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    The Show
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Show
    Von Lars-Christian Daniels

    Egal ob Maden mampfende C-Promis im Quotenhit „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“, halbnackte Singles auf der „Love Island“ oder liebeshungrige Frauen bei „Der Bachelor“: Der Hype um Reality-Shows hat hierzulande in den vergangenen Jahren zwar etwas nachgelassen, beschert den Privatsendern aber noch immer passable Quoten. Hat ein Format seinen Reiz verloren, steht der Nachfolger meist schon in den Startlöchern: Immer mehr Tabus werden auf der Mattscheibe gebrochen und immer neue Provokationen ausprobiert. Doch was vor Jahren noch einen Aufschrei der Sittenwächter ausgelöst hätte, ringt den Zuschauern heute kaum noch mehr als ein müdes Lächeln ab – man denke nur an die erste „Big Brother“-Staffel und das, was heute noch vom Hype übrig geblieben ist. Wie wäre es also mit einer abendlichen Live-Show, bei der die Teilnehmer vor den Augen von Millionen Fernsehzuschauern auf der Bühne Selbstmord begehen? Dieses moralisch höchst zweifelhafte Gedankenspiel verarbeitet „Breaking Bad“-Star Giancarlo Esposito in seiner zweiten Regiearbeit „The Show“, die als zynische Abrechnung mit der TV-Branche ebenso toll funktioniert wie als blutiges und emotionales Thriller-Drama.

    TV-Moderator Adam Rogers (Josh Duhamel) ist das Aushängeschild der Reality-Heiratssendung „Married To A Millionaire“. Als eine verschmähte Kandidatin sich und den Bräutigam in spe vor laufender Kamera erschießt, übt er jedoch radikale Selbstkritik und will fortan nur noch moralisch einwandfreie Shows moderieren – ganz zur Freude seiner labilen Schwester Karina (Sarah Wayne Callies), die in einem Krankenhaus arbeitet und Adams wichtigste Bezugsperson ist. Senderchefin Ilana Katz (Famke Janssen) will davon nichts hören, denn der Amoklauf hat sie auf eine bis dato nicht für möglich gehaltene Idee für ein neues Format gebracht: eine Live-Show, bei der sich die Teilnehmer auf der Bühne das Leben nehmen. Sie beauftragt die Erfolgsproduzentin Sylvia (Caitlin Fitzgerald) mit der Umsetzung und gewinnt sogar Adam für ihr Projekt – wenn auch nur unter dessen Bedingung, dass durch die Sendung Spendengelder für die Angehörigen der Selbstmörder generiert werden. Eine solche Finanzspritze könnte auch Mason Washington (Giancarlo Esposito) gebrauchen, der als Reinigungskraft im Sender ein- und ausgeht: Sein Einkommen reicht kaum aus, um seine Frau Rebecca (Lucia Walters) und seine beiden Kinder zu versorgen...

    Regisseur und Schauspieler Giancarlo Esposito, der bei Serienfans durch seine Rolle als Hühnchen-Drogenbaron Gustavo „Gus“ Fring in „Breaking Bad“ und „Better Call Saul“ Kultstatus erlangt hat, überzeugt bei seiner zweiten Regiearbeit nach „Gospel Hill“ sowohl vor als auch hinter der Kamera. Zum einen stemmt der gebürtige Däne die anspruchsvollste Nebenrolle als hart arbeitender und fürsorglicher Familienvater Mason, zum anderen münzt der Filmemacher das Drehbuch von Noah Pink („Genius“) und Kenny Yakkel („The Task“) in einen von Beginn an mitreißenden und zunehmend dramatischen Film um. Ähnlich wie der deutsche Filmemacher Hans Weingartner in seiner spaßigen Satire „Free Rainer“ hält Esposito dem Haifischbecken TV-Branche den Spiegel vor, wählt aber einen noch radikaleren Ansatz: Was wäre, wenn selbst spektakulär arrangierte Live-Selbstmorde beim Kampf um die Einschaltquoten kein Tabu mehr wären? So geschmacklos und zynisch uns diese Vorstellung vorkommen mag, so greifbar wird sie im Film – denn ist es nicht vielleicht sogar etwas Positives, mit seinem Suizid noch Spendengelder für die Familie zu generieren, statt sich vor den nächsten Zug zu werfen oder gar Unschuldige mit in den Tod zu reißen?

