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    Tatort: Land in dieser Zeit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Tatort: Land in dieser Zeit
    Von Lars-Christian Daniels

    Vier Mal war Roeland Wiesnekker („3096 Tage“) in den vergangenen beiden Jahren in seiner Rolle als Kommissariatsleiter Henning Riefenstahl im Frankfurter „Tatort“ zu sehen und sammelte dabei reichlich Sympathiepunkte – doch sein jüngster Auftritt im schrägen „Tatort: Wendehammer“ aus dem Dezember 2016 wird überraschend sein letzter bleiben. In Markus Imbodens „Tatort: Land in dieser Zeit“ beerbt ihn der Schweizer Schauspieler Bruno Cathomas („Wolfsfährte“): Die Frankfurter Ermittler Anna Janneke und Paul Brix bekommen einen neuen Chef vor die Nase gesetzt, ohne dass ihrem alten Vorgesetzten ein Abschied zuteil geworden wäre. Über die Gründe der Neubesetzung lässt sich nur spekulieren, weil ein Statement des Hessischen Rundfunks zum Personalwechsel ausblieb – doch ob die Entscheidung richtig war, darf angesichts des ersten Auftritts von Wiesnekkers Nachfolger stark bezweifelt werden. Die von Cathomas verkörperte neue Figur ist ziemlich nervtötend und damit das negative i-Tüpfelchen auf einen verkorksten Tatort, wie man ihn aus Hessen nach den oft herausragenden Beiträgen aus der jüngeren Vergangenheit kaum noch für möglich gehalten hätte.

    Den Hauptkommissaren Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) bietet sich ein Bild des Grauens: In einem ausgebrannten Friseursalon am Frankfurter Tettenbornplatz wird mitten in der Nacht die verkohlte Leiche der Auszubildenden Melanie Elvering gefunden. Nicht nur ihre Chefin Rosi Grüneklee (Birge Schade), deren Laden zuletzt nicht rund lief, ist erschüttert. Alles weist auf einen Brandanschlag hin, und der Täter hat vorm Salon in großen Lettern „Kill All Nazis“ auf den Bürgersteig geschrieben. Der Weg der Ermittler, die von Kriminalassistent Jonas (Isaak Dentler) und Kriminaltechniker Uhlich (Sascha Nathan) unterstützt werden, führt daher zu Grüneklees Angestellter Vera Rüttger (Jasna Fritzi Bauer): Vera lebt in einer WG mit ihrer Freundin Juliane Kronfels (Anna Brüggemann) und ist offenbar im rechten Milieu aktiv. Haben senegalesische Dealer, die vor dem Salon mit ihr in Streit gerieten, den Anschlag verübt? Mit dem kleinkriminellen John Aliou (Warsama Guled) ist ein Tatverdächtiger schnell gefunden, doch er hat ein wasserdichtes Alibi. Eine weitere Spur führt zu Margaux Brettner (Odine Johne), die gegenüber vom Tatort in einem kleinen Kiosk arbeitet und in den gleichen Kreisen verkehrt wie Vera und Juliane...

    2014 die überragende Shakespeare-Italo-Western-Oper „Tatort: Im Schmerz geboren“, 2015 das wunderbare Film-im-Film-Experiment „Tatort: Wer bin ich?“ und 2016 der hochspannende Psychothriller „Tatort: Die Geschichte vom bösen Friederich“: Der Hessische Rundfunk ist mit seinen Krimis aus Wiesbaden und Frankfurt seit Jahren das Maß der Dinge in der öffentlich-rechtlichen Erfolgsreihe und räumt damit eine Auszeichnung nach der anderen ab. Umso überraschender ist es daher, dass das bis dato von Zuschauern und TV-Kritikern überwiegend positiv aufgenommene Team aus „Mainhattan“, das 2015 im „Tatort: Kälter als der Tod“ sein Debüt gab, nun schon wieder gesprengt wird: Kommissariatsleiter Riefenstahl, der im letzten Frankfurter „Tatort: Wendehammer“ vor allem durch das Entfernen sämtlicher Glühbirnen im Polizeipräsidium in Erscheinung trat, hat sein Büro ohne Angabe von Gründen geräumt. Sein Nachfolger Fosco Cariddi (Bruno Cathomas) bringt eine ganz spezielle Vorliebe mit: Er zitiert bei jeder Gelegenheit die eigenwilligen Werke des österreichischen Dichters Ernst Jandl und dürfte damit nicht nur bei den verdutzten Kommissaren, sondern auch bei vielen Zuschauern für ein dickes Fragezeichen auf der Stirn sorgen.

