hier in einigen bewegten und bewegenden Unterhaltungen zur Sprache kommt, die Widersprüche und Ambivalenzen der DDR-Gesellschaft und ihrer Entwicklung. So wurde etwa Kurt zusammen mit seiner Mutter und seinem inzwischen verstorbenen Bruder einst nach Sibirien geschickt und verbrachte dort Jahre im Gefängnis. Zwar hat er in der Sowjetunion immerhin auch seine Frau kennengelernt, doch ihre Ehe ist wie fast alles in diesem Film nur noch Fassade. Eigentlich müsste Kurt das Regime verachten und mit ihm seinen stalinistischen Vater, der aus der Geschichte nichts gelernt zu haben scheint. Aber er ist trotz allem ein Patriot und bedauert die Regimeflucht seines Sohnes, obwohl er Verständnis für dessen Entscheidung hat. Kurt hat das Herz am rechten Fleck und gerade deshalb ist er innerlich zerrissen. Und irgendwo unter all den Kompromissen und Enttäuschungen lugt noch etwas von einer großen Utopie hervor - der sozialistische Traum von einer besseren und gerechteren Welt. Ein Verlierer der Geschichte.

    Fazit: „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ist ein vielschichtiger, zärtlicher, komischer und tragischer Film über die deutsche Geschichte und den Verlust von Heimat und Idealen.

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ als Berlinale Special Gala gezeigt wurde.

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