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    Ein Dorf zieht blank
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Ein Dorf zieht blank
    Von Antje Wessels

    Der landwirtschaftliche Sektor Frankreichs steckt in einer schweren Krise. Angesichts fallender Fleisch- und Milchpreise haben es Kleinbauern immer schwerer, sich gegen Großunternehmen zu behaupten. Regelmäßig gehen die Landwirte und ihre Mitarbeiter auf die Straße und demonstrieren für bessere Arbeitsbedingungen sowie eine gerechtere Bezahlung in ihrer Branche – bisher ohne nennenswerten Erfolg. Die Lage ist so dramatisch, dass sich jährlich rund 200 Bauern im Land das Leben nehmen. Das zumindest sind die offiziellen Zahlen. Die Dunkelziffer ist französischen Medien zufolge sogar weitaus höher. Dass Regisseur und Drehbuchautor Philippe Le Guay („Nur für Personal!“) diese erschreckenden Umstände in einem Spielfilm aufgreift, ist erst einmal lobenswert, kann er damit doch auch über die Grenzen Frankreichs hinaus auf das Leid der Betroffenen aufmerksam machen.

    Allerdings legt er „Ein Dorf zieht blank“ vorwiegend als Komödie an und die fällt so seicht aus, dass sie dem ernsten Hintergrund seiner Geschichte kaum gerecht wird. Le Guay nutzt die immerhin klar aufgezeigten skandalösen Umstände lediglich als Kulisse und scheint hauptsächlich daran interessiert, wie sich daraus möglichst viele Gags pressen lassen. Damit verschenkt er letztlich die Gelegenheit, seinem Film echtes thematisches Gewicht zu geben und einen erhellenden Beitrag zur Debatte um die Landwirtschaft in Frankreich zu leisten. Umso bedauerlicher wird das Ganze dadurch, dass „Ein Dorf zieht blank“ ganz unabhängig von inhaltlichen Fragen schlicht auch nicht besonders lustig ist.

    Georges Balbuzard (François Cluzet) ist Bürgermeister im beschaulichen Dorf Mêle-sur-Sarthe in der Normandie. Ein Großteil der Einwohner lebt von der Landwirtschaft. Auch sie hat die Agrarkrise längst erreicht. Die Bauern überlegen sich immer neue Aktionen, um auf ihre Sorgen aufmerksam zu machen und fühlen sich zunehmend im Stich gelassen und hilflos. Auch Georges ist mit seinem Latein am Ende. Da naht plötzlich Rettung in Form des amerikanischen Starfotografs Blake Newman (Toby Jones), den es durch Zufall ins französische Hinterland verschlägt. Der Konzeptkünstler bittet Georges um die Erlaubnis, ein malerisches Feld als Kulisse für sein neuestes Projekt nutzen zu dürfen: Er will die Einheimischen nackt vor seiner Kamera einfangen – symbolischer könnte das die Situation der Bauern nicht widerspiegeln. Georges erhofft sich dadurch endlich die langersehnte Aufmerksamkeit, doch damit dieses Vorhaben gelingen kann, muss er erst seine Mitbürger überzeugen, sich vor der Kamera auszuziehen…

    Obwohl es im weiteren Verlauf von „Ein Dorf zieht blank“ vorwiegend um Georges Balbuzard und seine Bemühungen geht, den Dorfbewohnern die Idee von dem Nacktfoto schmackhaft zu machen, beginnt der Film mit dem Off-Kommentar eines jungen Mädchens, das sein pubertär eingefärbtes Leid mit dem Zuschauer teilt. Chloé Levasseur (Pili Groyne) ist vor Kurzem mit ihren Eltern Thierry (François-Xavier Demaison) und Valérie (Julie-Ann Roth) in die Normandie gezogen und trauert ihrer Zeit in der Großstadt hinterher. Sie schildert, wie aus ihrem Vater ein überzeugter Normandie-Liebhaber wurde, genauso wie ihre Mutter sich von der tüchtigen Geschäftsfrau zur Brotbäckerin entwickelt hat. Mit dem eigentlichen Thema des Films hat das alles allerdings überhaupt nicht zu tun.

    Man hat sogar den Eindruck, Chloé und ihre Familie würden von dem Aufruhr im Dorf absolut gar nichts mitbekommen, obwohl es innerhalb der Gemeinschaft tagelang kein anderes Thema gibt. Doch nicht nur das Schicksal der Levasseurs wirkt in „Ein Dorf zieht blank“ fehl am Platz. Philippe Le Guay macht diverse kleinere Nebenschauplätze auf, die den Hauptplot zum Großteil einfach nur verwässern (Stichwort: Liebesgeschichte). Lediglich ein sich aufgrund seiner vollkommen unterschiedlichen Einstellung zu den Fotoaufnahmen zankendes Ehepaar hat zu der Geschichte Wesentliches beizutragen, wenn der Gatte im letzten Drittel völlig am Rad dreht und gegenüber Georges Balbuzard sogar handgreiflich wird.

    In seinem Bestreben, die Bauern davon zu überzeugen, ganz gegen ihre Art die Hüllen fallen zu lassen („Sogar im Sommer behält der Mensch aus der Normandie den Pullover an!“), ist der Bürgermeister ziemlich militant. Dass er die Sympathien des Publikums dabei nie verliert, liegt vor allem an einem engagiert und sympathisch aufspielenden François Cluzet („Der Landarzt von Chaussy“), der Georges‘ Beweggründe immer nachvollziehbar macht. Obwohl er bereits zu Beginn als jemand eingeführt wird, dem im Kampf gegen die Landwirtschaftskrise die Ideen ausgehen, bleibt er bis zuletzt ein ernstzunehmender und seriöser Ansprechpartner für seine Bürger. Auf den Film selbst trifft eine derartige Seriosität allerdings nicht zu. Zeigt „Ein Dorf zieht blank“ anfangs noch sehr anschaulich, zu welchen drastischen Mitteln die Bauern greifen, um auf die ausführlich dargelegten Probleme aufmerksam zu machen, weicht dieser dramatische Aspekt der Geschichte nach und nach der Albernheit.

    Nur noch in wenigen Momenten werden die Ursachen und Gründe für den fotografischen Verzweiflungsakt (für die Bauern sind die geplanten Aufnahmen schließlich nicht mehr als das) in Erinnerung gerufen. Stattdessen geht es fortan fast nur noch darum, wer sich warum am meisten schämt und wie sich die Bauern auf teils haarsträubende Weise gegenseitig in ihrer Skepsis hochschaukeln. Und wenn sich am Schluss schließlich alle doch noch für das Mitwirken am Foto entscheiden, bloß weil ein Fernsehbericht darauf aufmerksam macht, dass rohes Fleisch unter gewissen Umständen sogar krankheitserregend sein kann und die Landwirte somit einen weiteren Imageschaden fürchten müssen, dann verzichtet der Regisseur und Autor sogar vollständig darauf, die zuvor immer mal wieder eingestreute Kritik an übertriebenem Fleischkonsum und rücksichtsloser (Massen-)Tiermast weiter zu verfolgen.

    Fazit: In „Ein Dorf zieht blank“ werden die dramatischen Probleme der französischen Landwirtschaft zum Vorwand für ein seichtes und zunehmend albernes Komödien-Szenario.

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