    Der HR ist für seine Experimentierfreudigkeit berühmt (und berüchtigt), doch diesmal geht der Schuss komplett nach hinten los: Cariddi ist die anstrengendste Figur der jüngeren „Tatort“-Geschichte und bringt den Erzählfluss durch seine nicht enden wollenden Monologe und witzlosen Jandl-Vorlesungen regelmäßig zum Stocken. Auch sonst lassen die Drehbuchautoren Khyana el Bitar („Mitfahrer“), Dörte Franke („Dead Man Working“) und Stephan Brüggenthies („Aus der Kurve“) das Gespür für die richtige Mischung aus kniffligem Kriminalfall, humorvollen Zwischentönen und Exkursen ins Privatleben der Ermittler oft vermissen: Der rote Faden geht immer wieder verloren, weil die Filmemacher das Erfolgsrezept der Krimireihe zugunsten von Dialogwitz und überflüssigen Trivialitäten sträflich vernachlässigen. Mehr als einmal fallen in diesem missglückten „Tatort“ riesige Aktenstapel zu Boden oder es wird Kaffee verschüttet, weil im Präsidium aus Versehen jemand angerempelt wurde: Das ist weder für die Geschichte nötig, noch irgendwie amüsant – und so will im fünften Fall von Janneke und Brix auch kaum Spannung aufkommen.

    Die Nebenfiguren sind überwiegend eindimensional gezeichnet und ihre Motive bleiben eher schwammig: Warum die junge Vera (Jasna Fritzi Bauer, „Ein Tick anders“) sich zu Glatzköpfen und Schlägern hingezogen fühlt, wird allenfalls angedeutet, während die Existenzängste der Friseurin Grüneklee (Birge Schade, „Was bleibt“) in wenigen Sätzen abgefrühstückt werden. Immerhin: Die Auseinandersetzung mit dem rechten Milieu fällt angenehm differenziert aus, weil die Kommissare nicht alle fremdenfeindlichen Verdächtigen über einen Kamm scheren („Rechts ist nicht immer gleich rechts.“). Mit dem thematisch ähnlich gelagerten Kölner „Tatort: Odins Rache“, in dem sich Hauptkommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär) 2004 eine Bomberjacke überstreifte, oder dem Dortmunder „Tatort: Hydra“, in dem Oberkommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel) 2015 von Rechtsradikalen misshandelt wurde, kann der 1006. „Tatort“ aber trotzdem bei weitem nicht mithalten – zumal Brix nebenbei auch noch die Völkerverständigung mit Flüchtlingen aus dem Nahen Osten üben muss, die nach einem Wasserrohrbruch bei ihm und seiner Vermieterin Fanny (Zazie de Paris) einquartiert wurden. Seine erste politisch unkorrekte Reaktion („Scheiß Flüchtlinge. Merde!“) soll dann mit einer emotionalen Brandrede Jannekes wieder glattgebügelt werden, was genauso wenig funktioniert wie es dieser enttäuschende Krimi als Ganzes.

    Fazit: Markus Imbodens „Tatort: Land in dieser Zeit“ ist ein schwacher Krimi aus Hessen, der um Längen hinter den vorigen Beiträgen aus Frankfurt und Wiesbaden zurück bleibt.

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