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    Ein Kind wie Jake
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ein Kind wie Jake
    Von Robert Laubenthal

    Noch vor zehn Jahren waren Transgender-Storys in der populären Kultur und in Mainstream-Medien kaum präsent, doch spätestens seit der 2014 gestarteten Amazon-Serie „Transparent“ sind sie auf dem Vormarsch. Dort vollzieht Maura (Jeffrey Tambor) die Transformation vom Mann (so wurde die Hauptfigur als Mort einst „biologisch geboren“) hin zum favorisierten femininen „sozialen Geschlecht“ (englisch gender). Maura schminkt sich, trägt Frauenkleidung und -perücken und versucht weitere weibliche Attribute und Verhaltensweisen wie eine aufrechtere Körperhaltung anzunehmen. Auch einige Kino-Produktionen über Transgender-Figuren wie Sean Bakers iPhone-Film „Tangerine L.A.“, der Festival-Liebling „Eine fantastische Frau“ oder der oscargekrönte „The Danish Girl“ mit Eddie Redmayne sorgten für viel Aufmerksamkeit.

    Nachdem der selbst einst als Frau geborene Regisseur Silas Howard einige Folgen von „Transparent“ inszeniert hat, nähert er sich dem Thema in seinem Drama „A Kid Like Jake“ nun eher indirekt: Die Titelfigur ist ein vierjähriger Junge, der sich gerne eine Prinzessinnenkrone, einen Rock und Mädchenschuhe aus dem Kostümfundus seines Kindergartens herausfischt, aber Jake steht hier nicht im Mittelpunkt, sondern seine Eltern. Mutter Alex und Vater Greg ringen mit dem Verhalten ihres Kindes und diskutieren ausführlich, wie sie damit umgehen sollen. Das ist im konventionellen Sinne nicht unbedingt sehr spannend, zumal die Inszenierung eher eintönig ausfällt, aber die facettenreiche Auffächerung von Erwartungen und Hoffnungen, Vorurteilen und Ängsten ist psychologisch stimmig und bietet zahlreiche Denkanstöße.

    Die hippen New Yorker Alex (Claire Danes) und Greg Wheeler (Jim Parsons) sind ein glückliches Ehepaar. Alex arbeitet seit der Geburt von Sohn Jake (Leo James Davis) nicht mehr, Greg ist weiter als Therapeut tätig. Die finanziellen Mittel sind begrenzt, deshalb suchen die Eltern für den inzwischen vierjährigen Jake eine private Grundschule und bemühen sich gleichzeitig um ein Stipendium für ihn. Die Konkurrenz im Stadtteil Brooklyn ist jedoch hoch, viele begabte Kinder kommen auf die wenigen Plätze. Da schlägt Kindergartenleiterin Judy Lawson (Octavia Spencer) vor, doch Jakes Transgender-Tendenzen in den Bewerbungen zu erwähnen, um den Jungen von anderen Anwärtern abzuheben. Alex und Greg sind überrascht und machen sich Gedanken, ob sie regulierend Einfluss auf Jakes Entwicklung nehmen sollen, etwa indem sie dem Kind verbieten, Röcke zu tragen, was es doch so gerne tut...

    Die Filmemacher ersparen dem Kinderdarsteller Leo James Davis schwierige oder kontroverse Szenen. Jake interagiert in einigen Alltagssituationen mit den Eltern, etwa als eifriger Zuhörer beim Märchenvorlesen und einige Male läuft er in Tutu und Frauenschuhen durchs Bild. Aber als er von Gleichaltrigen wegen seiner Kleidung gehänselt wird, dann wird dies in einer Art Mauerschau nur berichtet. Der Fokus liegt hier ganz auf den überfürsorglichen Eltern des fantasievollen Jungen. Sie sehen das Verhalten des Kindes und suchen nach Gründen. Alex wirft etwa einen nachdenklichen Blick auf die DVD-Sammlung der Familie, bestehend aus Disney-Märchenfilmen wie „Mulan“ und „Cinderella“. Die Prinzessinnen darin mag Jake sehr…