    Diese Debatte wird in „The Show“ vor allem im fiktiven Sender WBC geführt: Schritt für Schritt fallen fast alle moralischen Hemmschwellen, weil den Verantwortlichen der Erfolg zu Kopf steigt. Ohne zu tief in die Klischeekiste zu greifen, legen die Filmemacher das Spannungsfeld unter den Programmverantwortlichen offen: Während Moderator Adam (Josh Duhamel, „Transformers“) in den an die Show gekoppelten Spenden eine willkommene Legitimation findet, meldet Produzentin Sylvia (Caitlin Fitzgerald, „Masters Of Sex“) zunächst erhebliche Bedenken am neuen Showformat an – und auch Senderchefin Ilana (Famke Janssen, „James Bond 007 - GoldenEye“) lässt sich nicht auf die gefühlskalte Karrierefrau reduzieren, für die man sie anfangs halten mag. Bei der Charakterzeichnung zu kurz kommt einzig Adams schimpfende Schwester Karina (Sarah Wayne Callies, „The Walking Dead“) – und so wird nicht sie zur Identifikationsfigur für den Zuschauer, sondern der finanziell gebeutelte Mason, der seiner Frau und seinem gehandicapten Sohn das Einschalten der Show strikt verbietet. Man ahnt früh, welche Wendung die Geschichte im Schlussdrittel nehmen könnte, zumal der tägliche Kampf der Masons gegen ihre Schulden der einzige größere Handlungsstrang ist, der parallel zur Erfolgsgeschichte der TV-Show erzählt wird.

    Für das dramatische Staffelfinale behalten die Filmemacher aber eine Trumpfkarte in der Hinterhand: So mitgenommen das Live-Publikum im Film aus der Wäsche schaut, so sehr wirkt auch „The Show“ nach dem Abspann nach. Konsequent und schockierend spitzt Esposito das vom Zuschauer legitimierte Horrorszenario zu und bringt die Mechanismen des TV-Marktes dabei präzise auf den Punkt: Ist der erste Suizid noch ein handfester Skandal, muss beim Kampf um die Quote der nächste noch spektakulärer ausfallen, damit das Publikum bei der Stange bleibt. Das geteilte Stimmungsbild in der Bevölkerung wird durch Eindrücke aus Fernsehzimmern oder von Demonstranten eingefangen, doch besonders entlarvend ist ein TV-Interview mit Adam: In dieser Sequenz arbeiten die Filmemacher stark heraus, wie sehr letztlich auch Publikum und Medien mit Fernbedienung und Berichterstattung darüber entscheiden, ob ein solch barbarisches Format tatsächlich überleben könnte. Ob es mit dem Gesetz überhaupt vereinbar wäre, spielt hier nur eine untergeordnete Rolle. Dem Unterhaltungswert ist das natürlich dienlich, denn dem Einfallsreichtum der Showproduzenten sind so keine Grenzen gesetzt: Von der tödlichen Live-Giftspritze über den Stromschlag in der Badewanne bis hin zum Seppuku-Ritual eines Samurai-Kriegers wird hier (fast) alles geboten.

    Fazit: „The Show“ ist eine spannende Kreuzung aus bissiger TV-Satire und blutigem Thriller-Drama, bei dem Giancarlo Esposito in seiner Doppelfunktion als Regisseur und Schauspieler einen erstklassigen Job abliefert.

    Wir haben „The Show“ auf dem Fantasy Filmfest 2017 gesehen, wo er noch unter seinem früheren Titel „This Is Your Death“ im offiziellen Programm gezeigt wird.

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