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    Eva
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Eva
    Von Andreas Staben

    Der französische Regisseur Benoît Jacquot („Leb wohl, meine Königin!“) und seine Landsfrau Isabelle Huppert („Elle“) arbeiten in „Eva“ bereits zum sechsten Mal zusammen. Die künstlerische Partnerschaft begann 1981 mit der Henry-James-Verfilmung „Die Flügel der Taube“ und brachte Werke wie „Schule des Begehrens“ und „Villa Amalia“ hervor. In letztgenanntem nahm sich Huppert als Schauspielerin ähnliche Freiheiten heraus wie die von ihr gespielte Protagonistin auf ihrem Weg zur radikalen Selbstverwirklichung. Während sie dort fast schon zur Co-Regisseurin avancierte, ist die häufig so dominante Darstellerin in Jacquots neuester Arbeit ungewöhnlich zurückhaltend. Sie hat selbstverständlich die Klasse, auch mit wenig flamboyanten Szenen überzeugend eine mysteriöse Femme fatale zu verkörpern, wie man sie in einem Noir-Drama wie „Eva“ erwartet, und eine treusorgende Ehefrau gibt sie sozusagen als Bonus noch dazu. Aber ganz kann auch sie nicht überspielen, dass dieser Beitrag aus dem Berlinale-Wettbewerb 2018 kaum mehr als eine elegant gefilmte Genrefingerübung mit Meta-Einsprengseln ist und weder im Schaffen des Regisseurs noch in der Filmografie des Stars eine herausragende Stellung einnimmt.

    Als der britische Autor Coulson in der Badewanne einen Anfall hat und nach seinen Medikamenten verlangt, lässt der Callboy Bertrand Valade (Gaspard Ulliel) den alten Mann einfach sterben, schnappt sich ein paar Wertsachen sowie ein unveröffentlichtes Manuskript des Schriftstellers und verschwindet aus dessen Pariser Wohnung. In der Folge gibt er das Theaterstück mit dem Titel „Passwörter“ als sein eigenes aus und landet tatsächlich einen Bühnenhit. Bertrand könnte das Leben als Erfolgsautor genießen, aber sein Verleger Régis (Richard Berry) und seine Freundin Caroline (Julia Roy), die für Régis arbeitet, erwarten Nachschub. Der Hochstapler will sich für ein paar Tage in das Chalet von Carolines Eltern in den Alpen zurückziehen, um zu schreiben. Dort hat sich allerdings Eva (Isabelle Huppert) eingenistet. Die Frau haut Bertrand buchstäblich um – die Begegnung wird sein Leben auf den Kopf stellen.

    „Eva“ ist die zweite Verfilmung des 1946 veröffentlichten Noir-Romans „Eve“ von James Hadley Chase. Bereits 1962 hat Joseph Losey („Der Diener“) den Stoff mit Jeanne Moreau in der Titelrolle auf die Leinwand gebracht und die im Buch in Hollywood angesiedelte Handlung nach Venedig verlegt. Jacquot und sein Co-Drehbuchautor Gilles Taurand („Wilde Herzen“, „Winterdieb“) verneigen sich nun mit einer kleinen Referenz an die Lagunenstadt indirekt vor dem Vorgänger, entscheiden sich ansonsten aber für ganz neue Schauplätze: Sie lassen insbesondere den Protagonisten Bertrand immer wieder zwischen Paris und Annecy in den französischen Alpen pendeln, wobei sich die innere Unruhe des Schwindlers, der sich zusätzlich zur Lügenexistenz als vermeintlicher Erfolgsautor auch noch in eine Obsession zur Prostituierten Eva hineintreiben lässt, weniger in seinem Gesicht als in seiner ständigen Bewegung (bevorzugt in Zügen und Taxis) spiegelt.

    Gaspard Ulliel („Einfach das Ende der Welt“) stellt Bertrand als fast schon eigenschaftslosen Opportunisten dar, der buchstäblich über Leichen geht und seinen ergaunerten sozialen Aufstieg durch eine bequeme Heirat festigen will. Aber er hat weder das Kalt-Kriminelle eines Tom Ripley noch gibt er sich einer echten Besessenheit hin. Einmal fasst er offenbar kühl den Entschluss, Eva nicht mehr sehen zu wollen und schreibt ihr eine SMS. Und dann steht er doch wieder vor ihrer Tür, als wäre nichts gewesen. Auch wenn keine seiner Szenen komplett uninteressant ist, wirkt dieser Bertrand insgesamt eher nichtssagend-leer als vieldeutig-faszinierend – was zum Teil auch der schicken, aber etwas gleichförmigen Regie geschuldet ist, die diametral entgegensetzt ist zu Loseys barocker Schwarz-Weiß-Stilisierung in seiner „Eva“. Hier ist alles elegant und angenehm anzusehen, aber auch ein wenig nüchtern, selbst die Gefängnisbesuche von Eva bei ihrem inhaftierten Gatten Georges (Marc Barbé) fallen kaum aus dem Rahmen.

    Seine höchste Erregungsstufe erreicht der Film bei einer aus dem Wagen heraus gefilmten rasenden Autofahrt eine kurvige Bergstraße hinab, doch bevor es zur Katastrophe kommt, ist Jacquot schon wieder woanders. Auch die wenigen Gewaltausbrüche kommen daher, als seien sie mehr dem Regelwerk des Genrekinos geschuldet als einer inneren erzählerischen Notwendigkeit oder einem Interesse an ihrer inszenatorischen Umsetzung. Und so bleibt dann vor allem eine Szene in Erinnerung, in der Bertrands Chef Régis unter einem Pseudonym als Neukunde bei Eva vorspricht und einfach nur reden will statt ihre sexuellen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen (von denen wir hier auch sonst nichts zu sehen kriegen). Der Moment fällt vor allem deshalb aus dem Rahmen, weil hier jemand tatsächlich offen seine wahren Empfindungen ausspricht. Eva wiederum passt sich auch in dieser Situation an. Sie ist immer genau die Frau, die man(n) sich gerade wünscht. Das sind recht banale Projektionen, aber Isabelle Huppert gelingt es trotzdem irgendwie, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten und so schafft sie mit Eva so etwas wie eine selbstbestimmte Männerfantasie.

    Fazit: Ein eleganter Film voller reizvoller Themen und Motive, der aber eher im Detail als im großen Ganzen überzeugt.

    Wir haben „Eva“ bei der Berlinale 2018 gesehen, wo der Film im Wettbewerb gezeigt wird.

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