    Oder sind die Vorlieben des Kleinen auf das Vorbild des Vaters zurückzuführen? Mit seiner stillen, sanften, höflichen und zurückhaltenden Art entspricht Greg tatsächlich nicht dem immer noch vorherrschenden Männlichkeitsbild, bei einer Therapiesitzung sagt seine Patientin Sandra (wunderbar gespielt von Amy Landecker aus „Transparent“) zu ihm, er sei neutral „wie die Schweiz“. So ist Greg dann auch weniger resolut und zupackend als seine Frau Alex. Sie kauft Jake zu Halloween dann eine bunte Auswahl an Verkleidungen (genial schon die kurze, leicht zu übersehende Einstellung, wie sie im Laden vor Feuerwehrmann-, Polizist- und Astronaut-Kostümen steht, allesamt „typisch männliche“ Traumberufe kleiner Jungs): Doch während die Eltern dem Sohn sanft das Piraten-Kostüm nahelegen, entscheidet der sich für Rapunzel.

    In solchen Szenen wird recht treffend der Gegensatz zwischen den biologischen Gegebenheiten und dem thematisiert, was daraus abgeleitet wird. In aller Ausführlichkeit reden Jakes Eltern über seine Entwicklung und darüber, was ihn prägt. Sie fragen sich auch, inwiefern sie selbst das Recht haben, auf ihn einzuwirken. Da geht es dann auch durchaus um recht spezifische Dinge wie die kindliche Selbstbestimmung, das ist dann vor allem für jene Zuschauer interessant, die eine gewisse Affinität zum Thema mitbringen. Zumal die ausgedehnten Talking Head-Dialogszenen über weite Strecken lediglich durch kurze Montagen der Ansichten von Häusern und Straßenecken in Brooklyn unterbrochen werden.

    Die wichtigste Nebenhandlung des Films ist die zunächst etwas für sich stehende Suche nach einer Schule für Jake: Die öffentliche Lehranstalt im Viertel taugt nichts, daher bemühen sich Alex und Greg um ein Stipendium, das dem Sohn den Besuch einer Privatschule ermöglichen würde. Sehr lebensnah wird hier etwa der Druck rübergebracht, der heute auf Eltern lastet und wenn dann anlässlich des zu schreibenden Bewerbungsessays die Idee aufkommt, Jakes Freude an Kleidern und Prinzessinnen („gender expansive play“) als Argument einzubringen, weil es in der heutigen Zeit Erfolg verspricht, auf Diversität zu setzen, dann ist das eine perfekte zeitkritische Pointe.

    In der ersten Filmhälfte ist „A Kid Like Jake“ sehr ideenlastig und die Bühnenherkunft des Stoffes macht sich zuweilen nachteilig bemerkbar. Das ändert sich im späteren Verlauf aber zunehmend, als Alex und Greg in eine veritable Ehekrise geraten. Hier prallen die Persönlichkeiten des Paares aufeinander, was dem Film geradezu einen emotionalen Schub gibt. Der Höhepunkt ist dann eine heftige Konfrontation, bei der die nervöse, zu Panikattacken neigenden Alex ihren konfliktscheuen Mann heftig und unfair attackiert, während Greg trotzdem die Fassung und einen klaren Kopf bewahrt. In dieser sehr berührenden Szene spielen Claire Danes und Jim Parsons zugleich auch mit ihrem jeweiligen Image als Schauspieler: Wenn hier Gedanken an die toughe Agentin Carrie Mathison aus „Homeland“ und an den sonderlichen Wissenschaftler Sheldon Cooper aus „The Big Bang Theory“ in der Luft liegen, dann gibt das dem Geschlechterrollenthema des Films noch einen zusätzlichen Dreh.

    Fazit: Silas Howards Transgender-Drama „A Kid Like Jake“ beginnt etwas schleppend und theoretisch, wird dann aber lebendiger und bietet einen facettenreichen Beitrag zu einem vielschichtigen Thema.

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