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    Tatort: Böser Boden
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Böser Boden
    Von Lars-Christian Daniels

    Der letzte „Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring („Happy Burnout“) und Franziska Weisz („Kreuzweg“) liegt schon eine ganze Weile zurück: Ihren ersten (und bisher einzigen) gemeinsamen Auftritt in der Rolle der Bundespolizisten Thorsten Falke und Julia Grosz hatten sie im März 2016, als sie im soliden „Tatort: Zorn Gottes“ in letzter Sekunde einen Terroranschlag in Hannover verhinderten. Zum Vergleich: Die Kölner „Tatort“-Kommissare Ballauf und Schenk brachten es seitdem auf fünf, die Münchner Ermittler Batic und Leitmayr sogar auf sechs weitere Einsätze. Mit einiger Verspätung feiert der seit über einem Jahr abgedrehte zweite Fall mit Möhring und Weisz nun seine TV-Premiere: In Sabine Bernardis „Tatort: Böser Boden“ entführt der NDR sein Publikum erneut in die niedersächsische Provinz (gedreht wurde in Uetze und Hambühren), in der drei Wochen zuvor bereits LKA-Kollegin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) im „Tatort: Der Fall Holdt“ ermitteln durfte. Im direkten Vergleich schneidet Bernardis Öko-Krimi aber deutlich schlechter ab – was neben der undifferenzierten Kritik an der Frackingindustrie auch an der überzeichneten Landbevölkerung und einem seltsamen Ausflug ins Zombiegenre (!) liegt.

    Der Iraner Arash Naderi (Hadi Khanjanpour) wird in einem Wald im ländlichen Niedersachsen brutal ermordet aufgefunden – direkt vor den Toren des Frackingunternehmens „Norfrac“, für das er als Fahrer tätig war. Handelt es sich um einen politisch motivierten Mord? Naderi war erst wenige Monate zuvor nach Deutschland eingewandert. Die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) verfolgen eine erste Spur: Zahlreiche Bauern und Öko-Aktivisten hatten den Iraner wegen seines umstrittenen Arbeitgebers bedrängt. Deren Anführer ist der einflussreiche Landwirt Lars Kielsperg (Niklas Post), der gemeinsam mit seiner Frau Anne (Cristin König) in seiner Scheune konspirative Treffen veranstaltet und ins Visier des Verfassungsschutzes geraten ist. Falke und Grosz, die bei ihren Ermittlungen von der ortsansässigen Polizistin Kerstin Starke (Lenja Schultze) und dem hinzubeorderten Chemiker Henry Fohlen (Christian Hockenbrink) unterstützt werden, befragen auch die Angehörigen des Toten: Arashs Bruder Hamed (Sahin Eryilmaz) und seine Frau Shirin (Sanam Afrashteh) scheinen etwas zu verheimlichen – und ihr Sohn ist nicht der einzige Anwohner der Gegend, der irgendwie nicht gesund aussieht...

    Sehen Sie den Leuten mal in die Augen, das sind doch halbe Zombies“, spricht die irritierte Grosz nach einer halben Stunde das aus, was aufmerksamen Zuschauern schon früher auffallen dürfte: Vier Wochen nach dem kolossal gescheiterten Frankfurter „Tatort: Fürchte dich“ weht erneut ein Hauch von Horror durch die beliebteste deutsche Krimireihe. Auffallend bleiche Gesichter und tiefdunkle Augenringe blicken die Ermittler bei ihrem zweiten gemeinsamen Einsatz gleich reihenweise an, aber Verdacht schöpft zunächst nur Grosz: Der genervte Falke („Wenn man sein Leben lang nur Hirse frisst, dann sieht man halt so aus.“) interessiert sich lange Zeit mehr für die Aktivitäten seines umtriebigen Sohnes Torben als für die Hintergründe des Kriminalfall. Seine kurze Stippvisite in Hamburg wirkt allerdings zugleich deutlich bodenständiger als der Rest der Handlung, die auf der Zielgeraden stärker an „The Walking Dead“ als an eine „Tatort“-Folge im klassischen Sinne erinnert: Einmal mehr verwischen in der öffentlich-rechtlichen Erfolgsreihe die Grenzen zwischen den Genres – das hat in der Vergangenheit schon gut funktioniert, sorgt hier beim Showdown aber eher für unfreiwillige Komik und wird die „Tatort“-Puristen einmal mehr auf die Palme bringen.

    Neben diesen Zombiefilm-Anleihen arbeiten Horror-Experte Marvin Kren („Blutgletscher“) und sein Kollege Georg Lippert („Großstadtrevier“) auch unmissverständliche Öko-Kritik in ihr Drehbuch ein, lassen die differenzierte Aufarbeitung der Thematik aber vermissen. Schossen ihre Autoren-Kollegen im „Tatort: Borowski und eine Frage von reinem Geschmack“ noch gegen die Hersteller von Energydrinks, im Stuttgarter „Tatort: Tote Erde“ gegen eine windige Recyclingfirma und im Bremer „Tatort: Wer Wind erntet, sät Sturm“ gegen die Betreiber von Windkraftanlagen, knöpfen sich die Filmemacher diesmal die böse Frackingindustrie vor, die mit giftigen Abwässern angeblich ein ganzes Dorf zu kranken Halb-Zombies macht. Hier wäre weniger mehr gewesen, zumal Argumente für das umstrittene Förderverfahren fast komplett außen vor bleiben. Bei der Umsetzung der politisch angehauchten Umweltstory, die den Bundespolizisten Falke und Grosz rein thematisch gut zu Gesicht steht, schießen die Filmemacher deutlich über ihr Ziel hinaus – die Geschichte ist einfach dermaßen fernab der Realität, dass es mit fortlaufender Spielzeit immer schwerer fällt, diesen überambitionierten „Tatort“ ernst zu nehmen.

    Daran ändert auch der uninspiriert eingeflochtene Gastauftritt der Indie-Rockband AnnenMayKantereit wenig, der fast noch zu den Lichtblicken in diesem auffallend farblos fotografierten Öko-Krimi zählt. Die soliden Leistungen der Schauspieler, die überzeugende Regiearbeit von Sabine Bernardi („Bettys Diagnose“) und einige tolle Kamerafahrten von Oliver-Maximilian Kraus („SOKO München“) können die Drehbuchschwächen bei weitem nicht übertünchen, und das neue Ermittlerteam allein holt die Kastanien (noch) nicht aus dem Feuer: Garantieren bei den fast immer überzeugenden „Tatort“-Folgen aus Dortmund, München oder Kiel bei einem schwächeren Skript schon die starken Figuren einen gewissen Unterhaltungswert, mangelt es vor allem „Tatort“-Neuling Grosz noch an Profil. Während Falkes Privatleben sogar die Schlussszene des Krimis gewidmet ist, ist Grosz nach ihrem sympathisch-zurückhaltenden Debüt im „Tatort: Zorn Gottes“ diesmal zwar deutlich aktiver, wird aber ausschließlich im Dienst gezeigt und wirkt dabei sehr unterkühlt. Trotz ihrer tadellosen Leistung wird Schauspielerin Franziska Weisz beim „Tatort“-Publikum damit kaum Sympathiepunkte sammeln – darf aber bereits Mitte Dezember im „Tatort: Dunkle Zeit“ den nächsten Anlauf unternehmen.

    Fazit: Sabine Bernardis „Tatort: Böser Boden“ ist ein enttäuschender Öko-Krimi mit Zombiefilm-Anleihen.

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